Generation 68. Hardy Hanappi

Generation 68 - Hardy Hanappi


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und friedliebend, bildungsmäßig naiv, aber in speziellen Fragen politisch dann auch wieder hochmotiviert. Kurz gesagt: cool. Cool vor allem im Vergleich zu den eigenen Eltern in ihrem verzwickten Verhältnis zur eigenen unmittelbar überstandenen Vergangenheit. Die amerikanische Jugend schien jenes Abschütteln der Last überkommener Traditionen geschafft zu haben, das im von seiner Geschichte geplagten Europa so schwer auf allen Schultern lastete.

      Die Befreiung startete dann in England, als die ersten R&B-Bands, die ersten Beatbands, den Blues der Schwarzen der amerikanischen Baumwollfelder zu imitieren begannen. Der Blues war faszinierend, er war das einzige eigenständige Kulturgut, das Nordamerika hervorgebracht zu haben schien. Doch er war umwerfend! Die britische Jugend fügte ihm noch etwas ganz Spezielles hinzu: Glanz und Glorie der »splendid isolation« des britischen Weltreiches des 19. Jahrhunderts waren zwar verschwunden, aber der Hochmut der herrschenden Klasse Englands lebte fort. Schon um die Jahrhundertwende war diese hochnäsige, aristokratische Haltung allerdings kulturell gebrochen worden, etwa durch Zyniker wie Oscar Wilde. Selbst der Ökonom Keynes kann dieser Gattung des geistreichen britischen Intellektuellen zugerechnet werden, der sich in seinen Bonmots über die vorherrschende Ideologie der herrschenden Klasse lustig macht, sich dadurch als ein Mitglied derselben zugleich über diese sich erhebt. Die frechen jungen Arbeitslosen in Liverpool, die später zu den Beatles wurden, haben diese Nonchalance in ein sorglos-mutiges Auftreten transformiert, dem ein Element von britischem Hochmut stets beigemischt war. Jedes Interview des jungen Mick Jagger wird von dieser brisanten Melange aus provozierender Uninteressiertheit, gepaart mit stellenweise direkter verbaler Aggression gegen das Establishment getragen. Diese Attitüde – in beiden Formaten, dem milderen, volksliedhaften Beatles-Stil wie auch dem nach Blues-Originalität strebenden Studenten-Stil der Rolling Stones – bot der britischen Jugend ein Vorbild, an dem sie sich orientieren konnte.

      Mit dem Re-Export von Beatles und Stones in die USA und der gleichzeitigen Infektion des Kontinents mit dem 68er-Virus brach die Kulturrevolution aus.

      II. Musik

      Wie Menschen sich zu Gruppen verbinden, ist immer mit ihren Möglichkeiten zur Kommunikation verbunden. Was sie teilen und gemeinsam als Schablone zur Gruppenidentität annehmen, ist Sprache der Gruppe. Sie tritt in vielen Formen auf, Musik war für die 68er-Generation die wichtigste davon.

      Musik kam aus dem Radio, Musik kam von der Schallplatte – und zwar in dieser Reihenfolge. Die unsichtbare Botschaft der kulturrevolutionären Internationale wurde über die Insidern bekannten Radiostationen erforscht, etwa Radio Luxemburg, und »unsere Musik« als neues Idiom in den Sprachschatz der künftigen 68er aufgenommen. Radiowellen kennen keine Grenzen, und der englische Gesang brauchte auch gar nicht so gut verstanden zu werden, Lautmalerei reichte, solange der Beat stimmte. Daher war die Identifikation des »Beat« das Zentrale. Es gab nur einen Beat der 68er, doch er hatte unzählige originelle Variationen. Und offensichtlich war die Sprache des Beat der älteren Generation völlig verschlossen. Sie reagierte mit Kopfschütteln, verlangte das Reduzieren der viel zu hohen Lautstärke und verwies auf das Fremde in dieser »Negermusik«. Es war klar, dass diese Feindschaft in Bezug auf »unsere Musik« die 68er einte, nichts verbindet mehr als ein gemeinsamer Feind. Der Nachteil von Radiosendungen ist die Flüchtigkeit ihrer Existenz, hat man sie gehört, so sind sie verpufft. Das entspricht zwar dem Wesen von Musik, und mit Erinnerungsvermögen begabte Wesen können ja einiges in sich wachhalten, die Vergänglichkeit des Erlebnisses schmerzte aber doch. In genau diese Kerbe unbefriedigten Bedürfnisses rückte denn auch das erste Bataillon der Firmen vor, das die anschwellende Kulturwende erahnte: die Plattenindustrie. Durch den Erwerb der schwarzen Vinylscheiben war man im Besitz der Musik, konnte sie sich nach Belieben vorspielen und darin – allein oder in Gruppen – schwelgen.

      Es war ein welthistorisch neues Phänomen, dass sich eine globale Kulturrevolution über das Medium der Musik ausbreitet. Gesprochene und geschriebene Sprache eint diejenigen, die sie teilen, – und trennt sie zugleich von anderen Sprachgemeinschaften. Die über viele Generationen reichende Sprachgemeinschaft ist der Nährboden nationaler Kultur, ja die wesentlichste Komponente der Herausbildung dessen, was als Nation Geltung beansprucht. Bei Musik ist die Sachlage einigermaßen anders: Zwar spielen auch hier die über lange Zeiträume tradierten und geographisch beschränkten musikalischen Hörgewohnheiten eine Rolle, sie über Bord zu werfen ist aber wesentlich leichter, da Musik immer schon ein Element der Muse war. Selbst – und gerade – der Blues, den die Baumwollpflücker während ihrer Arbeit sangen, konterkarierte die Eintönigkeit ihrer beschwerlichen Arbeit, hob deren Rhythmus in sein dialektisches Gegenteil. Musik kann geographische Grenzen stets leichter überqueren als Sprache, weil sie, zumindest in ihrer instrumentalen Form, nicht übersetzt zu werden braucht. Und die Lyrics bleiben Beiwerk, nationales Beiwerk, beim Beat der nichtanglophonen 68er oft auch nicht einmal verstandenes Beiwerk. Im Mittelpunkt der Musik steht nicht wie sonst im Leben der Arbeitsprozess und die Regeneration davon, sondern der Gegensatz zwischen Rhythmus (Struktur) und Melodie (Freiheit von Struktur). Das Paar »Rythm and Blues« fängt das insofern ein, als der auf Repetition, Wiedererkennung und orientalische Mystik derselben setzende Rhythmus ein Gefühl freisetzt, eben den Blues, den man hat, der in einer über den Rhythmus gelegten Melodie seinen Ausdruck findet. Beide Elemente durchdringen einander, der Rhythmus stolpert stellenweise in frei generierte Spannungsfelder, die Melodie gefällt sich in eitlen Wiederholungen. Schon beim Wiener Walzer ging der Zauber seiner Wirkung von diesem Wechselspiel aus; von ihm führt ein direkter Weg zum Swing der frühen 50er Jahre. Doch Beatmusik ist anders als dieses Abheben vom Alltag, das in Walzer und Swing so präsent ist. Es ist keine Verzierung für Mußestunden, es ist Kampfansage an diesen Alltag, Kampfansage an die Trennung zwischen entfremdeten Arbeitsstunden und Freizeit, in der das wahre Leben zugleich Erholung vor dem nächsten Arbeitstag sein soll. Dieses Aufbegehren gegen den gesamten herkömmlichen Lebensstil war daher vor allem den Jungen – Schülern, Studenten und jungen Arbeitslosen – vorbehalten. Der Pariser Mai und die Schülerrevolten in Italien zeigen beides, dass befreiende Radikalität auch ein gewisses Maß an jugendlicher Naivität erfordert und dass diese dann auch wegen dieser erfrischenden Unbedarftheit im kulturellen Bereich versandet.

      Die Phrasen vom jugendlichen Mick Jagger und John Lennon, ob musikalisch oder im Interview, sind hingerotzte Kommentare und keine Symphonien, keine Weltentwürfe. Letztere hätten ihren Fans auch sicher nicht gefallen. George Harrison war ein Meister des zum kurzen Gitarrensolo gewordenen, einprägsamen Understatements. Damit schienen sie zwar nahtlos an die cooleren Typen der 50er Jahre anzuschließen, doch das konnte nur jenen so vorkommen, die damals nicht dabei waren: Elvis Presley war kein Beat, Beatles und Rolling Stones waren Beat! Die gefühlte Trennlinie war so scharf, dass sich die Beatles erlauben konnten Besame Mucho zu intonieren.

      In den frühen Jahren war es auch selbstverständlich, dass Beatmusik von einer kleinen Gruppe, von vier oder fünf Musikern, gespielt wurde. Das ermöglichte das einfache Heraushören des Beitrags jedes einzelnen Bandmitglieds. Hierarchie, wie die des Dirigenten bei einem Orchester, war nicht nötig. Stattdessen gab es außerhalb der Musik einen Leithammel für die Vermarktung, den Bandleader. Der klassische Nukleus bestand auch in Bezug auf die Instrumente aus einem fixen Set: Rhythmusgitarre, Sologitarre, Bass und Schlagzeug – Ausnahmen bestätigten die Regel. Ganz entscheidend war auch die gesteigerte Lautstärke, Beatmusik musste laut sein, sehr laut. Man musste die Schallwellen körperlich spüren. Gespräche im Publikum gab es nicht, was es gab, war die Identifikation mit der Band, mit deren Musik, mit der Umsetzung des Erlebten in Tanz. Der Tanz zum Beat ist das Gegenteil des hergebrachten, regelgebundenen höfischen Tanzes, er ist spontan und entspricht der Persönlichkeit der Ausführenden im Zusammenspiel mit dem Ausdruck der gehörten Musik. Weil er im Kollektiv geschieht, ist er in aller Regel auch kein Paartanz. Im Beatkeller wogt die Masse, das gesellschaftlich abgesegnete, peinliche Balzritual zwischen Mann und Frau, wie es vom Menuett bis zur Polka tradiert wurde, ist plötzlich meilenweit entfernt. Beat und Tanz sind genauso untrennbar verbunden wie die Band und die Zuhörer, die sie bewegt.

      Musik existiert nur in der Zeit, in der sie geschieht. Man kann sie zwar wiederholen, aber sie ist wie der sprichwörtliche Fluss, in den man nicht in gleicher Weise zweimal steigen kann. Ihre Verbundenheit mit den sich fortlaufend ändernden Musikern und ihren Zuhörern zwingt ihr ebenfalls stete Veränderung auf. Weil das besonders beim Beat auftritt – bei klassischer Musik hingegen


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