Endless Trust. Alexia Mayer-Kahlen
vor der Leinwand versammelt hatten, trat Isa vor sie hin und räusperte sich.
„Liebe Mama, lieber Papa, liebe Jule und Charly. Ich filme euch und die Pferde ja jetzt schon seit einigen Monaten, und es hat mir total Spaß gemacht, daraus einen richtigen Film mit Musik zu schneiden. Ich liebe Pferde über alles, aber ich habe gemerkt, dass ich sie lieber vor der Kamera habe, als auf ihnen zu sitzen, obwohl das auch okay ist. Ich habe den Film „Janko und Daisy“ genannt, weil die Pferde ja doch irgendwie die Hauptdarsteller sind. Und jetzt wünsche ich euch gute Unterhaltung und viel Spaß!“
Isa startete ihren Film. Auf der Leinwand erschien der Titel und es setzte Musik ein. Die nächsten zwanzig Minuten folgte ein bunter Zusammenschnitt von Bildern und Sequenzen der letzten Monate, und Charly stellte erstaunt fest, dass Isa viel mehr gefilmt hatte, als sie mitbekommen hatte. Vor allem schien ihre kleine Schwester ein feines Gespür dafür zu haben, die besonderen und innigen Momente zwischen den Mädchen und Pferden einzufangen. Natürlich waren auch jede Menge Reitsequenzen dabei, und während sie sich dort auf der Leinwand auf Daisy reiten sah, schickte sie einen stillen Dank an die Stute. Sie hatte so viel auf Daisy gelernt. Wahrscheinlich hatte sie sie erst darauf vorbereitet, jetzt Janko reiten zu können. Wenn Andrea es erlaubt, flüsterte eine mahnende Stimme in ihrem Kopf, aber Charly schob den Gedanken schnell beiseite und konzentrierte sich weiter auf den Film.
Isa hatte auch viele komische Szenen erfasst, etwa wie Janko seine Fliegendecke immer wieder runterzog oder sich selbst mit dem Halfterstrick im Maul spazieren führte. Und natürlich die Kussi-Sequenz mit Charly.
Isas Musikauswahl setzte dem Ganzen das i-Tüpfelchen auf, und als der Film vorbei war, brandete der frischgebackenen Filmemacherin tosender Applaus von der ganzen Familie entgegen. Selbst Maggie stimmte mit einem fröhlichen Bellen ein.
Isa strahlte übers ganze Gesicht und wurde ein bisschen rot, als erst ihr Vater und dann auch die anderen „Zugabe, Zugabe“ riefen.
Doch sie fing sich schnell wieder, hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen, und meinte dann mit triumphierendem Lächeln: „Ich habe noch was. Es ist nur sehr kurz, aber ich glaube, es wird euch gefallen.“
Isa klickte kurz herum, die Leinwand wurde schwarz und dann erschien darauf der weiße Titel „TRUST – Vertrauen“.
In schwarz-weißen Bildern folgte zu einer berührenden Klaviermusik die kurze Sequenz, wie Janko mit Charly auf dem Rücken ohne das kleinste Zögern in den See ging und dort mit ihr schwamm.
War es etwas im Ausdruck des Hengstes? Oder in Charlys Gesicht? War es die Stimmung der Musik? Das Gefühl von tiefem Vertrauen, das die Bilder auf unglaublich echte Weise rüberbrachten? Charly konnte es nicht genau sagen, aber plötzlich liefen ihr Tränen über die Wangen, und als sie zu ihrer Mutter, Jule und Papa hinüberschaute, war es bei ihnen nicht anders. Die ganze Familie saß auf dem Sofa und schluchzte tief bewegt.
Susanne Sommer fand als Erste die Sprache wieder.
„Isa! Das ist ja wunder-, wunderschön. Ich habe gar keine Worte dafür.“
Isa blickte ein wenig verlegen zu Boden. „Ich hab beim Schneiden auch geheult.“
Susanne Sommer wandte sich an ihre mittlere Tochter.
„Ich hatte ja keine Ahnung, dass zwischen dir und Janko so eine enge Beziehung besteht.“
Charly blickte ihre Mutter an. „Kannst du vielleicht morgen mit uns zum Stall fahren? Wir wollen mit Andrea reden. Ich möchte Janko mehr als alles auf der Welt als Pflegepferd haben.“
Susanne Sommer blickte zu Jule herüber.
Die nickte nur und meinte: „Passt schon.“
„Also wenn ihr mich fragt, der erste Film ist sehr gut, aber der letzte Film ist oscarverdächtig“, ließ sich nun Theo Sommer hören. „Den müsst ihr unbedingt ins Netz stellen.“
Als Andrea am Montag zum Stall kam, baten die Mädchen sie gleich auf die Bank im Hof, wo Susanne Sommer schon wartete.
Andrea blickte sie aufmerksam an. „Was gibt es denn so Wichtiges zu besprechen, dass ihr sogar eure Mutter mitbringt?“
Charly spürte, wie ihr Herz wild zu klopfen begann. Fast hatte sie Angst, die anderen könnten es hören, so laut kam es ihr vor. Dann fing sie einfach an zu sprechen.
„Ich habe immer gedacht, dass es mein größter Traum wäre, auf einem Warmblut wie Daisy Dressur zu reiten. Und das ist auch superschön und ich habe total viel von ihr gelernt.“
Sie blickte einen Moment in die Ferne, als suche sie nach den richtigen Worten.
„Janko läuft überhaupt nicht perfekt und wird auch nie so laufen wie Daisy. Aber es hat mit uns von Anfang an einfach gepasst, auch wenn ich das zuerst nicht wahrhaben wollte. Und darum wollte ich dich fragen, ob du ihn mir als Pflegepferd gibst. Bitte.“
Auf Andreas Gesicht erschien ein feines Lächeln.
„Weißt du, Charly, ich habe vom ersten Moment an gespürt, dass du und Janko eine ganz besondere Beziehung habt. Aber es gibt Sachen, die muss man selber rausfinden. Als du mich das erste Mal gefragt hast, kam mir das eher wie eine Laune vor. Aber daran, wie du jetzt über ihn sprichst, merke ich, dass du verstanden hast, worauf es bei Janko ankommt und wofür du dich entscheidest. Ich freue mich sehr für dich, und besonders natürlich für den Bub, dass ihr zusammengefunden habt.“
Sie wandte sich an Jule: „Und du?“
„Also, dass Janko total auf Charly steht, habe ich gleich gesehen. Aber sie wollte halt unbedingt richtig Dressur reiten und ich fand schon immer Friesen superschön und so hat es am Anfang gepasst. Wenn ich ganz ehrlich bin, wünsche ich mir zum Reiten ein anderes Pferd als Janko. Und eigentlich auch als Daisy.“
Vier Augenpaare blickten Jule erwartungsvoll an.
Sie hob den Kopf. „Am liebsten würde ich springen.“
„Das kann ich dir leider nicht bieten“, nickte Andrea. „Aber vielleicht passt ja dann, was ich euch erzählen wollte.“ Sie fuhr fort: „Ich habe mich aus persönlichen Gründen dazu entschlossen, mit meinen Pferden hier aus dem Stall wegzugehen. Vor zwei Wochen habe ich einen neuen Stall gefunden, wo es kein Problem ist, einen Hengst zu halten.“
Charly stockte der Atem.
„Er ist übrigens ganz in eurer Nähe“, fügte Andrea beiläufig hinzu.
Während Charly noch dabei war, ihre Gedanken zu sortieren, nickte Jule begeistert.
„Wo ist das denn?“
„Es ist der Birkenhof, der müsste gleich bei euch um die Ecke sein“, antwortete Andrea.
„Cool“, rief Isa aus.
Am Birkenhof kamen sie auf dem Weg zur Schule jeden Tag vorbei. Es war eine großzügige Anlage aus rotem Backstein, von Koppeln umgeben, mit Außenspringplatz und einer großen Halle.
Susanne Sommer stieß einen Seufzer aus. „Da fällt mir wirklich ein Stein vom Herzen. Ich habe mich eh schon gefragt, wie das mit den langen Busfahrten hierher im Winter werden soll, wo es schon so früh dunkel ist. Am Birkenhof sind die Mädchen ja mit dem Rad in fünf Minuten. Und alles über beleuchtete Straßen.“
Nun war endlich auch bei Charly der Groschen gefallen.
Birkenhof. Das hieß, dass Janko jetzt so nah stehen würde, dass sie ihn an den Tagen, wo sie nicht „dran“ war, trotzdem einfach besuchen oder auf der Koppel mit ihm schmusen konnte. Und noch besser: Sie konnte mit Jule zusammen am selben Stall bleiben, denn ihre große Schwester würde auf dem Birkenhof bestimmt ein Pflegepferd finden, das zu ihr passte.
„Mega! Das ist ja meeeeega!“, rief Charly befreit aus.
Isa stimmte zu: „Und wisst ihr was? Wenn Jule ein neues Pflegepferd hat, machen wir unseren eigenen Kanal auf YouTube und nennen den: Die Pferdegirls vom Birkenhof. Oder noch besser: Die Birkengirls. Wenn du willst, Andrea, kann ich dich und Daisy auch filmen und einstellen.“