Guardiola. Dietrich Schulze-Marmeling

Guardiola - Dietrich Schulze-Marmeling


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präsentiert wird, warten im Presseraum der Allianz Arena rund 250 Journalisten auf den ersten Auftritt des Mannes aus Katalonien. Es ist die bestbesuchte Pressekonferenz in der Geschichte des Klubs.

      José Mourinho, Guardiolas großer Rivale, hatte sich 2004 beim FC Chelsea mit den Worten vorgestellt: „Entschuldigen Sie, wenn das arrogant klingt: Chelsea hat jetzt einen Toptrainer. Ich bin nicht arrogant, sondern ein Topmanager. Ein ganz besonderer.“

      Louis van Gaal, einer von Guardiolas Vorgängern beim FC Bayern, erzählte auf seiner ersten Pressekonferenz in München, dass er ein Trainer sei, der „überall, wo ich war, Geschichte geschrieben“ habe, und präsentierte sich als Übervater, an dessen Wesen der FC Bayern und der deutsche Fußball genesen mögen.

      Während sich Mourinho als „The Special One“ vorstellte und van Gaal als Trainergott, wird Guardiola zwar wie der Heiland angekündigt. Aber dort auf dem Podium in der Allianz Arena sitzt nun – eingerahmt von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge – ein Mann, dessen Auftreten im krassen Gegensatz steht zu dem Hype, der um ihn herum betrieben wird. Der den Eindruck erweckt, als habe er bislang eher den SC Freiburg oder Mainz 05 trainiert und nicht mit dem FC Barcelona innerhalb von nur vier Jahren 14 Titel geholt. Und dessen Demut und Bescheidenheit an diesem Montagmittag auch auf die Bayern-Bosse überspringt. Normalerweise lässt sie so ein Coup, und dies ist vielleicht der größte in ihrer Amtszeit, vor Stolz platzen.

      Pressesprecher Markus Hörwick pfeift erst um fünf Minuten nach zwölf an, „denn zuvor laufen ja überall noch die Nachrichten, und es passieren so wichtige Dinge auf der Welt“. Daran muss erinnert werden, denn fast hätte man vergessen, dass es auch noch die Proteste in der Türkei gibt, den Krieg in Syrien, die Jagd der USA auf den vermeintlichen Spion Edward Snowden, die Verurteilung des ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi zu sieben Jahren Haft oder das Dauerthema Eurokrise.

      Und dann ist da noch Bundeskanzlerin Angela Merkel, die stellt an diesem Montag ihr Wahlprogramm vor. Schlecht getimed von ihren Wahlkampfstrategen, denn wen interessieren schon die vielen angekündigten Geschenke, wo doch endlich das monatelange Warten auf Pep Guardiola ein Ende hat.

      „Guten Tag, grüß Gott, meine Damen und Herren, verzeihen Sie mir mein Deutsch – aber ich habe ein Jahr in New York gelebt, und es ist nicht der optimale Ort, um Deutsch zu lernen“, begrüßt Pep Guardiola die Anwesenden. Es sei „ein Glück, ein Geschenk, hier zu sein.“ Er habe sich für die Bayern „wegen ihrer Geschichte“ entschieden, es gebe „wenige Vereine in der Welt, die speziell sind, und Bayern München ist einer dieser Vereine – wenn sie mich rufen, ist das eine Riesenchance für mich.“

      Auch mit den Bayern möchte Guardiola „immer angreifen. Das ist meine Idee von Fußball.“ „Ich möchte immer angreifen“ – hat schon jemals ein Mensch diesen Satz in einem so schönen, freundlich klingenden Deutsch ausgesprochen wie der kultivierte Fußball-Verbesserer aus Katalonien? Zumindest noch kein Deutscher. Und wurde schon jemals mit diesem Satz, wenn er in deutscher Sprache vorgetragen wurde, so viel Positives assoziiert?

      Mit Pep Guardiola bereichert ein Trainer die Bundesliga, den FC Bayern und das CSU-Land Bayern, den die Abenteurer und Offensivgeister seiner Branche inspirierten: César Luis Menotti, Marcelo Bielsa, Juanma Lillo und Johan Cruyff. Und über den der Argentinier Menotti, der Nestor eines „linken“ Fußballs, dem „Süddeutsche Zeitung Magazin“ erzählt: „Er (Guardiola) hat eine Vorstellung, wie sein Orchester klingen soll. Wenn einem Trainer nur wichtig ist zu gewinnen, dann wird es schwieriger. Außerdem hat er seinen Spielern etwas in den Kopf gesetzt, was andere Mannschaften nicht haben: Aus der Ordnung heraus gibt es eine große Freiheit für das Abenteuer. (…) Ein großartiger, intelligenter Trainer, der den Fußball liebt, aber nicht nur den Fußball. Frei nach Hippokrates: Wer nur die Medizin kennt, der weiß nichts von der Medizin, und wer nur vom Fußball was versteht, der versteht nicht mal was vom Fußball. (…) Guardiola ist ein Trainer aus unserer Ecke, aus Berufung.“

      Wir dürfen gespannt sein.

       Dietrich Schulze-Marmeling

       Juli 2013

      KAPITEL 1

      Ein Schlaks aus Katalonien

      Peps Entdeckung / Leben in La Masia / Prägung durch Johan Cruyff / Der Wissbegierige

      Die 7.500-Seelen-Gemeinde Santpedor liegt in Zentralkatalonien und ist Teil der Provinz Barcelona. Bis in die 70 Kilometer südöstlich gelegene Metropole benötigt man mit dem Auto eine knappe Stunde. Santpedor macht aus seiner katalanistischen Gesinnung keinen Hehl. Von den Balkonen hängt die Senyera, die Flagge Kataloniens, Graffiti künden vom Kampf für die Unabhängigkeit Kataloniens. Auch in den Jahren der Franco-Diktatur, als die katalanische Sprache verboten war, wurde in den Häusern und auf den Straßen des Ortes katalanisch gesprochen.

      Auf dem Weg nach Barcelona passiert man das auf einem Berg liegende berühmte Benediktinerkloster Montserrat, in den Jahren der Franco-Diktatur Zufluchtsort für politisch Verfolgte und ein Hort des Widerstands. 1970 versammelten sich hier im Schutz der Klostermauern fast 300 Intellektuelle und verabschiedeten ein „Manifest von Barcelona“, das weltweit Beachtung fand. Die Unterzeichner forderten eine Generalamnestie für alle politischen Häftlinge des Regimes, die Abschaffung von Sondergerichtsverfahren und der Todesstrafe sowie die Errichtung eines „wahrhaft demokratischen Staates, der die Ausübung der demokratischen Freiheiten und Rechte der Völker und Nationalitäten, die den spanischen Staat bilden, einschließlich des Rechts auf Selbstbestimmung, gewährleistet“.

      Von diesem Geist scheinen die Einwohner Santpedors noch immer beseelt; man wählt links und katalanistisch. 2013 heißt die Erste Bürgermeisterin des Ortes Laura Vilagrá i Pons und wird von der Esquerra Republicana de Catalunya (Republikanische Linke Kataloniens, ERC) gestellt. Zweitstärkste Partei ist die Partit dels Socialistes de Catalunya (PSC), eine regionale Schwesterpartei der spanischen PSOE. Die bürgerlich-konservativen Nationalisten von der Convergència i Unió (CiU) sind nur drittstärkste Kraft im Lokalparlament.

      Der Balljongleur

      Hier in Santpedor kommt am 18. Januar 1971 Josep „Pep“ Guardiola i Sala zur Welt. Sein Elternhaus steht an der Placa de la Generalitat (Hausnummer 15), benannt nach den autonomen Institutionen Kataloniens.

      „Man darf nie vergessen, woher man kommt“, wird Pep Guardiola später oft sagen. Er wächst in bescheidenen Verhältnissen auf, sein Vater Valentí ist Maurer und besitzt ein kleines Bauunternehmen. In allen Schilderungen von Peps Jugend erscheint seine Familie als Bilderbuch-Repräsentant „katalanischer Tugenden“: Fleiß, Stolz und Leidenschaft sind die immer wiederkehrenden Begriffe, wenn es um die Familie Guardiola geht.

      Der junge Guardiola besucht zunächst die örtliche Klosterschule. Im Alter von sieben Jahren wechselt er auf das Colegio La Salle de Manresa in der benachbarten Stadt Manresa, wo auf Katalanisch unterrichtet wird. Spanisch wird nur im Spanischunterricht gesprochen. Manresa zählt etwa 75.000 Einwohner und ist stolz auf seine imposante Kathedrale namens Santa Maria de la Seu.

      Eine seiner Lehrerinnen ist Maria Carme Bosch, die sich gegenüber dem „kicker“ an einen Schüler erinnert, dem das Lesen und der Musikunterricht besonderen Spaß machten. Später habe ihr Guardiola erzählt, dass hier sein Interesse an Literatur und Musik geweckt worden sei. Der Schüler Guardiola sei nicht streitlustig gewesen, „aber er hatte schon Charakter, einen Führungscharakter“. Deshalb wird er „Sportbeauftragter“ der Schüler. Bei Schulturnieren muss er Mannschaften zusammenstellen, nicht nur im Fußball, sondern auch im Basketball, der zweitbeliebtesten Mannschaftssportart in Spanien.

      Dass er seine Kindheit auf dem Dorf verbringt, betrachtet Guardiola später als Vorteil. Denn hier existieren noch Räume für den Straßenfußball: Im Dorf lässt sich „viel leichter eine Hauswand finden, an der man üben kann, als im Zentrum einer Stadt, wo es fast unmöglich ist, auf der Straße Fußball zu spielen. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mit dem Spielen anfing. Aber solange ich denken kann, hatte ich immer einen Fußball dabei. Jeder erinnert sich


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