Zu Vermieten. John Galsworthy

Zu Vermieten - John Galsworthy


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erwiesen. Er hatte einmal in seinem Leben wahre Leidenschaft empfunden – für seine erste Frau – Irene. Ja, und dieser Kerl, sein Cousin Jolyon, der mit ihr auf und davon war, sah sehr tattrig aus, hieß es. Kein Wunder mit zweiundsiebzig, nach zwanzig Jahren in dritter Ehe!

      Soames blieb einen Augenblick stehen, um sich über das Geländer der Rotten Row zu beugen. Ein passender Ort, um Erinnerungen nachzuhängen, auf halbem Weg zwischen jenem Haus in der Park Lane, in dem er geboren worden war und in dem seine Eltern gestorben waren, und dem kleinen Haus am Montpellier Square, in dem er vor fünfunddreißig Jahren seine erste Ausgabe des Ehelebens genossen hatte. Nun, nach zwanzig Jahren der zweiten Ausgabe, erschien ihm jene alte Tragödie wie ein früheres Leben – das geendet hatte, als Fleur anstelle des Sohnes, auf den er gehofft hatte, geboren wurde. Er hatte vor vielen Jahren aufgehört, auch nur ansatzweise zu bedauern, dass er keinen Sohn bekommen hatte, Fleur war die Erfüllung seines Herzenswunsches. Sie trug schließlich seinen Namen, und er freute sich ganz und gar nicht auf den Tag, an dem sich das ändern würde. Wenn er überhaupt je über ein solches Unglück nachdachte, machte ihm das vage Gefühl, dass er sie reich genug machen konnte, um vielleicht den Namen des Kerls, der sie heiraten würde, zu erkaufen und auszulöschen, die Vorstellung schmackhafter – warum nicht, wo doch nun Frauen und Männer scheinbar gleichberechtigt waren? Und Soames, der insgeheim überzeugt war, dass sie das nicht waren, strich sich mit gewölbter Hand fest über das Gesicht, bis er das tröstende Kinn erreichte. Dank seiner enthaltsamen Lebensweise war er nicht dick und schlaff geworden, seine Nase war blass und schmal, sein grauer Schnurrbart kurz geschnitten, seine Sehkraft unbeeinträchtigt. Eine leicht gebeugte Haltung verengte und korrigierte die Ausdehnung seines Gesichts durch das Höherwerden seiner Stirn aufgrund des Lichterwerdens seines grauen Haars. Die Zeit hatte wenig Veränderung bei dem betuchtesten der jungen Forsytes bewirkt, wie der letzte der alten Forsytes – Timothy, nun in seinem hundertersten Lebensjahr – es ausgedrückt hätte.

      Der Schatten der Platanen fiel auf seinen eleganten Homburg, Zylinder trug er nicht mehr – in Zeiten wie diesen war es nicht von Nutzen, Aufmerksamkeit auf Reichtum zu lenken. Platanen! Seine Gedanken wanderten jäh nach Madrid – Ostern vor dem Krieg, als er sich wegen eines Bildes von Goya entscheiden musste und deshalb eine Forschungsreise unternommen hatte, um den Maler vor Ort zu studieren. Der Mann hatte ihn beeindruckt – große Bandbreite, ein echtes Genie! So hoch der Kerl auch gehandelt werden mochte, er würde noch höher gehandelt werden, ehe sie mit ihm fertig waren. Der zweite Goya-Hype würde noch größer sein als der erste, oh ja! Und er hatte gekauft. Während dieser Reise hatte er – was er noch nie zuvor getan hatte – eine Kopie eines Freskogemäldes mit dem Titel »La Vendimia« in Auftrag gegeben, auf dem ein Mädchen abgebildet war, einen Arm in die Seite gestemmt, das ihn an seine Tochter erinnert hatte. Er hatte sie nun in seiner Galerie in Mapledurham, sie war ziemlich kläglich – man konnte Goya nicht kopieren. Trotzdem betrachtete er sie immer, wenn seine Tochter nicht da war, denn etwas in der graziösen, aufrechten Balance der Gestalt, dem Abstand zwischen den gebogenen Augenbrauen, der lebhaften Verträumtheit der dunklen Augen erinnerte ihn auf unwiderstehliche Weise an sie. Seltsam, dass Fleur dunkle Augen hatte, wo doch seine eigenen grau waren – kein reiner Forsyte hatte braune Augen – und die ihrer Mutter blau! Aber natürlich waren die Augen ihrer Großmutter Lamotte dunkel wie Zuckerrübensirup!

      Er ging weiter Richtung Hyde Park Corner. In ganz England gab es keinen anderen Ort, an dem sich so viel verändert hatte, wie in der Rotten Row! Da er fast in Rufweite von ihr geboren worden war, konnte er sich an sie ab 1860 erinnern. Als Kind hatte man ihn hierher zwischen die Reifröcke gebracht, um Dandys mit engen Hosen und Koteletten anzustarren, die in militärischer Haltung auf ihren Pferden saßen, um das Lüften von weißen Zylindern mit gebo­gener Krempe zu beobachten, die Atmosphäre von Gemächlichkeit bei alledem und den kleinen krummbeinigen Mann mit langer roter Weste, der sich immer mit Hunden an mehreren Leinen unter das vornehme Volk mischte und versuchte, seiner Mutter einen davon zu verkaufen: King Charles Spaniels, Italienische Windspiele, die von ihrem Reifrock angetan waren – jetzt gab es das alles nicht mehr zu sehen. Es gab tatsächlich überhaupt keine Vornehmheit mehr zu sehen, nur Arbeiter, die stumpfsinnig nebeneinandersaßen und nichts anzustarren hatten außer ein paar jungen drallen Frauen mit Bowlern, die im Herrensitz ritten, oder unsteten Leuten aus den Kolonien, die auf elend aussehenden Gäulen auf und ab ritten, und hier und da kleinen Mädchen auf Ponys, oder alten Herren, die ihre Leber auf Trab brachten, oder einer Ordonnanz, die sich an einem großen einherstolzierenden Kavalleriepferd versuchte, keine Vollblüter, keine Reitknechte, kein Verbeugen, kein Bückling, kein Getratsche – nichts, nur die Bäume waren noch dieselben – den Bäumen waren die Generationen und der Niedergang der Menschheit einerlei. Ein demokratisches England – chaotisch, hektisch, laut und anscheinend ohne Spitze. Und jene heikle, anspruchsvolle Seite in Soames’ Wesen regte sich. Sie waren für immer Vergangenheit, die exklusiven Kreise von Klasse und Schliff! Wohlstand gab es noch – oh ja! Wohlstand! – er selbst war reicher, als sein Vater es jemals gewesen war. Doch Distinguiertheit, Atmosphäre, Vornehmheit – alles dahin, verschlungen von einem einzigen riesigen, hässlichen, hektischen, nach Benzin stinkenden Rummel. Kleine halbbesiegte Rudimente von Vornehmheit und gesellschaftlicher Klasse hielten sich noch hie und da im Verborgenen, verstreut und chétif, wie Annette sagen würde, aber nichts würde je wieder so solide und in sich geschlossen sein, dass man dazu aufsehen konnte. Und in diesen Wirrwarr von schlechten Manieren und lockerer Moral war seine Tochter – die Blüte seines Lebens – hineingeworfen worden! Und wenn diese Typen von der Labourpartei an die Macht kamen – falls es je soweit kommen würde –, dann stand das Schlimmste noch bevor.

      Er ging unter dem Torbogen hindurch, der – Gott sei Dank! – endlich nicht mehr durch das Rauchgrau seines Scheinwerfers verunstaltet wurde. Die sollten besser dort einen Scheinwerfer hinstellen, wo sie alle hingehen, dachte er, und ihre tolle Demokratie beleuchten! Und er lenkte seine Schritte an den Fronten der Klubs in der Piccadilly entlang. George Forsyte würde bestimmt im Erkerfenster des Iseeum sitzen. Der Kerl war inzwischen so massig, dass er fast seine gesamte Zeit dort verbrachte, wie ein stetes, sardonisches, humorvolles Auge, das den Niedergang der Menschen und ihrer Welt beobachtete. Und Soames ging schnell weiter, da er sich unter dem Blick seines Cousins immer unbehaglich fühlte. George hatte, so war ihm zu Ohren gekommen, mitten im Krieg einen Brief mit der Unterschrift Patriot geschrieben, worin er sich über die Hysterie der Regierung bezüglich der Kürzung des Hafers für Rennpferde beklagte. Ja, da saß er, groß, massig, gepflegt, glattrasiert, mit glattem, kaum dünner gewordenen, ganz sicher nach dem besten Haarwasser duftenden Haar und einem Pferderennprogramm in der Hand. Nun, der veränderte sich nicht! Und vielleicht das erste Mal in seinem Leben empfand Soames für jenen spöttischen Verwandten ein leises Gefühl von so etwas wie Sympathie hinter seiner Weste.

      Mit seiner Masse, seinem perfekt gescheitelten Haar und seinem stieren Blick war er ein Garant, dass die alte Ordnung noch ein paar Veränderungen wegstecken konnte. Er sah George mit dem Rennprogramm winken, als wolle er ihn einladen, zu ihm zu kommen – bestimmt wollte er ihn etwas wegen seines Vermögens fragen. Es wurde noch immer von Soames geregelt, denn als er in jener schmerzlichen Zeit vor zwanzig Jahren, als er sich von Irene hatte scheiden lassen, eine stille Teilhaberschaft übernommen hatte, hatte Soames fast unbewusst die Handhabung aller reinen Forsyte-Angelegenheiten übernommen.

      Er zögerte nur kurz, nickte dann und ging hinein. Seit dem Tod seines Schwagers Montague Dartie in Paris, den niemand so recht einordnen hatte können, außer dass es wohl sicherlich kein Selbstmord gewesen war, erschien der Iseeum Soames respektabler. Auch George hatte sich, wie er wusste, die Hörner endgültig ab­gestoßen, widmete sich nun ausschließlich den Tafelfreuden und aß nur vom Allerbesten, um sein Gewicht zu halten, und besaß, wie er sagte, »nur noch ein, zwei alte Gäule, um das Leben interessant zu machen«. Daher empfand er nicht jenes peinliche Gefühl der Unangemessenheit, das er sonst immer gehabt hatte, als er sich zu seinem Cousin ins Erkerfenster gesellte. George streckte ihm eine gut gepflegte Hand entgegen.

      »Habe dich seit dem Krieg nicht mehr gesehen«, sagte er. »Wie geht es deiner Frau?«

      »Danke«, sagte Soames kühl, »ganz gut.«

      Ein stiller Spott verzog für einen Augenblick Georges fleischiges Gesicht und blitzte hämisch in seinen Augen auf.

      »Dieser


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