Lone und "Glück". Poul Nørgaard

Lone und


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bei ihrem unfreiwilligen Flug. Uh, das war peinlich. Jetzt würde er selbstverständlich stehenbleiben und fragen, ob sie sich weh getan habe und ob er ihr behilflich sein könne, und lauter solche Fragen.

      Ehe sie jedoch auf die Beine kommen konnte, war der Reiter schon vorbei. Ohne seinen Trab zu verlangsamen oder eine Miene in seinem mürrischen, rotbackigen Gesicht mit dem großen weißen Knebelbart zu verziehen, ritt er vorüber und starrte vor sich hin. Dennoch lüftete er korrekt und würdig seinen steifen grauen Hut. Mit offenem Munde sah Lone ihm nach. Er hätte doch wenigstens fragen können, ob sie sich weh getan habe, und ihr seine Hilfe anbieten müssen. Sie erhob sich, klopfte die Kleider ab, schob ihre Mütze zurecht und humpelte ein wenig lahm auf das Pferd zu, das am Waldrand stand und ganz friedlich graste.

      Es hörte auf zu kauen und folgte ihr mit den Augen, und als sie die Hand nach dem Zügel ausstreckte, schüttelte es den Kopf und tanzte verspielt ein paar Schritte weiter weg.

      Lone riß ein Büschel Gras aus, hielt es der Stute lockend entgegen und näherte sich vorsichtig. Aber das Pferd war offenbar nicht gewillt, sich einfangen zu lassen. Nachdem Lone es einige Male vergeblich zu locken versucht hatte, hob es plötzlich den Kopf, schlug heftig mit dem Schweif und lief feurig schnaubend den Waldweg entlang.

      Lone blieb unschlüssig stehen und sah ihm nach. Was jetzt? Sie hatte keine große Lust, zu Fuß nach Hause zu kommen und erzählen zu müssen, sie sei abgeworfen worden und das Pferd sei ihr davongelaufen. Nein, es gab nur eine Möglichkeit: sie mußte versuchen, es wieder zu fangen. Weit war es sicher nicht gelaufen.

      Eifrig zwischen den Bäumen Ausschau haltend, lief sie den Waldweg entlang — und blieb auf einmal ganz atemlos stehen. Denn dort kam ja der alte Herr von vorhin auf sie zugeritten, mit der Stute am Zügel.

      Froh, aber nicht wenig verlegen lief sie ihm entgegen.

      Er reichte ihr den Zügel und lüftete den Hut.

      „Hm. Bitt’ schön — äh, kleines Fräulein.“

      Lone zupfte die Stute leicht am Ohr. „Pfui, schäm dich, erst wirfst du mich ab und dann läufst du auch noch davon“, und an den älteren Herrn gewandt, fügte sie hinzu: „Sie ist im Springen noch nicht so geübt. Sie ist erst fünf Jahre alt.“

      „Hö“ ,brummte er. „Schlechte Entschuldigung! Habe alles gesehen.“

      Lone sah erstaunt zu ihm auf.

      „Schlechte Entschuldigung“, wiederholte er zugeknöpft. „Erstklassiges Pferd.“

      „Na“, wandte Lone ein, „ich finde es nicht besonders erstklassig, wenn es nicht springen will.“

      „Will?“ explodierte der alte Herr. „Nichts, was es lieber möchte, wenn es bloß dürfte. Habe alles gesehen!“

      „War es vielleicht mein Fehler?“ fragte Lone ein wenig gekränkt.

      „Un-be-dingt!“ stellte er fest. „Ärgere mich täglich über diese, hm, Sonntagsreiter. — Sporen, Reitpeitsche, Schlipsnadel mit Hufeisen — ganze Garderobe in Ordnung. Aber keine Ahnung vom Reiten. Transport, junge Dame, rittlings auf einem Pferd. Das nennt man Transport, aber nicht reiten.“

      „Oh, ich bin fast jeden Tag geritten seit …“

      „Völlig bedeutungslos“, fertigte er sie barsch ab. „Habe ein Menschenalter auf dem Pferd zugebracht. Weiß, wovon ich rede. — Bark, pensionierter Oberst der Dragoner. Guten Morgen.“ Er lüftete den Hut und wandte seinen Schimmel.

      Reichlich verblüfft schaute Lone ihm nach. Da hatte sie sich ja einiges anhören müssen! Was so ein selbstgerechter alter Brummbart sich wohl eigentlich einbildete. Na, mochte er reden!

      Sie wollte wieder aufsitzen, aber jetzt war es ihr unmöglich, das Pferd dazu zu bringen, einen Augenblick stillzustehen. Es wieherte rufend hinter dem Schimmel her und tänzelte unruhig von einem Bein aufs andere, so daß Lone mit dem Fuß den Steigbügel nicht fangen konnte.

      Nach einigen vergeblichen Versuchen gab sie es auf und machte sich auf den Heimweg, die Stute am Zügel hinter sich herziehend.

      Der Oberst mußte sie jedoch im Auge behalten haben, denn sie war noch nicht weit gekommen, als er an einer Biegung des Weges auftauchte und in scharfem Trab auf sie zukam.

      Er ritt bis zu ihr heran und parierte seinen Schimmel. „Hm — führen Sie Ihr Pferd?“

      „Ja, wenn ich nicht reiten kann, dann muß ich das Pferd ja führen“, antwortete Lone ein wenig verdrossen.

      „Eh — haben Sie sich weh getan?“

      „Nein. Sie sagten doch, ich könnte nicht reiten.“

      „Wie bit … — Hm. Muß ein Mißverständnis sein. — Sitzen Sie auf!“

      „Ich möchte schon, aber das Pferd will nicht stillstehen, ich kann den Steigbügel nicht erwischen.“

      „Den Bügel nicht erwischen!“ schnaubte der ehemalige Oberst und sprang mit erstaunlicher Leichtigkeit aus dem Sattel. „Ist das in Ihrem Alter denn unbedingt nötig? — Sehen Sie her! Klar zum Aufsitzen. Zügel in der linken Hand sammeln und eine Locke von der Mähne um den Daumen wickeln, rechte Hand auf der Kruppe — aufgesessen!“

      Lone stieß sich ab, so gut sie konnte, aber hätte der Oberst nicht gleichzeitig durch einen Griff in ihren Hosenboden etwas nachgeholfen, wäre es ihr wohl kaum geglückt. Jetzt aber hatte sie so viel Schwung bekommen, daß sie beinahe auf der anderen Seite wieder hinuntergefallen wäre.

      „Hö, hö“, grunzte der Oberst, „wollen Sie sich auf der Stute den Rücken brechen! Plumpsen auf den Sattel wie ein Sack Kartoffeln.“

      Lone wurde wütend und wollte gerade eine entsprechende Antwort geben; doch dann beherrschte sie sich.

      „Auf Wiedersehen“, nickte sie, „und vielen Dank für Ihre Hilfe.“

      „Halt!“ rief der Oberst aus. „Sie vergessen das Hindernis.“

      Lone wandte fragend den Kopf. „Das Hindernis?“

      „Ja. Es wartet immer noch darauf, genommen zu werden.“

      „Nein, vielen Dank. Für heute sind wir genug gesprungen.“

      „Wir?“ wiederholte der Oberst. „Soweit ich sehen konnte, haben Sie den Sprung allein gemacht, kleines Fräulein. Die Stute ist nicht gesprungen. — Kehrt!“

      Lone verlor die Geduld. „Ich habe Sie nicht darum gebeten, mir Reitunterricht zu geben.“

      „Wie bit … Rhm …“ Die Augen des alten Herrn wurden kugelrund. Widerspruch war er offenbar nicht gewohnt. „Fällt mir nicht im Traume ein, mein Fräulein. Fällt mir gar nicht ein. Nur Interesse für das Pferd. Junges Tier, wird aufsässig, wenn es seinen Willen kriegt. — Aber wenn Sie Angst haben, eh …“

      „Angst?“ Lone wandte die Stute und ritt zurück. Der Oberst folgte in einigem Abstand.

      Als sie sich dem Zaun näherte, begann sie die Zügel anzuziehen, aber der Oberst schnarrte sofort: „Was soll denn das nun wieder? Macht die Stute bloß nervös. Muß ja glauben, es wäre was Besonderes los. — Sehen Sie her! In jeder Hand einen Zügel, und bewegen Sie dem Pferd das Gebiß ein wenig im Maul. Oberkörper zurück und kurzen Galopp — ja! Und drücken Sie die Schenkel an. Mitten auf dem Hindernis! Mehr Zügel, geben Sie ihm Luft! — Jetzt!“

      Als Lone die Stute nach dem Sprung wieder hochgenommen hatte, klopfte sie ihr den Hals und ließ sie im Schritt zurückgehen. Jetzt würde der Oberst sicherlich ein paar anerkennende Worte sagen!

      „Rhm“, knurrte der Oberst. „Sie sind nicht genügend mitgegangen, rissen das Pferd am Maul. — Erstklassiges Tier.“ Er sah auf seine Uhr. „Morgen zur gleichen Zeit. — Auf Wiedersehen!“

      Lone blickte ihm ärgerlich nach. Ob er vielleicht beim Grafen zu Gast war? Oder er war erst vor einigen Tagen hierhergezogen, denn sie hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Ein sonderbarer Kauz. Sie


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