Aus den Akten der Agence O. Georges Simenon
du Lac … Sie müssen kommen, aber bitte versprechen Sie mir, dass Sie der Polizei nichts sagen! Heute Morgen habe ich eine Leiche im Schuppen entdeckt … Hallo?«
»Ich höre …«
Unterdessen schreibt Émile, der alles genau nimmt, ein stenographisches Protokoll dieser seltsamen Mitteilung.
»Hallo! Mein Mann darf nicht wissen, dass ich mit Ihnen spreche … Ich beobachte ihn die ganze Zeit aus dem Fenster … Er weiß nicht, dass ich es weiß, verstehen Sie?«
»Um wessen Leiche handelt es sich?«
»Ich glaube … Ich habe sie nicht deutlich gesehen, es war halb dunkel, aber ich glaube, es ist die von Jean Marchons, einem Freund von uns. Er hängt an einem Balken …«
»Hm … Also ein Suizid?«
»Ich weiß nicht … Ich glaube nicht … Kommen Sie … Bevor Sie zum Schloss kommen, gehen Sie zum Schuppen, direkt am Ufer des Teichs. Sie werden ihn ganz leicht finden. Die Tür ist nicht abgeschlossen. Ich habe Angst … Achtung! Ich glaube, er kommt zurück …«
Arpajon … Étampes … Pithiviers … Sie haben den Eindruck, allein auf der Straße zu sein, und wenn doch einmal ein Wagen überholt, sind es Pariser auf dem Weg zur Entenjagd. Der Wald ist alles andere als einladend, mit seinen schwarzen Stämmen, die sich vor dem Weiß des Himmels abzeichnen. Nachdem sie das Auto neben der Kirche von Ingrannes geparkt haben, betreten die beiden Männer den Gasthof.
Vielleicht ist dieser Landstrich zu anderen Zeiten einnehmender, aber bei dem derzeit herrschenden Wetter wirkt alles nur schwarz und weiß wie ein Trauerbrief, und die Alte, die ihnen den Rum bringt, ist auch kein erfreulicher Anblick.
»Das Schloss am See? Biegen Sie bei der nächsten Kreuzung links ab, fahren Sie zum Wald des Gehängten Wolfs …«
Sieh an! Man hängt hier sogar Wölfe!
»Kennen Sie Monsieur Dossin?«
»Warum sollte ich ihn nicht kennen?«
Die beiden Männer tauschen bei dieser ziemlich unerwarteten Antwort einen Blick.
»Und Madame Dossin?«
»Was wollen Sie von Madame Dossin?«
»Nichts … Wir werden ihr vielleicht einen Besuch abstatten. Wohnen die beiden schon lange hier?«
»Kann sein …«
»Ein Freund der beiden, Monsieur Jean Marchons, hat uns gesagt …«
Sie verzieht keine Miene, beide Hände liegen auf ihrem runden Bauch.
»Sie kennen Monsieur Marchons?«, fragt Torrence hartnäckig weiter.
»Man kann nicht alle Leute kennen.«
Nach diesem überwältigenden Erfolg fahren sie in ihrem kleinen Auto mit knirschenden Reifen auf dem hart gewordenen Schnee der Forststraßen dahin. Die Heizung qualmt wie eine Lokomotive. Von Zeit zu Zeit kommen sie auf der vereisten Fahrbahn ins Schleudern.
»Sehen Sie irgendwo ein Schloss?«
Eine halbe Stunde lang drehen sie sich im Kreis und landen schließlich wieder auf dem Hauptplatz von Ingrannes, wo sie beschließen, mit einem zweiten Glas Rum gegen die Kälte anzukämpfen.
»Na? Haben Sie ihn gesehen?«, fragt die Wirtin, die so aussieht, als würde sie höchstens ein Mal pro Jahr lächeln.
»Wen?«
»Monsieur Dossin … Gerade ist er hinausgegangen …«
»War er allein?«
»Warum sollte der Mann nicht allein sein? Ich habe ihm gesagt, dass er Besuch bekommt.«
Diesmal fragen sie eingehender nach dem Weg, und nach ein paar Minuten sehen sie die zugefrorene Fläche eines recht großen Teichs, dem man die eindrucksvollere Bezeichnung See gegeben hatte. Rechts davon, hinter einem Tannenwald, entdecken sie die Schieferdächer eines offenbar recht großen Anwesens. Dort bellt ein Hund, als sich das Auto nähert.
Torrence’ Laune hebt sich nicht. »Was sollen wir machen?«, fragt er unschlüssig.
Der berühmte Detektiv ist an diesem Morgen entschieden nicht in Hochform, und bei Émile sieht es nicht besser aus.
»Wir klingeln«, entscheidet Émile. »Die Alte hat ja schon Bescheid gegeben, dass wir kommen.«
»Aber Madame Dossin hat doch am Telefon gesagt …«
Émile zuckt mit den Schultern, steigt aus und geht zu einem schmiedeeisernen Gittertor, wo sich die Klingel befindet. Auf der anderen Seite des Zauns kommt ein Hund angelaufen, der wütend nach Émiles Mantel schnappt.
»Ist jemand da?«, schreit Émile. »Ist denn niemand zu Hause?«
Zwei Mal, drei Mal klingelt er, ohne Ergebnis, oder vielmehr mit dem einzigen Ergebnis, dass der Hund sich geradezu tollwütig gebärdet. Plötzlich sagt eine Stimme neben ihm, so dicht neben ihm, dass er zusammenzuckt:
»Sie wünschen?«
Der Mann, der da steht, kommt nicht aus dem Haus, sondern aus dem Wald. Er ist um die fünfzig, vielleicht etwas älter, sein Bart ist mit grauen Strähnen durchzogen. Er trägt Stiefel, Jagdkleidung und eine pelzgefütterte Jacke, die ihm ein herrschaftliches Aussehen verleiht.
»Mein Chef wünscht …«, stottert Émile und dreht sich zu dem kleinen Auto um, dessen Motor immer noch läuft.
Aber was wird Torrence sagen können? Er steigt aus. Er hustet. Er beginnt:
»Ich hatte erwartet, Madame Dossin hier anzutreffen, die mich beauftragt hat …«
»Meine Frau liegt im Bett«, bemerkt der Herr des Château du Lac recht trocken.
»Es tut mir leid zu erfahren, dass Madame Dossin krank ist. Nichts Schlimmes, hoffe ich?«
Der Schlossherr antwortet nicht, doch seine Haltung sagt deutlich:
»Ich sehe nicht, was Sie die Gesundheit meiner Frau angeht.«
Und er wartet.
»Chef …«, meldet sich Émile, der voraussieht, dass Torrence im nächsten Moment ratlos umkehren wird. »Sie wissen, dass ich mich leidenschaftlich für solche malerischen Orte interessiere. Da Sie ihr Freund sind, das heißt, da Sie Madame Dossin von früher kennen, könnten Sie ihren Mann vielleicht um die Erlaubnis bitten, diesen Schuppen zu fotografieren, den ich unten am Teich sah? Mit diesem schummrigen Licht, den Lichtreflexen auf dem Eis, ich glaube, ich könnte …«
Stirnrunzelnd blickt Monsieur Dossin von einem zum anderen, und ohne die Hand von dem Schlüssel zu nehmen, den er eben in das Schloss im Gittertor gesteckt hat, sagt er:
»Fotografieren Sie, was Sie wollen.«
Er hat ihnen nicht den Hund auf den Hals gehetzt. Das ist schon einmal gut! Ohne sich weiter um sie zu kümmern, überquert er den großen Hof, und sie sehen, wie er mit schwerem Schritt langsam die Stufen der Freitreppe hochsteigt.
»Seltsames Haus …«, knurrt Torrence. »Was machen wir?«
»Mein Gott, wir fotografieren …«
»Ich bin mehr und mehr davon überzeugt, dass uns hier jemand einen bösen Streich gespielt hat.«
»Ich nicht …«
Sie sind jetzt am Teich. Der Schuppen sieht aus wie jeder andere Schuppen am Ufer irgendeines Teichs. Wahrscheinlich dient er der Aufbewahrung von Booten und Angelgerät. Émile nimmt an, dass der Schlossherr sie von einem Fenster aus beobachtet, und spielt, so gut es geht, seine Fotografenrolle.
»Wenn da drin wirklich einer aufgehängt ist …«
Er nähert sich dem Schuppen. Die Tür hat kein Schloss, keinen Riegel, keinerlei Absperrvorrichtung. Er drückt dagegen. Die Bretter haben sich gelockert und lassen ein wenig Licht herein. Ein alter Kahn fault vor sich hin.