Lone und "Glück". Poul Nørgaard

Lone und


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noch lange nicht dazusitzen, als hättest du einen Besenstiel verschluckt. — Hm. — Kleine halbe Parade! Nein, sieh her: den Oberkörper zurück und die Schenkel ’ran.“

      Der Oberst stand mitten in der Bahn, drehte sich fortwährend um sich selbst und folgte Lone mit den Augen, wobei sein großer rotgesprenkelter Kopf im Takt mit den Bewegungen des Pferdes nickte.

      „Durch die Bahn wechseln! Kurzer Linksgalopp, marsch. — Nein, ich habe mein Lebtag noch nicht …! Merkst du nicht, daß der Gaul im Kreuzgalopp läuft? Parieren, und dann noch einmal anspringen lassen. — Oberkörper zurück! Nicht jagen, erst eine kleine halbe Parade, und jetzt — ja, so! — Die Absätze tiefer, Fußgelenke lockern, tiefere Handstellung, und die linke Hüfte weiter vor. — Ja, so ungefähr, das geht an. — Parieren! Jetzt das Pferd klopfen. — Das reicht für heute. Absitzen!“

      Atemlos und lahm in allen Gliedern, doch mit Augen, die vor Begeisterung leuchteten, zog Lone die Stute zum Oberst, der hochroten Gesichtes und mit Schweißperlen auf der Stirn in der Reitbahn stand. Er schien nicht weniger mitgenommen zu sein.

      „Jetzt habe ich nur noch vierzehn Tage. Glauben Sie, daß ich bis dahin genug kann?“

      „Glauben?“ schnaufte der Oberst. „Ich befasse mich nicht damit, zu glauben. — Erstklassiges Pferd.“

      Auf diese Weise hatte der Oberst Lone und „Glück“ schon über einen Monat lang fast jeden Tag geplagt.

      Den Namen „Glück“ verdankte die Stute dem alten Grafen; er hatte sie so getauft.

      Lone war ihm und dem Oberförster eines Tages im Wald begegnet, und der Graf hatte sie angehalten und gefragt, wer sie sei und wohin sie wolle.

      „Also du heißt Lone, sieh an. — Und wie heißt die schöne Stute, auf der du reitest, Lone?“

      „Ich habe sie noch nicht lange“, hatte Lone geantwortet, „und deshalb habe ich auch noch keinen wirklich guten Namen für sie finden können.“

      „Nanu, sieh an. — Weißt du was, Lone! Ich finde, du solltest sie ‚Glück‘ nennen. Und wenn du jetzt zu meinem alten Freund Tobias Bark willst, dann mußt du dich wohl beeilen und sehen, daß du weiterkommst, damit er nicht ungeduldig wird.“ Der Graf hatte seinen Stock auf die Erde gestoßen und den rostigen Baß des Obersten täuschend nachgeahmt: „Rhm — pünktlich 15.23! — Grüß ihn von mir, und — viel Glück!“

      Lone war eigentlich fest entschlossen gewesen, den Oberst am Tage nach ihrer ersten Begegnung vergeblich im Walde warten zu lassen. Aber als der Zeitpunkt sich näherte, hatte sie ihre Neugierde doch nicht beherrschen können. Und jetzt bereute sie es durchaus nicht, dem „Befehl“ nachgekommen zu sein, denn was hatte sie nicht schon alles gelernt in diesen Tagen! Schon bald war ihr klargeworden, wie wenig sie eigentlich vom Reiten verstanden hatte. Und die technischen Fertigkeiten waren die erste Bedingung für jeden, der mit den Jahren einmal ein tüchtiger Reiter werden wollte, hatte der Oberst gesagt.

      Nun, solange man sich in seinem Blickfeld befand, bestand jedenfalls keine Gefahr, eingebildet zu werden. Doch auf der anderen Seite konnte sie wohl keine allzu unglückliche Figur abgeben, sonst hätte er ihr nicht selbst vorgeschlagen, nächsten Sonntag an dem Springwettbewerb bei Hörsholm teilzunehmen.

      Vorgeschlagen war eigentlich nicht das richtige Wort, denn sie war überhaupt nicht gefragt worden. Er hatte sie einfach ohne weiteres im Reitklub als Mitglied angemeldet und danach auf die Liste der Turnierteilnehmer setzen lassen. Zwar nur in der Anfängerklasse, aber immerhin! Wenn sie nun dort gewinnen würde! Nein, gewinnen konnte sie natürlich nicht, doch wenn sie nur einen guten Platz errang, würde sie schon stolz sein. Und wenn nicht? — Nein, daran wagte sie gar nicht zu denken. Dann würde sie sicher allerhand zu hören bekommen!

      Nachdem Oberst Bark im Frühjahr pensioniert worden war, hatte er sich in der Grafschaft ein unbenutztes Forsthaus gemietet. Er hielt es nicht aus, in einer „Schublade“ zu leben, wie er die Wohnungen in der Stadt nannte.

      Das Forsthaus lag idyllisch am Waldrand. Zu ihm gehörte ein Nebengebäude, in dem Stallplatz für zwei Pferde war; außerdem ein kleiner Garten und eine eingezäunte Koppel. Diese Koppel hatte „83“, der Bursche des Obersten, nach den Angaben seines Chefs für Lones Reitunterricht als Reit- und Springbahn eingerichtet.

      „83“ war beinahe ebenso alt wie der Oberst. Seinen eigentlichen Namen erfuhr Lone nie, denn er wurde immer nur „83“ genannt. Vor vielen Jahren, in den Leutnantstagen des Obersten, war er dessen Bursche geworden. Den seltenen Spitznamen hatte er von seiner Erkennungsmarke, die die Nummer 83 trug.

      Der Oberst erwähnte auch eine andere Person, die er „Rasmussen“ nannte und vor der er — zu Lones großer Verwunderung — einen gewissen Respekt zu haben schien. Anfangs glaubte Lone, dies sei ebenfalls ein Mann! Doch als der Oberst sie eines Tages überraschend zu einer Tasse Kaffee einlud, hatte „Rasmussen“ sich als seine Haushälterin entpuppt; eine große mollige Dame mit energischem und bestimmtem Wesen.

      Und was es in der gemütlichen Wohnstube des Obersten alles zu sehen gab! Die Wände waren vom Fußboden bis an die Decke mit Säbeln und alten Reiterpistolen behängt. Über der Tür prangte das Geweih eines Elchbullen, den der Oberst auf einer Jagd in Nordschweden selbst erlegt hatte, und unter einem Gemälde, das ihn selbst in Dragoneruniform darstellte, standen in einem Schrank mit Glastüren alle seine silbernen Siegespreise von vielen Turnieren und Rennen.

      Kaum hatte Lone sich gesetzt, da sprangen ihr zwei Dackel auf den Schoß. Sie hießen „Pulver“ und „Blei“ und waren Rasmussen ein Dorn im Auge, weil sie sich ungeniert auf den Sesseln breitmachten, ja sogar im Bett des Obersten. Obwohl Rasmussen im großen und ganzen im Hause den Ton angab, über die Hunde ließ der Oberst nicht mit sich reden. Übrigens duldete der Graf sonst des Waldes wegen keine Hunde auf seinem Gebiet, aber da der Oberst ein Jugendfreund von ihm war, drückte er in diesem Falle beide Augen zu.

      *

      Es war nach und nach üblich geworden, daß Lone am Nachmittag, wenn die Reitstunde vorbei war, gemeinsam mit dem Obersten Kaffee trank, und so erschien auch heute „83“ pünktlich um halb fünf, um Lone das Pferd abzunehmen.

      Der Oberst zündete sich eine Zigarre an. „Rhm. — Muß morgen nachmittag in die Stadt. Kannst du um neun kommen?“

      „Um neun kann ich nicht. Ich muß ja in die Schule. Aber am Samstag kriegen wir Sommerferien.“

      „In die Schule“, brummte der Oberst. „Reiten ist wichtiger.“

      „Da ist der Rektor sicher anderer Meinung“, lachte Lone.

      „So? — Hm! — Höchst sonderbare Auffassung. Tja, dann wird es eben morgen nichts.“

      Der Oberst wandte sich an „83“, der abwartend in passender Entfernung Aufstellung genommen hatte. „Morgen …, hör auf, in der Nase zu bohren, wenn ich mit dir spreche!“ — „83“ schlug die Holzschuhe zusammen und legte die Hände an die Nähte seiner grauen Leinenhosen —, „… morgen um 12.17 mußt du das Gig angespannt haben. Halfter und zwei Maß Hafer unter dem Sitz. Wegtreten!“

      „Kriegt Lone nicht ihren Kaffee, wie gewöhnlich?“ fragte „83“.

      „Was — eh — doch, selbstverständlich. Sorg für die Stute.“

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