Seeland Schneeland. Mirko Bonné

Seeland Schneeland - Mirko Bonné


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      Er lachte (es fühlte sich an wie eine Berührung mit ihrem Lachen) und sah den Kabinenkorridor entlang. Alles bebte vor seinen Augen – kaum merklich, aber es vibrierte.

      »Soll Mr. Meeks es Ihnen erklären, vielleicht in Ihrer Sprache?«

      »Wenn Mr. Meeks möchte, gern. Aber es ist nicht nötig, Mr. Robey. Dieses Flugzeug kostet Sie viel Geld – falls Sie sich dafür entscheiden, es zu kaufen. Sie müssen prüfen und abwägen. Ich werde Sie nicht wieder belästigen, Sir.«

      »Sie machen Ihren Job am besten, wenn Sie sich so verhalten wie Ihr junger Freund und Kollege der Pilot, zu dem ich gerade unterwegs bin: Halten Sie sich bereit, seien Sie gefasst auf alle Eventualitäten.«

      »Ja, danke, Sir. Ich werde es beherzigen.«

      Eine Weile stand er schwankend zwischen den Sitzreihen und blickte stumm an Meeks vorbei aus dessen Assistentenfenster. Er hatte sich getäuscht – immer noch ging es aufwärts. Die Airrant kämpfte, kraftvoll, souverän erschien sie ihm in diesem Augenblick, und er versuchte sich zu erinnern, bei welchem Probeflug er zuletzt ähnlich enthusiastisch gewesen war.

      Junkers’ neue Maschine, so stellte er sie sich vor, nur geräumiger, größer, weniger wendig, dafür stabiler und ruhiger.

      Jetzt knetete sie ihre Hände. Er hatte sie getroffen. In der Kälte blieben auf ihrer blassen Haut die Daumenabdrücke lange sichtbar.

      »Etwas zappelig, nicht wahr, das sind Sie, oder?«

      »Nein, Sir, ich denke nicht. Aber ich danke Ihnen für die Fürsorge.«

      Bestürzung, da war sie also doch in ihrem Blick.

      »Aber doch, aber doch.« Er lächelte freundlich. »Vor Ihnen in dem Sitz« – er rüttelte daran – »der nette Mr. Meeks, das ist mein Helferlein. Falls Sie ein Versuchskaninchen suchen für Ihre Bordapotheke, steht er Ihnen gern zur Verfügung. Ich bezahle ihn für so was, wissen Sie. Er tut, was ich ihm sage. Wenn ich ihm sage, er soll mir in 2000 Metern Höhe ein Spiegelei braten, dann wird er das zumindest versuchen. Und wenn er es nicht hinbekommt und ich deshalb sauer werde und ihm sage, er soll aus dem Flugzeug springen, runter zu Ihrem schönen Wales, so tut Mr. Meeks das.«

      »Ein bemerkenswertes Arbeitsverhältnis«, sagte sie lächelnd, frei von Spott, wie aus aufrichtigem Interesse. »Ich werde es mir merken, Sir.«

      »Brynnybryn?«

      »Ja, Diver, Mr. Robey, absolut.« Bryn sah ihn nicht an, nur wenn sie unter sich waren, sah er ihn an. »Wenn Sie sagen: Brate! – brat ich. Und wenn Sie sagen: Spring! – spring ich. Miss Simms war sich darüber nicht im Klaren.«

      »Ein halbes Nembutal, Bryn, wie wär’s? Oder gleich ein ganzes?«

      »Danke, verzichte. Ich meine … so Sie einverstanden sind, Mr. Robey.«

      »Er verzichtet. Ich will ihm das durchgehen lassen. Ihr Name, Miss, wie schreibt sich der? Mit Ypsilon? Symms?«

      »Mit i, Mr. Robey. Ich heiße Simms.«

      »Das hörte ich. Und weiter?«

      »Und weiter, Sir? Ich beantworte Ihnen ja gern alle Fragen, dazu bin ich da, aber ich muss Sie schon verstehen. Meinen Sie meinen Vornamen?«

      »Haben Sie einen? Oder sogar zwei, vielleicht drei?«

      »Mari, Sir. Auch Mari mit i – etwas ungewöhnlich, aber so ist es bei uns, vieles ungewöhnlich. Mari Simms. Ich freue mich, Sie begleiten zu dürfen, Mr. Robey.« Sie hielt ihm eine Hand hin.

      »Diver. Nennen Sie mich Diver. Diver mit i.«

      Mit einem Mal konnte er frei stehen. Kein Schwanken mehr. Ruhiger Geradeausflug. Endlich hatten sie ihre Flughöhe erreicht.

      Pluspunkt.

      Schluss! Ihr trat ja schon der Schweiß auf die Stirn. Aber immer noch lag kein Hauch Ironie oder gar Spott in ihrer Stimme.

      Er nahm die Hand nicht, sah ihr bloß in die Augen, und Mari Simms lächelte, schloss wie zum Einverständnis die dicht bewimperten Lider und ließ die Hand sinken.

      »Gut, Mari Simms. Ich gehe meine Arbeit machen, vorn bei dem jungen Mann, der uns hier durch die Gegend gondelt. Seien Sie nett und verraten Sie mir auch, wie er heißt. Damit haben Sie dann gleich die erste Eventualität.«

      »Der Pilot, Diver, Sir?«

      »Himmel, ja! Ihren Namen kenne ich jetzt, meinen schon seit fast vierzig Jahren und den dieses Herrn hier mindestens ebenso lang.« Er gab Meeks’ Lehne einen Klaps. Sie wackelte. Minuspunkt.

      Kurz, aber durchdringend blickte sie ihn an, als würde sie in seiner Miene zu lesen versuchen, was ihn derart aufbrachte. Sie würde es noch weit bringen, wenn nicht mal ein Satansbraten wie er sie dazu brachte, in Tränen auszubrechen oder ihn anzukeifen.

      »Edwyn«, sagte sie mit ihrem über jeden Zweifel erhabenen Akzent, und würdevoll fügte sie hinzu: »Anderson, Sir. Eddy ist der beste Flieger in ganz Merthyr Tydfil.«

      »Davon bin ich überzeugt, sweetheart. Danke.«

      So gut es ging, hielt er sich an den Wackellehnen fest und machte sich auf den Weg nach vorn zur Kanzel. Er spürte den Groll in sich aufsteigen und tastete nach der Flasche an seiner Brust. Diese Zerknirschung, wie ekelte sie ihn an.

      »Diver!«, sagte Miss Simms hinter ihm. Er drehte sich um und sah, dass sie Bryn ein Stück Papier gab, einen zusammengefalteten Zettel. Meeks schnallte sich ab, er kam durch die Sitzreihen nach vorn und reichte ihm das Papier.

      »Von der jungen Lady, Diver. Bitte, seien Sie nett zu ihr.«

      Er zog eine Grimasse und trat in die Kanzel.

      Er steckte den Zettel ein und genoss es, nicht zu wissen, was darauf stand. Den Namen des Piloten hatte er schon wieder vergessen. Andy Edison, oder wie immer er hieß, war Waliser wie Bryn, so viel war sicher, man hörte es, sobald er den Mund aufmachte. Er war noch keine 25, hatte die Airrant aber gut im Griff. Der junge Flieger war nicht das Problem.

      500 Meter über den Wolken spürte man nichts mehr von dem Monsun über dem Flugplatz mit dem unaussprechlichen Namen. Die Böen waren abgeflaut, der Wind hatte es aufgegeben, den Rumpf hin und her zu werfen und die Tragflächen flattern zu lassen wie bei einem silbernen Riesenschmetterling.

      Laut war es in jedem Cockpit gewesen, das er sich in der Luft angesehen hatte, lauter zumindest als in der Passagierkabine. Hier in diesem Vogel allerdings musste er sich fragen, wie der Jüngling, der ihn steuerte, es in der Kanzel überhaupt aushielt. Alles zitterte, rappelte, wummerte. Vor lauter Dröhnen schienen die Dinge zu schreien, weil sie es nicht fassen konnten, fliegen zu sollen. Sie wollten nicht durch die Luft katapultiert werden.

      Wenn es stimmte, was der Junge ihm zurief, hatten die Leute, die dort unten lebten, seit Monaten die Sonne nicht gesehen. In dem schmalen Durchgang stehend registrierte er, dass es dort zugig war. Er nickte. So war ganz Europa – ein Schlamassel aus schlechtem Wetter, überkommenen Staatsformen, zusammengestohlenen Museen und hochtrabenden Plänen. Nirgends ließ es sich aushalten. In Paris gab es wenigstens Frauen, die tranken. Aber sonst? London war ein Witz, Rom ein Müllhaufen, Berlin eine lachhafte Bühne. Die einzigen Orte, an denen einer wie er nicht erstickte, waren drei, vier Hotels am Genfersee, die er nur deshalb noch nicht hatte kaufen lassen, weil ihn alles, was er besaß, nach zwei Wochen tödlich langweilte. Warum etwas kaufen, wenn es dann nichts mehr gab, wo er sich eine Nacht lang zerstreuen und am Morgen etwas Schlaf finden konnte. Es war kein Wunder, dass sich ein junges Luftfahrtgenie wie Sikorski in die Staaten absetzte. In Russland musste man erfrieren oder sich duellieren und über den Haufen schießen lassen, um bewundert zu werden. Europa hatte das Schafott für seine Verbrecher erfunden und stattdessen seine Könige damit geköpft. In Europa führte man jahrzehntelang Krieg, flüchtete sich in eine Revolution, errichtete jubelnd Ungetüme wie den Eiffelturm. Man baute Schiffe, die mit voller Kraft gegen Eisberge dampften oder sich gegenseitig versenkten. Was nützte es, wenn die Prachtbauten der Metropolen noch immer so protzig wirkten wie im Athen von Aristoteles. Von Europa war


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