Die Gurus, die Stille und der Berg. Subhuti Anand Waight

Die Gurus, die Stille  und der Berg - Subhuti Anand Waight


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diesem Tempel war es, dass Ramana als junger Mann in tiefer Trance wie tot dalag, während Mäuse an seinen Füßen knabberten und Ameisen ihm in die Beine bissen. Dort haben wohlmeinende Menschen ihn entdeckt und weggebracht und ihn in der Gegend eine Zeitlang von Tempel zu Tempel, von Ort zu Ort eskortiert, bis er sich schließlich dafür entschied, in den Höhlen auf dem Berg zu leben.

      Der Blick von hier oben ist spektakulär, und ich teile das Panorama mit einem Paar großer Vögel, Bussarden oder Adlern, die still über mir dahinsegeln, sich vom Aufwind nach oben tragen lassen und dann mühelos die Hänge des Arunachala entlang herabgleiten, zweifellos auf der Suche nach einer ersten Mahlzeit.

      Mein Weg geht jetzt nicht mehr bergauf. Ab diesem Punkt wird er flacher und der Weg geht leicht nach unten. Urplötzlich, als Skandashram beinahe in Sicht ist, macht sich eine kleine Horde rotgesichtiger Affen bemerkbar, die zwischen den Bäumen zu meiner Linken herumhuschen. Sie beäugen mich mit taxierendem Blick, ob ich wohl irgendetwas Essbares bei mir trage. Das ist eine eingefleischte Angewohnheit, die man ihnen nicht übelnehmen kann, denn tagsüber sitzt hier oft eine Frau, die den Pilgern Bananen verkauft. Die Leute verfüttern sie an die Affen, während sie mit ihren Handys Schnappschüsse von ihnen machen. Die Bananenfrau ist noch nicht da, und ich habe kein Futter anzubieten.

      „Fehlanzeige, Jungs!“, verkünde ich fröhlich, während ich im Vorübergehen nervös ein Auge auf sie gerichtet halte. Affen können wirklich Spaß machen! Aber eine Begegnung mit ihnen kann auch böse enden, etwa wenn man von einem gebissen wird. Man muss dann eine ganze Serie von Tollwutinjektionen und andere Vorsichtsmaßnahmen über sich ergehen lassen.

      Zum Glück verlieren die Affen schnell ihr Interesse an mir und wenige Minuten später bin ich angekommen: Skandashram, die Höhle, in der Ramana sieben Jahre lang lebte, nachdem er zum Arunachala gekommen war. Hier schloss sich ihm seine Mutter an, die mit ihm meditierte und ihm das Essen zubereitete. Das war eine praktische Notwendigkeit, weil Ramana keinerlei Interesse am Essen zeigte, außer wenn er dazu eingeladen wurde.

      Es gibt eine nette Anekdote über einen kleinen Jungen, der beim Herumstreunen auf dem Berg nahe seiner Behausung unerwartet auf Ramana traf, der auf einem Stein saß und nichts tat.

      „Was machst du hier so allein?“, fragte der Junge.

      „Daheim gab es Probleme, also bin ich fortgegangen“, antwortete Ramana.

      „Und was ist mit deinem Essen?“, fragte der Junge.

      „Ich esse, wenn mir jemand etwas zu essen gibt“, erwiderte der Mystiker.

      Besorgt bot ihm der Knabe seine Hilfe an. Er wollte Ramana helfen eine Arbeit zu finden, damit er sich vom Lohn etwas zu essen kaufen könne. Der stimmte bereitwillig zu, aber natürlich kam es nie dazu. Also mussten Ramanas hingebungsvolle Anhänger dafür sorgen, dass er etwas zu essen hatte.

      Als seine Mutter verstarb, erklärte Ramana sie für erleuchtet. Ihr Mahasamadhi befindet sich unten im Ashram, gleich neben seinem.

      Wie ich erwartet habe, ist Skandashram zu dieser Tageszeit geschlossen und bleibt es bis 8.15 Uhr, wenn die Wächter, die jetzt noch innerhalb der Mauern schlafen, die Tore für die Besucher öffnen. Ich könnte hier warten, bis es so weit ist. Diesmal bin ich aber nicht daran interessiert hineinzugehen, wie bei einem früheren Gang auf den Berg. Und ich verspüre auch keine Neigung, zur zweiten Höhle, Virupakshi, wo Ramana ebenfalls lebte, hinunterzugehen.

      Was mich anzieht sind nicht spezielle Orte. Es ist eher das allgemeine Gefühl von „Angekommensein“, als würde der Berg Arunachala ein Energiefeld ausstrahlen, das Suchende und Meditierende willkommen heißt und ihnen das Gefühl vermittelt, der „Quelle“ nahe zu sein.

      Bestimmt war es auch genau das, was Ramana zum Arunachala hinzog. Er pflegte zu sagen, die Kraft dieses Berges sei von den Hunderten von Yogis, Sadhus und Siddhas hervorgebracht worden, die hier in früheren Jahrhunderten meditierten.

      Einer Legende zufolge sitzt Ramana immer noch in einer goldenen Höhle tief im Inneren des Arunachala, umringt von erleuchteten Rishis und Heiligen, und alle sind versunken in reinem Bewusstsein, dessen Licht sie in die Welt ausstrahlen.

      Nette Geschichte. Nicht den Fakten entsprechend, natürlich – aber als spirituelles Gleichnis birgt sie eine Wahrheit, die für jeden, der zum Meditieren hierherkommt, spürbar wird.

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      Ramana Maharshi am Berg Arunachala

      Heute halte ich allerdings nicht Ausschau nach der goldenen Höhle. Vielmehr schiele ich nach dem Pfad der zum Gipfel des Berges führt, der beim Skandashram beginnt, in Windungen eine Felswand überquert und weiter oben dem Blick entschwindet.

      Den Berg bis zum Gipfel zu besteigen ist eigentlich nicht erlaubt. Auch hier fand die Polizei es nötig einzugreifen, nachdem ein Tourist ums Leben kam, der sich bei einem Absturz verletzt hatte und nicht mehr herunterkonnte. Das Verbot wird allerdings nicht streng gehandhabt. Meistens ist keine Polizei vor Ort, um irgendjemanden daran zu hindern, nach oben zu pilgern.

      Mir wird klar, dass es keinen Sinn macht, den Gipfel zu besteigen. Die Einladung des Arunachala an uns alle besteht vielmehr darin, den Blick nach innen zu richten, den inneren Berg des Bewusstseins zu besteigen und den ewigen Schatz des Selbst wieder in Anspruch zu nehmen.

      Trotzdem, an diesem herrlichen Morgen und kein Mensch weit und breit … welch eine Versuchung!

1.

      Sie war blond, gut aussehend und so hilfsbereit, wie jemand vom Flughafenpersonal nur sein konnte. Aber leider war sie ohnmächtig gegenüber einem computergesteuerten Check-In-System, das nicht machte, was von ihm zu erwarten gewesen wäre.

      „Ich fürchte, Sie werden es zeitlich nicht schaffen“, sagte sie teilnahmsvoll und gab mir meine Bordkarte zurück.

      Über eine halbe Stunde lang hatte ich einen der Check-In-Schalter der Air India am Flughafen Kopenhagen in Beschlag genommen. Es ist erstaunlich, dass die anderen Passagiere, die hinter mir in der Schlange warteten, nicht frustriert zu schreien anfingen. Zwei Bekannte von mir, die mit mir eincheckten, hatten zehn Minuten lang geduldig gewartet und mir dann signalisiert, dass sie schon mal durch die Sicherheitskontrolle gehen würden. Ich nahm es ihnen nicht übel.

      Die Blondine hatte bereits ihren Vorgesetzten herbeigerufen, einen effizient wirkenden, glattrasierten jungen SAS-Angestellten, der wie ein Model für After-Shave-Werbung aussah. Zusammen wirkten beide wie das dänische Traumpaar. Er probierte es. Sie probierte es. Sie probierten es gemeinsam. Dann konsultierten sie ein Handbuch. Sie gaben alle möglichen Codes ein, aber gegen das Computersystem kamen sie nicht an. Sie riefen ihren Super-Supervisor herbei, eine extrem intelligent aussehende weibliche Führungskraft, die speziell von der Air-India-Zentrale in Delhi abgestellt war. Sie verfügte über einen High-Tech-Verstand und hatte Kompetenzen, mit denen sie sich über jedes Problem hinwegsetzen konnte. Außer diesem.

      Das Problem bestand darin, dass ich mir ein Flugticket von Kopenhagen nach Delhi gekauft und ein paar Wochen später einen Anschlussflug von Delhi nach Chennai hinzugebucht hatte, beides bei Air India. Doch das System weigerte sich, die beiden Flüge miteinander zu verknüpfen. Warum? Wegen einer Panne, die als „Name Mismatch (Name stimmt nicht überein)“ angezeigt wurde. Dussel, der ich war, hatte ich bei einem der Tickets meinen zweiten Vornamen angegeben, beim anderen jedoch nicht. Fehler!

      Die Super-Supervisor-Lady setzte ihre ganze Autorität ein. Es half nichts! Sie rief bei der Zentrale in Delhi an. Es half nichts! Mit einer Entschuldigung gab sie mir meine Bordkarte zurück.

      Das hieß, dass ich bei meiner Ankunft auf dem Indira-Gandhi-Flughafen in Delhi ganz aus Terminal 3 raus musste, um dann wieder neu einzuchecken, anstatt die beschleunigte interne Transferroute zu durchlaufen. Die Zeit zwischen meinen beiden Flügen war also knapp bemessen.

      Wie bei dem niedrigen Budget der Air India zu erwarten war, gab es alte Filme und ein noch älter aussehendes „Asiatisches Vegetarier-Menü“. Ich


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