Endless Trust. Alexia Mayer-Kahlen
und trense auf und wir gehen auf den Reitplatz.“
Charly konnte sich des Gefühls nicht erwehren, als würde der Hengst sie die ganze Zeit beobachten, als warte er auf irgendetwas.
„Mama hat erzählt, dass Sie noch ein anderes Pferd haben“, stieß sie schnell hervor.
„Du kannst mich ruhig duzen“, erwiderte Andrea. „Ja, meine Hannoveraner Stute Daisy.“
„Charly ist total dressurbegeistert und durfte im letzten Sommer das alte S-Pferd ihrer Reitlehrerin pflegen und reiten“, warf Susanne Sommer jetzt ein.
Charly hätte ihre Mutter knutschen können und sandte ihr einen dankbaren Blick.
„Na, wenn das so ist, dann kannst du dich ja mal auf Daisy setzen“, zwinkerte Andrea ihr zu. „Hol sie doch gleich mal zum Putzen aus der Box. Halfter und Strick hängen außen an der Tür.“
„Cool“, jubelte Charly und schielte doch noch einmal schnell zu Janko hinüber.
Blickte der Hengst sie einen Moment lang traurig an oder bildete sie sich das nur ein?
Charly schob den Gedanken beiseite und führte stattdessen Daisy aus ihrer Box. Als sie die elegante Rappstute mit etwas Abstand neben Janko anband, baute er sich nicht auf oder machte sonst irgendwelche Anstalten, „hengstig“ zu werden.
„Der ist ja wirklich todbrav“, kommentierte Susanne Sommer sichtlich beeindruckt.
Charlys Mutter war früher selbst eine begeisterte Reiterin gewesen, und ihr Vater sagte immer, dass alle seine Mädchen das Pferde-Gen direkt von ihrer Mutter geerbt hätten.
Mit einem Lachen fügte Susanne Sommer nun hinzu: „Also, der könnte mir auch gefallen.“
„Friesen sind sehr freundlich und menschenbezogen“, kommentierte Andrea. „Klar, wenn eine rossige Stute kommt, kann Janko auch mal schnell hochfahren. Doch selbst da bekommt man ihn in der Regel gut wieder unter Kontrolle.“
„Darf ich ihn vielleicht auch mal reiten?“, meldete sich Isa.
„Erst ich“, warf Jule schnell ein.
Diesmal gab es keinen Zweifel: Janko blickte Charly direkt in die Augen, als wolle er sagen: Und was ist mit dir?
Für einen Moment bekam Charly eine Gänsehaut, dann wandte sie sich schnell Daisys Sattel zu.
Auf dem Reitplatz setzte sich Charly auf die hübsche Hannoveraner Stute und ließ sie erst mal am langen Zügel ganze Bahn gehen. Sie hatte einen taktsicheren, raumgreifenden Schritt und auf Charlys Mund schlich sich sofort ein kleines Lächeln.
Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie Janko an der Aufstiegshilfe nicht ruhig stehen bleiben wollte, sondern jedes Mal loswalzte, sobald Jule den Fuß in den Steigbügel setzte. Schließlich konnte diese sich schnell hochziehen und das Bein über den Sattel schwingen. Sobald ihre Schwester im Sattel saß, schaltete der Hengst drei Gänge runter und schlurfte bewegungsfaul über den Platz.
„Weck ihn auf!“, rief Andrea Jule zu. „Am Anfang muss man immer etwas arbeiten, damit er fleißig wird.“
Charly konzentrierte sich wieder auf Daisy und nahm die Zügel etwas auf, um einen Handwechsel zu reiten. Sofort reckte die Stute ihr Maul ans Gebiss und suchte die Anlehnung an Charlys Hand.
„Wow, die ist echt superfein“, rief sie Andrea begeistert zu.
Jule mühte sich inzwischen ab, damit Janko im Schritt mehr vorwärtsging.
„Trab ihn mal am langen Zügel an, da findet er leichter ins Vorwärts und in die Dehnung“, rief Andrea ihr zu.
Diese Gangart schien dem Hengst tatsächlich deutlich mehr zu liegen, und er fiel bereitwillig in einen ausdrucksstarken Trab mit hoher Knieaktion, wie sie für Friesen typisch war.
Wie will sie das denn sitzen?, schoss es Charly durch den Kopf.
Aber auf dem Gesicht ihrer Schwester erschien ein seliges Grinsen, als schwebe sie auf einer Wolke. Und wirklich dehnte der Hengst jetzt im Trab den Kopf mehr nach vorne und ans Gebiss heran.
Charly trabte mit Daisy ebenfalls an und begann, einfache Bahnfiguren zu reiten. Die Stute war wirklich hervorragend ausgebildet. Jede feinste Gewichts- und Schenkelhilfe von Charly nahm sie sofort an und setzte sie um.
„Ihr seht richtig harmonisch zusammen aus“, rief Andrea zu Charly herüber. „Reite mal ein paar Wechsel aus dem Zirkel und durch den Zirkel, um sie ein bisschen mehr in die Biegung zu bringen.“
Charly folgte Andreas Anweisung, und die Stute schnaubte ab und begann, auf dem Gebiss zu kauen.
„Sie fühlt sich wohl mit dir, das sieht man“, nickte Andrea, als sie das nächste Mal an ihr vorbeikamen. „Du hast eine schöne weiche Hand.“
Jule versuchte inzwischen, Janko auf der linken Hand anzugaloppieren, aber anstatt ihrer Hilfe zu folgen, fiel der Hengst nur in einen starken Mitteltrab, den zu sitzen Jule offenbar einiges kostete.
„Durchparieren“, trompetete Andrea. „Du darfst ihn nicht in den Galopp treiben, sonst gewöhnt er sich das an.“
Jule hatte mittlerweile vor lauter Anstrengung einen puterroten Kopf und versuchte in der nächsten Ecke erneut, den Hengst anzugaloppieren.
Diesmal sprang Janko mit einem Riesensatz an, allerdings nicht im erhofften Links-, sondern in einem holprigen Kreuzgalopp.
„Stopp, Stopp!“, rief Andrea. „Lass das mal mit dem Linksgalopp, Jule. Das müssen wir richtig üben, er ist ja noch lange nicht fertig ausgebildet. Rechts springt er besser an.“
Charly fing Jules Blick auf.
Schaute ihre große Schwester so angefressen, weil sie es auf der perfekt ausgebildeten Daisy viel einfacher hatte?
Beim Trockenreiten am Ende der Stunde gesellte sich Charly neben Jule und meinte versöhnlich: „Das musst du unbedingt mit ihm üben, an der Aufstiegshilfe still zu stehen. Wenn du willst, helfe ich dir dabei.“
„Wenn ich deine Hilfe brauche, dann sag ich das schon“, schnappte Jule.
Auf der Rückfahrt herrschte im Wagen eine ungewöhnliche Stille. Schließlich brach Susanne Sommer das Schweigen. „Dafür, dass gerade eben jede von euch ein Pflegepferd bekommen hat, ist die Stimmung aber reichlich gedämpft.“
Sie blickte über den Rückspiegel nach hinten. „Charly, du müsstest dich doch ganz besonders freuen, dass Andrea dich Daisy reiten lässt, obwohl sie sie zuerst gar nicht abgeben wollte.“
Charly nickte etwas beschämt. Ihre Mutter hatte recht. Es war eine Riesenchance, ein so gut ausgebildetes Pferd reiten zu dürfen. Andrea verstand offenbar eine ganze Menge von Pferden und sie konnte viel von ihr lernen. Und bald würde sie mit Daisy sicher schon erste Prüfungen gehen, wenn Andrea es erlaubte. Ein Herzenswunsch war in Erfüllung gegangen und trotzdem fühlte Charly sich irgendwie nicht so.
Sie blickte hinüber zu Jule, die neben ihr saß und aus dem Fenster schaute. Ihre große Schwester sah ebenfalls nicht so aus, als ob sie vor Glück platzen könnte. Hatte sie nicht immer davon geträumt, einen Friesenhengst zu reiten? Und nun hatte sie sogar einen als Pflegepferd!
Charly stupste Jule in die Seite.
„Bist du sauer?“
Jule brummelte: „Du kannst ja nichts dafür, dass Janko so anstrengend zu reiten ist. Hatte ich mir halt irgendwie anders vorgestellt.“
„Das wird schon“, entgegnete Charly lahm.
Sie hätte es an Jules Stelle eigentlich spannend gefunden, mit einem jungen Pferd zu arbeiten. Da war noch nichts geformt, nichts verdorben. Irgendwie ein weißes Blatt, das man ganz neu beschreiben durfte.
Charly atmete einmal tief durch. Sie hatte keine Lust mehr auf die miese Stimmung. Eigentlich war doch alles in bester Ordnung! „Morgen Pferdeshopping?“, wechselte sie das Thema.
Auf