Seewölfe - Piraten der Weltmeere 696. Frank Moorfield

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 696 - Frank Moorfield


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zu grinsen. Diesmal aber blieb sein Gesicht ernst. Sehr ernst sogar.

      „Deinem Gesicht nach ist es nicht besonders spaßig gewesen, Donegal“, ließ sich Edwin Carberry vernehmen. „Ich möchte fast wetten, daß du hinter der Kimm nur bucklige Bilgengespenster gesehen hast. Habe ich recht?“

      Old Donegal schwieg noch einen Moment, als müsse er erst mal seine Gedanken ordnen. Doch das übliche Grinsen – es blieb auch nach Carberrys Bemerkung aus.

      „Wir müssen weg von hier – so schnell wie möglich“, murmelte er schließlich.

      „Mann, bist du wieder mal schlau, Mister“, grollte der Profos. „Rate mal, über was wir uns die ganze Zeit die Köpfe zerbrochen haben?“

      „Es geht nicht um uns“, fuhr Old Donegal mit ernstem Gesicht fort, „sondern um unsere Leute auf dem Stützpunkt …“

      „Du sprichst von Great Abaco?“ fragte der Seewolf. „Die Karibik ist aber verdammt weit weg von hier, Donegal.“

      „Das weiß ich so gut wie ihr“, entgegnete der Alte unbeirrt. „Aber das ändert nichts daran, daß der Stützpunkt und alle, die sich dort aufhalten, in Gefahr sind. Auch meine Mary und der kleine Edwin Shane und all die anderen …“

      Die Arwenacks horchten auf. Gefahr auf Great Abaco, ihrer zweiten Heimat? Als ob sie nicht schon genug Probleme hätten!

      „Diesen Witz finde ich aber nicht besonders gut, Donegal.“ Ferris Tucker zog die Stirn kraus. „Etwas Lustiges wäre uns zur Zeit lieber.“

      „Mir auch, Ferris“, erwiderte Old Donegal und bedachte den rothaarigen Schiffszimmermann mit einem tadelnden Blick. „Aber leider gibt es nichts Lustiges zu vermelden, und wenn du es genau wissen willst: Mir ist ziemlich mulmig zumute.“

      „Sprich, Donegal“, forderte der Seewolf.

      Auch seine Stimme brachte Besorgnis zum Ausdruck. Er konnte sich deutlich genug daran erinnern, daß sich etliche Wahrträume des Alten in erstaunlicher Weise als zutreffend erwiesen hatten. Es war nun mal nicht abzustreiten, daß er so etwas wie das Zweite Gesicht hatte – oder wie immer man das auch nennen mochte.

      „Der Himmel – war schwarz über unserer Insel“, berichtete Old Donegal etwas stockend. „Ein schwerer Sturm zog herauf – ein wirklich schwerer Sturm. Dann – dann sah ich ein Schiff, eine Galeone. Sie lief auf unsere Bucht zu. Offenbar suchte sie Schutz vor dem Sturm, aber sie schaffte es nicht mehr und zerschellte in den Klippen. Es war schlimm, sehr schlimm. Aber einige Männer überlebten das Unglück, weil unsere Leute ihnen halfen …“

      „Kannst du dich erinnern, was das für Männer waren?“ unterbrach Hasard.

      „Sie – sie sahen aus wie wir. Es könnten Engländer gewesen sein“, fuhr Old Donegal fort. „Sieben Männer waren es. Dann sah ich wieder dunkle Wolken. Danach ein riesiges Feuer. Dieses Feuer wiederholte sich. Später sah ich zwei tote Männer, die nicht zu den Schiffsbrüchigen gehörten.“

      „Hast du die Toten erkannt?“ fragte der Seewolf.

      Donegal zuckte mit den Schultern. „Ich sah ihre Gesichter nicht deutlich genug. Ebensowenig konnte ich erkennen, was da brannte. Mehr konnte ich leider nicht wahrnehmen.“

      Das Gesicht des Seewolfs wirkte nachdenklich. „Und du bist ganz sicher, daß sich das alles auf unseren Stützpunkt bezogen hat?“

      „Ganz sicher.“

      Nun zeigten auch die anderen Männer betretene Gesichter. War ihr geheimer Stützpunkt wirklich in Gefahr, oder hatte Old Donegal nur geträumt? Ungewißheit setzte ein. Und diese quälende Ungewißheit ließ die Arwenacks die ganze Nacht hindurch kaum Schlaf finden. Hinzu gesellte sich das bittere Gefühl der Ohnmacht. Zwischen den Schwefelminen von Kavali und der Karibik lagen Welten – Welten, die sie in ihrer hoffnungslosen Lage nur durch Gedanken überbrücken konnten.

       2.

      Great Abaco, Anfang November 1599.

      Tropische Hitze überzog die Dünen und sanften Hügel der Insel mit einem flirrenden Schleier. Die Sonne verlieh den zahllosen Palmen, Abakokiefern und Farnbäumen satte, leuchtende Farben. Die Wellen liefen im rhythmischen Spiel gegen den hellen Sandstrand des im Nordosten gelegenen Cherokee-Sounds. Das ewige Rauschen und Plätschern des Wassers wurde lediglich vom Geschrei der Möwen übertönt.

      Für den Bund der Korsaren war die Insel in der Tat ein kleines Paradies. Häuser aus Stein und Holz fügten sich idyllisch in die Landschaft ein und verschmolzen teilweise mit dem schattenspendenden Grün der Bäume und Büsche. Im klaren Wasser der versteckt gelegenen Bucht schwoite ein Teil der Schiffe des Bundes an den Ankertrossen.

      In der kleinen Werft Hesekiel Ramsgates wurde gehämmert und gesägt. Außerdem hatte man einen Dreimaster aufgeslipt, um ihn von seinem hartnäckigen Muschelbewuchs zu befreien. Ein halbes Dutzend Männer war mit dieser schweißtreibenden Arbeit beschäftigt.

      Hesekiel Ramsgate, einer der besten Schiffsbauer Englands, hatte seinen Betrieb in Plymouth bereits vor Jahren verlassen und war den Seewölfen mit seinen Plänen, Werkzeugen und einem Teil seiner besten Arbeiter in die Karibik gefolgt. Die Männer hatten hier nicht nur ein neues Betätigungsfeld, sondern auch eine neue Heimat gefunden.

      Ramsgate hielt sich in seinem kleinen Kontor auf. Dort stand er am Pult und kramte in Plänen und Zeichnungen. Da er durch das gegenüberliegende Fenster fast das ganze Werftgelände überblicken konnte, entdeckte er Don Antonio, der zielstrebig auf das Kontor zuhielt. Über Ramsgates zerfurchtes Gesicht huschte ein Lächeln, wenige Augenblicke später klopfte er dem fülligen Spanier freundschaftlich auf die Schulter.

      „Fein, daß du den alten Ramsgate nicht vergessen hast, Don Antonio.“

      „Versprochen ist versprochen, Señor Ramsgate. Hier sind die beiden Balkenschlüssel. Ich wußte doch, daß wir noch einige dieser Dinger auf Lager haben.“ Der Spanier händigte dem Schiffsbauer die beiden Zubehörteile für ein sogenanntes Bratspill aus, das zum Einholen von Leinen und Trossen benutzt wird.

      Ramsgate bedankte sich. „Meist sind es gerade die kleinen Dinge, die fehlen. Ich freue mich, daß wir ein so ordentlich geführtes Lager haben, Don Antonio. Möchtest du nicht noch ein Gläschen Rotwein trinken?“

      Der Spanier vollführte eine bedauernde Geste.

      „Normalerweise gern“, sagte er, „doch ich habe Señora O’Flynn versprochen, so rasch wie möglich zur ‚Rutsche‘ zu kommen. Heute wird wieder mal jede Hand gebraucht.“

      „Kein Wunder“, meinte Hesekiel Ramsgate. „Bei dieser Hitze gibt’s trockene Kehlen. Außerdem wird es schon Abend, und die meisten haben ihr Tagewerk hinter sich. Weißt du was, mein Lieber? Ich begleite dich. Ein Abend unter guten Freunden in ‚Old Donegals Rutsche‘ – was könnte es Schöneres geben!“

      „Du sagst es“, bestätigte Don Antonio und lächelte. Sein rundliches Gesicht signalisierte dabei ein hohes Maß an Zufriedenheit.

      Nachdem Hesekiel Ramsgate die Balkenschlüssel in sein Kontor gebracht hatte, begaben sich die beiden Männer auf den Weg zur einzigen Kneipe im Stützpunkt.

      An Don Antonio de Quintanilla erinnerte außer der fülligen Gestalt absolut nichts mehr an den, der er einmal gewesen war – der leichtlebige und korrupte Gouverneur der spanischen Krone auf Kuba. Er hatte in seinem Palast in Havanna Hof gehalten wie der König in Madrid. Rauschende Bälle, Freß- und Saufgelage in der Gesellschaft glutäugiger Señoritas waren damals an der Tagesordnung gewesen.

      Die Zeit, die dann noch verblieben war, hatte er mit glühendem Eifer darauf verwandt, den Seewolf und seine Mannen zu verfolgen, um die vom spanischen König ausgesetzte hohe Belohnung zu kassieren. Doch schließlich hatte er aufgrund eigener bitterer Erfahrungen einsehen müssen, daß er diesen Männern unrecht tat. Schließlich hatte die politische Entwicklung in Spanien sogar dazu geführt, daß er auf die Hilfe der Seewölfe angewiesen


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