In tiefem Schlaf. Gretelise Holm

In tiefem Schlaf - Gretelise Holm


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der formelle Teil des Gebets beendet war, wurde sie persönlicher: »Und dann bitte ich dich um Vergebung, dass ich dem alten Mann in die Beine geschnitten habe«, sagte sie. »Es musste sein, um ihm die Stiefel auszuziehen, und er war schließlich tot – oder zumindest fast. Dora würde ohne die Stiefel nicht überleben und so retten die Stiefel vielleicht zwei Menschen das Leben ...«

      Leichenfledderei war sehr verbreitet. Sobald ein Flüchtling das Zeitliche segnete, fielen die Hungernden und Frierenden wie die Geier über ihn her. Alte Frauen zerrten an leichenstarren Körpern, um Kleidung zu ergattern, in die sie Kleinkinder oder sich selbst packen konnten. Eine Decke konnte ein Leben retten. Hier kämpfte jeder gegen jeden. Im Großen und Ganzen und mit nur wenigen Ausnahmen respektierten die Flüchtlinge das Eigentum der anderen, achteten jedoch genau darauf, wer von den Sterbenden niemanden hatte, der sein Eigentum verteidigte. Es galt, der Erste zu sein.

      Gertrud hatte vorgestern den schwachen, alten Mann mit den guten Stiefeln ausgeguckt, ihm ein Stück Wurst gegeben und ihn sich ihr und ihrer Schwiegertochter anschließen lassen. In der Nacht verlor er das Bewusstsein und gegen Morgen starb er, aber seine Stiefel saßen so verdammt fest, dass sie ihr Faltmesser zu Hilfe nehmen musste, um sie von den geschwollenen Beinen zu bekommen. Sie hatte sich gewundert, dass Blut geflossen war, als sie schnitt. Vielleicht war er doch noch nicht richtig tot gewesen?

      Ihr blieb keine Zeit, über ihre mögliche Sünde nachzugrübeln. Ein russischer Jagdflieger flog dicht über ihre Köpfe hinweg. Instinktiv riss sie Dora mit sich in den Graben und auch dieses Mal kamen sie mit dem Leben davon. Die Bombe fiel ein gutes Stück von ihnen entfernt. Als sie später an dem Krater vorbeikamen, sahen sie eine kleine Menschengruppe um einen Berg zerfetzter Körper stehen. Sie erkannten Kopf und Oberkörper des frechen Jungen wieder: »Warum, warum bist du so dumm?«

      Klageschreie mischten sich mit Verwünschungen.

      In dieser Nacht hatten sie das Glück, Platz in einer Scheune zu finden. Dort lagen sie zu Hunderten, sozusagen aufeinander gestapelt. Die Alten zuunterst, die Kinder obenauf. Man konnte sich kaum rühren und ein übler Gestank breitete sich aus, weil die Kranken und Verletzten nicht hinauskamen, wenn sie ihre Notdurft verrichten mussten. Zwei Tote wurden im Laufe der Nacht hinausgetragen. Eine Frau gebar ein Kind. Viele Kleinkinder schrieen. Kanonenfeuer erklang wie Donner in der Ferne und ein Mann fragte: »Weiß eigentlich jemand, wo die Front verläuft?«

      Die Männer, die alle alt oder Invaliden waren, begannen zu diskutieren. Es war schwer zu sagen, wo die Front verlief. Manchmal konnte man meinen, sie verlaufe hinter ihnen, manchmal vor ihnen und oft hatten die Flüchtlinge das Gefühl, sich direkt an der Front zu befinden – wenn die russischen Jagdflieger Bomben auf sie abwarfen oder feindliche Panzer sie beschossen oder überfuhren.

      »Die Front?«, fragte Doras alter Lehrer Dr. Bruno, der den größten Teil des Weges in ihrer Gruppe gegangen war, »die Front verläuft zwischen denen, die das Leben ehren und denen, die das nicht tun.«

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