Endless Trust. Alexia Mayer-Kahlen

Endless Trust - Alexia Mayer-Kahlen


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lehnte ihren Kopf an die Gitterstäbe der Box. Alles in ihr war leer, so unendlich leer.

       „Vorhin bei den Paddocks habe ich dich für einen Moment gesehen, wie du deinen Kopf hochreißt und laut wieherst, so wie du es immer getan hast, wenn ich um die Ecke kam. Doch im nächsten Moment war da wieder … nichts. Vier Wochen schon, es ist alles so unwirklich. Jeder Gedanke an dich zerreißt mir mein Herz. Wieder und wieder. Dein zärtliches Brummeln, mit dem du mich begrüßt hast, wenn ich in den Stall gekommen bin, wie du an meiner Wange geknibbelt hast oder wie ich deine Muskeln unter mir spüren konnte, wenn wir ohne Sattel galoppiert sind; dein Stolz, deine Schönheit, deine Stärke. Janko, du fehlst mir so, so sehr.“

      Charly wurde von einem Schluchzen geschüttelt.

       „Irgendwie dachte ich immer, dass wir füreinander bestimmt sind, du und ich. Das darf doch nicht so einfach vorbei sein!“

      Nachdem sie sich etwas beruhigt hatte, starrte Charly eine Weile ins Leere. Dann schlich sich ein wehmütiges Lächeln auf ihr Gesicht.

       „Weißt du noch, Großer, wie es angefangen hat mit uns beiden? Vor viereinhalb Jahren? Wie ich dich zuerst gar nicht beachten wollte, weil ich nur die schicke schwarze Stute im Kopf hatte? Aber du, du hast von Anfang an um mich gekämpft, weil du wusstest, dass wir beide zusammengehören …“

      Pferd auf den zweiten Blick

      Die 12-jährige Charly lümmelte im Wohnzimmer auf dem Sofa und las. Maggie, die schwarze Labradorhündin der Familie, hatte es sich auf dem Teppich davor bequem gemacht und schlief.

      Gedankenverloren schob Charly ihre Füße unter Maggies warmen Bauch, während sie sich weiter in ihr Pferdebuch vertiefte. Plötzlich steckte ihre Mutter den Kopf zur Tür herein.

      „Charly, willst du mitkommen zu Andrea?“

      Maggie war blitzartig wach und begann, fröhlich zu bellen, als wollte sie sagen: Wenn ihr irgendetwas unternehmt, komme ich auf jeden Fall mit.

      Charly hingegen schüttelte nur träge den Kopf, ohne von ihrem Buch aufzublicken.

      „Echt nicht?“ Ihre ältere Schwester Jule war hinter der Mutter aufgetaucht und wippte ungeduldig mit dem Fuß.

      „Nee“, brummelte Charly und las weiter.

      „Wenn Charly hierbleibt, will ich auch hierbleiben“, tönte es aus einer Ecke des Raumes. War klar, dass Isa ihren Senf dazugeben musste. Charly schielte kurz zu ihrer 10-jährigen Schwester hinüber, die wie so oft irgendetwas am Computer daddelte.

      Die Sommer-Mädchen hatten alle drei lange blonde Haare und waren zierlich gebaut, und wenn man ihre Mutter Susanne sah, wusste man, warum.

      Diese ließ sich nun seufzend in einen Sessel sinken. „Ich versteh das nicht. Ihr seid alle drei so pferdebegeistert. Und jetzt habe ich bei der Rettungshundestaffel schon eine Kollegin, die euch eine Reitbeteiligung anbietet, und keiner will mit, um sich das Pferd auch nur anzusehen?“

      „Das stimmt nicht, Mama“, protestierte Jule. „Ich freue mich schon total!“

      „Und du, Charly?“, hakte Susanne Sommer erneut nach. „Charlotte?“

      Genervt hob Charly den Blick von ihrem Buch. „Was?“

      „Ich dachte, du träumst von einem eigenen Pflegepferd?“, beharrte ihre Mutter.

      „Ich steh nun mal nicht auf Friesen, Mama“, gab Charly zurück.

      „Friesen sind doch voll schön“, warf Jule ein. „Und der hier ist sogar ein Friesenhengst. Die sind so cool.“

      „Andrea kennt Janko seit seiner Geburt, und sie sagt, dass er ein ganz besonderes Pferd ist“, ergänzte Susanne Sommer.

      „Warum reitet sie ihn dann nicht selber?“, knurrte Charly und wandte sich wieder ihrem Buch zu.

      „Sie hat eben noch ihr Dressurpferd. Das nimmt ganz schön viel Zeit in Anspruch.“

      Bei dem Wort Dressurpferd saß Charly plötzlich kerzengrade auf dem Sofa.

      „Dressurpferd? Davon hast du gar nichts gesagt. Was für eine Rasse? Welche Prüfungen geht sie?“

      „Hannoveraner, glaube ich, aber meines Wissens nach sucht Andrea für Daisy keine Reitbeteiligung. Sie hat nur über Janko gesprochen“, erwiderte ihre Mutter.

      „Los, komm mit, vielleicht lässt sie dich Daisy ja mal reiten“, stupste Jule ihre Schwester an.

      „Wenn ihr alle geht, will ich aber auch mit“, meldete sich Isa wieder aus ihrer Computerecke, ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden.

      „Isa, was machst du da überhaupt die ganze Zeit?“, wandte sich Susanne Sommer an ihre jüngste Tochter.

      „Pferdevideos auf YouTube anschauen.“ Isa blinzelte über den Bildschirmrand und wandte sich mit einem flehenden Blick an ihre großen Schwestern.

      „Wenn ihr reitet, darf ich euch dann filmen?“

      Jule verdrehte die Augen. „Setz dich lieber selbst aufs Pferd.“

      „Los, Mädchen, ihr kommt jetzt alle mit“, rief Susanne Sommer energisch aus. Und zu Labrador Maggie gewandt: „Und du bleibst hier!“

      Der Privatstall, in dem neben Janko und Daisy noch vier andere Pferde standen, war eine gute halbe Stunde vom Haus der Sommers entfernt. Es gab einen Außenreitplatz und sogar eine kleine Halle. Als Charly aus dem Auto stieg, fiel ihr Blick direkt auf Janko, den seine Besitzerin Andrea am Putzplatz angebunden hatte.

      Obwohl nicht sonderlich groß, war der Friesenhengst eine beeindruckende Erscheinung mit tiefschwarzem Fell, langem Stirnschopf, wallender Mähne und dichtem Schweif. Eine kleine weiße Flocke auf seiner Stirn gab ihm ein verspieltes Aussehen. Charly musste gegen ihren Willen zugeben, dass er ein bildhübscher Kerl war.

      Beim Zuklappen der Autotüren spitzte er aufmerksam die Ohren.

      „Ich habe dem Bub schon erzählt, dass er gleich Besuch bekommt“, rief Andrea ihnen zu und legte das Putzzeug aus der Hand, um sie zu begrüßen. Sie war eine sportliche Frau Mitte dreißig und ihr offenes Lächeln gefiel Charly auf Anhieb.

      Jule stürzte gleich auf Janko zu, der für einen Hengst ungewöhnlich sanft und gut erzogen zu sein schien. Anstatt in üblicher Hengstmanier gleich an Jule herumzuknappen, beschnupperte er nur ruhig ihre Hand.

      „Das ist also Janko“, stellte Andrea ihn vor. „Er ist ein Hengst, sechs Jahre alt, aber sehr umgänglich, wie man sieht, und sobald er aufgetrenst ist und einen Sattel drauf hat, ist er ein echtes Verlasspferd. Sonst würde ich ihn gar nicht als Reitbeteiligung anbieten.“

      Auch Isa stand mittlerweile neben Jankos Kopf und kraulte ihn hinter den Ohren, was er sichtlich genoss.

      „Den würde ich total gerne mal einflechten“, plapperte sie gleich drauflos. „Vorne würde ich ihm einen langen Zopf machen und an der Seite so einen Bauernzopf flechten und das Ende am Widerrist lang runterhängen lassen.“

      Charly hielt sich etwas abseits.

      Es war ihr irgendwie peinlich, dass ihre Schwestern sich gleich so auf Janko gestürzt hatten. Vielleicht mochte er es ja gar nicht, so belagert zu werden.

      Andrea musterte die Mädchen.

      „Wer von euch dreien interessiert sich denn für Janko?“

      Bevor irgendwer antworten konnte, machte der Hengst einen langen Hals und begann, mit den Lippen zärtlich an Charlys Wange zu knibbeln.

      Charly blieb regungslos stehen. Für einen Moment tanzten tausend Schmetterlinge in ihrem Bauch.

      Andrea lachte auf. „Na, der Bub hat sich offenbar schon entschieden.“

      „Ich möchte ihn gerne als Pflegepferd haben“,


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