Zu Vermieten. John Galsworthy

Zu Vermieten - John Galsworthy


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Makrone gegessen.« Doch langsam beruhigte er sich wieder, und das Gefühl, seine Angst rechtfertigen zu müssen, erwachte wieder in ihm.

      »Mother Lee hat sich in mir gedreht und ganz arg gebrannt«, murmelte er.

      »Naja, Jon, was hast du auch anderes erwartet, wenn du nach dem Zubettgehen noch Makronen isst?«

      »Nur eine, Mama, das hat die Musik noch viel schöner gemacht. Ich habe auf dich gewartet – ich habe fast gedacht, es wäre morgen.«

      »Mein Spatz, es ist erst elf Uhr.«

      Der kleine Jon schwieg und rieb seine Nase an ihrem Hals.

      »Mama, ist Papa in deinem Zimmer?«

      »Heute Nacht nicht.«

      »Kann ich zu dir kommen?«

      »Wenn du möchtest, mein Schatz.«

      Wieder halb er selbst, trat der kleine Jon einen Schritt zurück.

      »Du siehst anders aus, Mama, viel jünger.«

      »Das liegt am Haar, Schatz.«

      Der kleine Jon umfasste es, dick, dunkelgolden mit ein paar silbernen Strähnen.

      »Es gefällt mir«, sagte er. »So gefällst du mir am besten.«

      Er nahm ihre Hand und zog sie Richtung Tür. Nachdem sie hindurchgegangen waren, schloss er sie mit einem Seufzer der Erleichterung.

      »Welche Seite vom Bett willst du haben, Mama?«

      »Die linke Seite.«

      »Na gut.«

      Damit sie keine Gelegenheit hatte, es sich anders zu überlegen, vertat der kleine Jon keine Zeit, sondern stieg gleich in das Bett, das viel weicher als sein eigenes schien. Er seufzte noch einmal, drückte den Kopf ins Kissen und lag da und betrachtete die Schlacht der Streitwägen und Schwerter und Speere, die immer außerhalb von wollenen Bettdecken tobte, von denen die kleinen Härchen gegen das Licht in die Höhe standen.

      »Da war wirklich nichts, oder?«, sagte er.

      Seine Mutter, die vor ihrem Spiegel saß, antwortete: »Nichts außer dem Mond und deiner aufgeheizten Fantasie. Du darfst dich nicht so hineinsteigern, Jon.«

      Doch der kleine Jon, der seine Nerven noch immer nicht wieder vollständig unter Kontrolle hatte, erwiderte prahlerisch: »Natürlich hatte ich eigentlich gar nicht wirklich Angst!« Und wieder beobachtete er die Speere und Streitwägen. Das schien alles sehr lang zu dauern.

      »Oh, Mama, beeil dich!«

      »Liebling, ich muss mir die Haare flechten.«

      »Ach, heute Nacht nicht. Morgen musst du sie eh nur wieder aufflechten. Ich bin jetzt zum Einschlafen müde, wenn du nicht kommst, kann ich so schnell nicht wieder zum Einschlafen müde sein.«

      Seine Mutter stand weiß und fließend vor dem dreiteiligen Spiegel, er konnte sie dreimal sehen, mit nach vorne gebeugtem Hals und vom Licht beschienenem Haar und einem Lächeln in ihren dunklen Augen. Es war unnötig und er sagte: »Komm jetzt, Mama, ich warte.«

      »Na schön, mein Schatz, ich komme.«

      Der kleine Jon machte die Augen zu. Alles nahm einen höchst zufriedenstellenden Ausgang, sie musste sich nur beeilen! Er spürte, wie das Bett wackelte, sie stieg hinein. Und mit noch immer geschlossenen Augen sagte er schläfrig: »Das ist schön, oder?«

      Er hörte ihre Stimme, spürte ihre Lippen auf seiner Nase, kuschelte sich neben sie, die wachlag und ihn mit ihren liebevollen Gedanken umarmte, und fiel in den traumlosen Schlaf, der seine Vergangenheit abschloss.

      Zu Vermieten

      »Aus beider Feinde unheilvollem Schoß

      Entspringt ein Liebespaar, unsternbedroht.«

      Romeo und Julia.

      Für Charles Scribner

      Teil I

      Am Nachmittag des zwölften Mai 1920 verließ Soames Forsyte das Knightsbridge Hotel, in dem er gerade logierte, mit der Absicht, eine Gemäldeausstellung in einer Galerie in der Nähe der Cork Street zu besuchen und einen Blick in die Zukunft zu werfen. Er ging zu Fuß. Seit dem Krieg nahm er kein Taxi mehr, wenn es nicht sein musste. Die Fahrer waren, seiner Meinung nach, ungehobelte Kerle, obwohl sie nun, wo der Krieg vorbei war und das Angebot langsam wieder größer als die Nachfrage wurde, der Gewohnheit der menschlichen Natur entsprechend wieder höflicher wurden. Dennoch hatte er ­ihnen nicht verziehen, denn er verband sie untrennbar mit düsteren Erinnerungen und nun, wie alle Angehörigen ihrer Klasse, vage mit Revolution. Die große Angst, die er während des Krieges durchlebt hatte, und die noch größere Angst, die er seither im Frieden hatte ausstehen müssen, hatte sich auf die Psyche eines Menschen von zäher Beharrlichkeit ausgewirkt. Er hatte im Geiste so oft den Ruin erlebt, dass er aufgehört hatte, zu glauben, dass er tatsächlich möglich wäre. Wenn man viertausend pro Jahr für Einkommenssteuer und Steueraufschlag hinblättern musste, konnte es einem ja wohl kaum noch schlechter gehen! Ein Vermögen von einer Viertelmillion, nur durch eine Ehefrau und eine Tochter belastet und auf verschiedenste Weisen investiert, gewährte verlässliche Garantie, selbst gegen jene »abenteuerliche Idee« – eine Steuer auf Kapital. Und was die Konfiszierung von Kriegsgewinnen anbetraf, da war er absolut dafür, denn er hatte keine, und »das geschah den Kerlen nur recht!« Außerdem hatten Bilder eher noch an Wert gewonnen und mit seiner Sammlung war es seit Kriegsbeginn besser gelaufen als je zuvor. Auch die Luftangriffe hatten sich positiv auf ein von Natur aus vorsichtiges Wesen ausgewirkt und einen bereits zähen Charakter noch härter gemacht. Die Gefahr des vollständigen Verschwindens ließ einen weniger besorgt über das nur partielle Schwinden durch Abgaben und Steuern sein, während das gewohnheitsmäßige Verfluchen der Unverschämtheit der Deutschen ganz natürlich dazu geführt hatte, die Unverschämtheit der Labour-Leute zu verfluchen, wenn nicht offen, so doch zumindest im Innersten seiner Seele.

      Er ging zu Fuß. Er hatte ohnehin noch Zeit genug, denn er wollte sich um vier Uhr mit Fleur in der Galerie treffen, und es war erst halb drei. Es tat ihm gut, zu Fuß zu gehen – seine Leber drückte ihn ein wenig und seine Nerven waren ziemlich strapaziert. Seine Frau war immerzu unterwegs, wenn sie in London war, und seine Tochter trieb sich ebenfalls immer herum, wie die meisten jungen Frauen seit dem Krieg. Dennoch sollte er dankbar sein, dass sie noch zu jung gewesen war, um selbst irgendetwas in diesem Krieg geleistet zu haben. Natürlich hatte er den Krieg von Anfang an unterstützt, mit ganzer Seele, doch zwischen dieser Form der Unterstützung und der Unterstützung des Krieges mit den Körpern seiner Frau und Tochter lag eine Kluft, die auf etwas Altmodischem in ihm gründete, das Gefühlsüberschwang verabscheute. Er war zum Beispiel entschieden dagegen gewesen, dass Annette, so attraktiv und 1914 erst vierunddreißig, in ihr Heimatland Frankreich ging, ihr »chère patrie«, wie sie es, angeregt durch den Krieg, zu nennen begonnen hatte, um ihre »braves Poilus« zu pflegen – sicher nicht! Ihre Gesundheit und ihr Aussehen ruinieren! Als ob sie tatsächlich eine Krankenschwester wäre! Das hatte er nicht zugelassen. Sollte sie doch zu Hause für sie nähen oder stricken! Folglich war sie nicht gegangen und nie wieder ganz dieselbe gewesen. Sie neigte dazu, ihn zu verspotten, nicht offen, sondern durch ständige kleine Bemerkungen, und dieser unschöne Zug hatte sich verstärkt. Was Fleur anbetraf, so hatte der Krieg die strittige Frage geklärt, ob sie zur Schule gehen sollte oder nicht. Es war besser, sie war weit weg von ihrer Mutter in ihrer Kriegsstimmung, von der Gefahr von Luftangriffen und von der Anregung zu überzogenem Verhalten, also hatte er sie in einem Internat untergebracht, das so weit im Westen lag, wie es ihm mit exzellenter Qualität vereinbar erschien, und sie schrecklich vermisst. Fleur! Er hatte den etwas ungewöhnlichen Namen, für den er sich bei ihrer Geburt so plötzlich entschieden hatte, nie bereut – auch wenn es ein deutliches Zugeständnis an die Franzosen gewesen war. Fleur! Ein hübscher Name – ein hübsches Kind! Aber unstet – zu unstet, und eigensinnig! Und sie wusste, welche Macht sie über ihren Vater hatte! Soames dachte oft darüber nach, dass es ein Fehler war, so in seine Tochter vernarrt zu sein. Alt und vernarrt! Fünfundsechzig!


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