Bergretter und fesche Dirndl: Wildbach Bergroman Sammelband 6 Romane. Sandy Palmer

Bergretter und fesche Dirndl: Wildbach Bergroman Sammelband 6 Romane - Sandy Palmer


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Johanne.

      »Oh, das kann man nicht so genau sagen. Vielleicht drei oder vier Wochen. Aber danach habe ich noch weitere Monate in der Gegend zu tun. Vielleicht aber suche ich mir auch einen neuen Job in der Gegend. Wenn ich ehrlich bin, habe ich ein bisserl Heimweh gehabt.«

      Die junge Frau konnte ein glückliches Lächeln nicht vollkommen verhindern. Raphaels Worte taten ihr gut. Seine Stimme klang noch melodischer als früher. In den Jahren weit weg von zu Hause war er gereift. Sie musste sich eingestehen, dass er ihr noch viel besser gefiel als früher. Von ihm ging etwas Ruhiges und Besonnenes aus. In seinen Augen lagen Offenheit und Ehrlichkeit.

      Johanne fand, dass er ganz anders als die Burschen in den Dörfern ringsum war. Ihm fehlte diese Aufdringlichkeit, die mancher schon in seinem Blick hatte.

      »Du und Heimweh?«, fragte sie. »Das kann ich mir gar net vorstellen. Du wolltest doch immer raus in die große Welt.«

      »Wie wäre es mit einem Brot oder einem Teller Suppe?«, mischte sich Helga Harlander ein. »Gebrauchen könnt ihr’s beide.«

      Johanne schüttelte den Kopf. Irgendetwas hielt sie davon ab, die Einladung anzunehmen.

      War es Knut, der seit Jahren mit ihrem Vater in Streit lag oder Raphaels Nähe? Sie wusste es nicht. Zu verwirrt war sie. Plötzlich schien alles in ihr aufgewühlt zu sein.

      Draußen heulte der Sturm, doch er hatte bereits seine Kraft verloren. Das Prasseln des Regens gegen die Fenster war vor ein paar Minuten verstummt. Letzte Tropfen perlten daran herab, und es wurde auch heller. Noch vor ein paar Minuten hatte man geglaubt, es sei Nacht. Nun aber riss die schwarze Wolkendecke im Westen auf. Das Unwetter zog endlich ab.

      »Ich dank’ dir schön, Harlanderin, doch ich muss heim«, erklärte sie und erhob sich. »Die Mutter wird sich schon Sorgen um mich machen. Länger will ich sie net ängstigen.«

      Die Bäuerin nickte verstehend. Rasch packte sie Johannes feuchtnasse Sachen in einen Leinenbeutel und reichte ihn ihr. In der kurzen Zeit war es nicht gelungen, sie auf dem Kachelofen zu trocknen.

      »Ich werd’ dich begleiten«, erklärte Raphael wie selbstverständlich.

      Johanne erschrak. Im ersten Moment wollte sie etwas Heftiges entgegnen, doch sie tat es nicht.

      Der junge Mann sah ihren verstörten Blick.

      »Oder magst du net?«, wollte er wissen. »Bitt schön, ich wollt’ mich wirklich net aufdrängen, aber ich dacht’, dass es doch besser ist, denn ...«

      »Nein, nein«, unterbrach ihn Johanne. »Es war net so gemeint. Tut mir leid, aber ich bin noch ein bisserl durcheinander.«

      Raphael strahlte über das ganze Gesicht und half ihr in eine Jacke, die seine Mutter ebenfalls für Johanne aus der Truhe gesucht hatte.

      »Aber vergiss net, zum Nachtessen zurück zu sein«, sagte die resolute Frau. »Sonst essen der Vater und ich alleine.«

      Ihr Sohn versprach es, während sich Johanne herzlich von der Hausherrin verabschiedete und sich mehrere Male bedankte.

      »Ist schon recht, Kindl«, sagte Helga Harlander. »Sputet euch! Net, dass das Unwetter zurückkehrt und euch überrascht. Und grüß mir die Mutter recht schön!« Diesmal klang ihre Stimme wesentlich leiser, so dass nur Johanne es verstehen konnte.

      Die beiden jungen Leute verließen den einsam gelegenen Hof. Das Anwesen der Giefners lag weiter westlich nahe der engen Falkeneckschlucht, durch die der Bach ins Tal stürzte. Es würde etwa noch eine halbe Stunde dauern, bis sie das höhergelegene Haus mit seinen Stallungen erreichten.

      »Um Gottes willen«, stöhnte Johanne, als sie ins Freie traten und den morastigen Pfad zum Kreuzweg hinuntergingen.

      Der Sturm, der jetzt nur noch mit heftigen Böen über Berg und Tal raste, hatte seine Kraft zwar verloren, doch eine Bresche voller Zerstörung geschaffen. Viele Tannen und Fichten hatten das Gewitter mit all seiner Macht nicht heil überstanden. Viele waren entwurzelt oder die Stämme auf bizarre Art und Weise regelrecht zerfetzt. Überall lagen abgerissene Äste und glänzten riesige Pfützen im Morast, der einmal ein Weg gewesen war.

      »Lass uns über die Wiese und durch den Lärchenwald gehen«, schlug Raphael vor. »Da wird’s net ganz so voller Schlamm sein.«

      Johanne war einverstanden. Das rasche Pochen ihres Herzens wollte einfach nicht nachlassen. Immer, wenn sie den jungen Mann anschaute, spürte sie ein eigenartiges Gefühl, das ihr nicht geheuer war. Es war alles ganz anders als früher. Vertrauter, voller Wärme und Nähe, als sei er nie fort gewesen.

      Sie wusste selbst nicht, warum sie gerade in diesem Moment an ihren Vater denken musste. An ihn und den ewig scheinenden Streit mit Knut Harlander.

      Ohne Hast machten sie sich auf den Weg nach Westen. Die Wiese war zwar triefend nass, doch es störte sie nicht sonderlich. Hauptsache, der Regen hätte aufgehört.

      »Schau dort!«, rief Raphael plötzlich. Zufällig hatte er sich umgedreht. Das Grollen und grelle Blitzen im Osten geschah in immer größeren Abständen. Nur noch der schwarze Himmel, dessen finstere Wolken über dem doppelten Felsmassiv der »Zwei Schwestern« stand, hatte noch etwas Bedrohendes an sich. Johanne blieb unwillkürlich stehen, als sie sah, was ihr Begleiter meinte.

      Ein gewaltiger Regenbogen spannte sich über den Himmel von Norden nach Süden. Wie eine buntbemalte Brücke erstrahlte er in allen Farben.

      »Wunderschön«, flüsterte Johanne. Sie konnte ihren Blick von diesem, herrlichen Naturschauspiel nicht mehr lösen. Selten hatte sie einen solch wunderbaren Lichtbogen in den Bergen gesehen.

      Die Zeit verging. Sie wussten hinterher beide nicht mehr, wie lange sie mitten auf der Wiese gestanden und nach Osten geblickt hatten.

      Endlich rissen sie sich los, als der Farbbogen seine intensiven Farben verlor und immer mehr verblasste. Nach einer Viertelstunde erreichten sie den lichten Lärchenwald. Sie wählten einen schmalen Wildwechsel als Weg. Die zahllosen Nadeln der Bäume hatten das viele Regenwasser ohne Schwierigkeiten aufgesaugt und durchsickern lassen. Von den Ästen fielen noch schwere Tropfen, die dunkle Flecken auf den warmen Jacken hinterließen. Trotzdem störten sie die beiden kaum.

      »Da wären wir«, meine Raphael, als sie den Wald nördlich des Wildbachs verließen. Nun lag der Hof der Giefners zum Greifen nahe unmittelbar an der tiefen Schlucht, durch die der Bach dem Tal zustrebte. Schon von weitem sah man feinen Wasserdunst aufsteigen. Der Bergbach war durch den heftigen Regen zu einem tosenden Ungeheuer geworden.

      Raphael wollte weitergehen. Johanne aber hielt ihn am Oberarm zurück.

      »Was ist los?«, fragte der junge Mann überrascht.

      »Bitt schön, sei mir net böse, Raphael«, flehte sie, »aber du weißt ja, dass die Väter sich nicht mögen.«

      Raphael war nicht dumm. Er verstand sofort, dass sich Johanne ängstigte, man könne sie zusammen sehen. Auf keinen fall wollte er, dass sie Ärger bekam. Er lächelte und legte sanft seine Hände auf ihre Schultern.

      »Keine Sorge«, meinte er sanft. »Du hast ja recht. Die beiden Grantier sollen keine Gelegenheit bekommen, sich wieder aufzuregen und alle durcheinanderzubringen. Ist schon recht, Johanne. Ich wünsch dir noch einen schönen Abend.«

      »Ich dir auch«, erwiderte sie und schluckte.

      Warum fragt er nichts?, flüsterte ihre innere Stimme. Lass ihn net einfach gehen! Nimm endlich deinen Mut zusammen und frag ihn, bevor er davongeht!

      Während sie noch innerlich mit sich kämpfte und gegen ihre Schüchternheit rang, kam er ihr zuvor.

      »Darf ich dich morgen wiedersehen?«

      Über Johannes Rücken rieselte ein wohliger Schauer. Diese Frage hatte sie sich sehnlichst gewünscht. Jetzt, da sie ausgesprochen war, machte sie ihr aber auch Angst.

      »Ich ... ich weiß net«, entgegnete sie unsicher.


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