Der Olymp. Achim Lichtenberger
Kalliope – sie steht von allen am höchsten in Ansehn,
denn sie gesellt sich achtbaren Königen schützend zur Seite.« (Hesiod, Theogonie 36–80) (Übersetzung: Luise und Klaus Hallof)
Hesiod lokalisiert den Palast des Zeus auf einem als verschneiten Berg vorgestellten Olymp und beschreibt das wohltuende Wirken der Musen im Palast. Die Musen selbst wohnen in Palästen in der Nähe des obersten Gipfels, wo sie auch Tanzplätze haben. Nordöstlich der Gipfelregion des Olymps liegt eine kleine Hochebene, die heute als »Musenplateau« bezeichnet wird (
Abb. 10: Das sogenannte Musenplateau auf dem Olymp. Im Hintergrund der Gipfel Stefani (Zeusthron).
Die bei Homer bereits angelegte Gleichsetzung von Olymp und Himmel (ouranos), die auf eine Universalisierung des Olymps hinausläuft, findet sich dann auch bei dem griechischen Dichter Pindar, der im 6./5. Jh. v. Chr. wirkte, und im 6. und 5. Jh. v. Chr. bei den sogenannten Vorsokratikern sowie bei dem Tragödiendichter Sophokles.50 Der etwas ältere Tragödiendichter Aischylos erwähnt den Olymp nur einmal.51 Der Dramatiker Euripides setzt ebenfalls Olymp und Himmel gleich, und in seinen Werken spielt der Olymp eine größere Rolle als bei den übrigen Tragikern. Gelegentlich, etwa bei dem Komödiendichter Aristophanes, ist noch von dem konkreten Berg die Rede, doch dominiert nun immer mehr der überweltliche Olymp.52
Blicken wir auf die Folgezeit und die Art und Weise, wie der Olymp wahrgenommen und vorgestellt wurde, so ist bemerkenswert, dass einerseits der überweltliche Olymp dominiert.53 Andererseits kann man beobachten, dass am nordgriechischen Berg eine Fokussierung auf die Geographie und den Naturraum des Olymps stattfindet. Auf diese Weise wird der Olymp geradezu säkularisiert, verweltlicht und seiner mythologisch-religiösen Bedeutung beraubt. So ist etwa im Kontext der Perserkriege und des Einmarschs des Perserkönigs Xerxes (486–465 v. Chr.) nach Griechenland 480 v. Chr. bei Herodot zu lesen wie Xerxes das südlich des Olymps gelegene Tempetal bestaunte:
»Als Xerxes von Therma aus die thessalischen Berge erblickte, den Olympos und den Ossa, die gewaltig hoch sind, und als er erfuhr, dass mitten zwischen ihnen eine enge Schlucht liege, durch die der Peneios strömt, und hörte, dass dort der Weg nach Thessalien führe, da wollte er gern hinfahren und die Mündung des Peneios ansehen; denn er wollte mit dem Heer den Weg weiter im Inneren durch das obere Makedonien einschlagen (…).« (Hdt. 7,128) (Übersetzung: Josef Feix).
Es ist bemerkenswert, dass Herodot, der sonst immer wieder lokale Kulte und religiöse Verhältnisse beschreibt, hier die mythologische Bedeutung des Bergs Olymp mit keinem Wort erwähnt.54
Eine ähnlich nüchterne Beschreibung, bei der jeder Hinweis auf den Sitz der Götter fehlt, können wir einige hundert Jahre später bei Pausanias im 2. Jh. n. Chr. lesen, der Folgendes über Löwen in Thrakien berichtet:
»Diese Löwen streifen auch oft in das Gebiet um den Olymp; von diesem Gebirge schaut die eine Flanke gegen Makedonien, die andere gegen Thessalien und den Fluß Peneios. Hier bezwang Pulydamas einen Löwen im Olymp, ein großes und wehrhaftes Tier, ohne mit einer Waffe ausgerüstet gewesen zu sein. Er machte sich an dieses Wagnis in Nacheiferung der Taten des Herakles, da auch von Herakles erzählt wird, daß er den Löwen in Nemea so bezwungen habe.« (Paus. 6,2,5,5) (Übersetzung: Ernst Meyer)
Auch hier ist erstaunlich, dass der nordgriechische Berg Olymp nicht mit dem Göttersitz in Verbindung gebracht wird, sondern ausschließlich ein nüchterner Jagdbericht abgelegt wird.55
Diese säkularisierte Betrachtung des Olymps ist allerdings ein Nebenzweig der Vorstellungen über den Olymp. Denn es kommt seit dem 5. Jh. v. Chr. und verstärkt im Hellenismus und in den nachchristlichen Jahrhunderten der römischen Kaiserzeit zu einer Entwicklung, in der der Olymp mit dem Himmel gleichgesetzt wird und dieser himmlische Olymp, der weiterhin als Berg gedacht ist, Sitz der Götter ist. Parallel dazu ist der tatsächliche makedonisch-thessalische Olymp ein realexistierender Berg, doch wird die Verbindung dieses realen Berges in der Literatur nur vergleichsweise locker auf den Göttersitz bezogen.
Spätestens in der Kaiserzeit wird der Olymp dann auch zum jenseitigen Seelensitz bzw. zu einem Ort, in dessen Nähe Seelen im Jenseits verweilen.56 So heißt es in der griechischen Gedichtsammlung Anthologia Palatina in einem Grabepigramm des Dichters Philippos von Thessalonike (1. Jh. n. Chr.):
»Der Sarkophag hier umfängt des Aetios heilige Reste,
der ein Ehrenmann und Meister der Redekunst war.
Nieder zum Hades entglitt nur der Leib, zum Olympos die Seele
Wo sie Freuden genießt ewig im Kreise des Zeus
Und der anderen Seeligen. Unter den Menschen unsterblich
Aber zu machen vermag weder das Wort noch ein Gott.« (Anth. Palat. 7,362) (Übersetzung: Dietrich Ebener)
Ähnlich auch die Grabinschrift eines unbekannten Dichters:
»Ich, Soterichos, der ich Armeen aufstellte, liege
Hier in dem Grab, hinterließ den lieben Kindern die Früchte
Meiner Bemühung. Wie Nestor führte ich Reiterschwadronen;
Niemals erwarb ich mir Schätze durch unrechtes Handeln.
Deswegen sehe ich auch nach meinem Tode den Glanz des Olympos.« (Anth. Palat. 7,678) (Übersetzung: Dietrich Ebener)
Diese Vorstellung des Seelensitzes findet sich auch in einem weiteren kaiserzeitlichen Grabepigramm für die verstorbene Prote. Dort wird zwar zwischen Olymp und Elysium (einer Art Paradies) unterschieden, doch sind die beiden eng räumlich benachbart.
»Du bist nicht gestorben, Prote, sondern übergegangen an einen besseren Ort,
und Du bewohnst die Inseln der Seligen in Heiterkeit
dort in den Elysischen Feldern springst Du in Freude
Du blühst und Du bist sanft, Du ermangelst alles Schlechten:
weder Kälte ist dir lästig, noch weht Wärme Krankheit zu Dir,
Du hast keinen Hunger und keinen Durst; und Du ersehnst nicht
die Menschen aus Deinem fernen Leben; Du lebst nämlich ohne Beschwerde
im reinen Licht des Olymp, der benachbart ist.« (App. II 461) (Übersetzung: Achim Lichtenberger)
Der Olymp als jenseitiger und überirdischer Seelensitz findet sich auch in kaiserzeitlichen und spätantiken Steinepigrammen im griechischen Osten.57 Die Vorstellung, dass der Olymp ein jenseitiger Seelensitz ist, kann vielleicht als eine Art privater Vergöttlichung (Apotheose) verstanden werden.58 Nach dem Modell der Vergöttlichung von Herrschern, wird dies auch für andere Menschen reklamiert. Die Universalisierung des Berges und die Loslösung von einem konkreten nordgriechischen Berg sind die Voraussetzungen dafür, dass der Olymp offen wurde für Verstorbene. Verwandt mit diesen Vorstellungen sind die Herrscherapotheosen, die allerdings eher auf die Vorbilder von Halbgöttern und Heroen zurückgehen, welche in den Olymp aufgenommen wurden; der berühmteste ist Herakles.59 Auch die Apotheose des römischen Kaisers war als Aufnahme in den Olymp unter die Götter gedacht, wie die Satire des Seneca auf die »Verkürbissung« des Kaisers Claudius (41–54 n. Chr.) belegt. Bei dieser kommt Claudius zunächst im Himmel bzw. Olymp an, ihm wird dann aber die Aufnahme