Im Schattenkasten. Arno Alexander

Im Schattenkasten - Arno Alexander


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einen üblen Küchengeruch hinterlassend.

      „Ich bin überzeugt, Sie könnten mir helfen“, begann Harrogate aufs neue.

      „Ich kann nicht, und ich will nicht“, war die störrische Antwort. „Trinken Sie ein Glas Bier mit? Nein? Ist Ihnen wohl zu gewöhnlich? Tut mir leid, Champagner führen wir nicht. Hahaha!“

      „Sie sagten mir, McGregor täte immer das, was er verspricht“, fuhr Harrogate unbeirrt fort. „Aber wissen Sie denn, was er mir geschrieben hat? Den Kopf meines Kindes würde er mir schicken, ja, zum Beweise, daß mein Kind tot sei.“

      „Wird er tun, verlassen Sie sich darauf. Was McGregor sagt, das gilt.“

      „Haben Sie denn gar kein Mitgefühl? Ich biete Ihnen fünfzigtausend Dollar, wenn Sie mir mein Kind lebend wiederbringen. Fünfzigtausend!“

      „Ich brauche Ihr Geld nicht!“ rief Flannagan erzürnt. „Haben Sie das denn noch immer nicht begriffen? Sie können ebensogut sagen: fünfhunderttausend. Ich will nicht, ich will nicht, und ich will nicht!“

      Tamara trat ein und brachte einen Korb mit Flaschen, die sie schnell auf dem Tisch gegen die leeren vertauschte.

      „Trink nicht so viel“, raunte sie Flannagan zu, aber er stieß sie rauh von sich und goß sich ein Glas voll Spiritus und Bier und trank dieses Gemisch in einem Zuge aus.

      „Ich verkomme, ich gehe zugrunde!“ brüllte er und lachte. „Nun gut, das sagen sie alle, alle! Auch Sie, Mr. Harrogate sind dieser Meinung, aber Sie haben nicht die Spur von Mitgefühl. Sie wollen mich nur ausnützen! Ha! Und wenn Sie etwa Mitgefühl hätten, dann … dann hätte ich Sie schon längst zum Teufel gejagt. Flannagan braucht euer Geld nicht, und er braucht auch euer Mitgefühl nicht. Aber er hat auch für euch kein Mitgefühl. Ihr Kind? Was geht mich Ihr Kind an? So wenig wie Ihre Gummiwaren! So, jetzt wissen Sie alles, und nun wollen wir weiterspielen. Sie werden uns nicht stören wollen, Mr. Harrogate. Leben Sie wohl!“

      Harrogate rührte sich nicht von seinem Platz. Er hatte ein Gefühl, als würde ein Weggehen seinerseits das Todesurteil für sein Kind bedeuten. Dieser Mann, dieser versoffene, verkommene Mensch konnte es retten; Harrogate wußte nicht, woher er diese Überzeugung hatte, aber sie war da, unwandelbar, unbeirrbar. Dieser konnte es, und nur dieser!

      Klatschend fielen die Karten. Niemand beachtete Harrogate mehr, den reichen Harrogate, vor dem Tausende von Angestellten zitterten, vor dessen Geld bisher noch jeder Mensch die erforderliche Ehrfurcht gezeigt hatte. Er saß da wie ein Bettler, und er fühlte sich schlimmer als ein Bettler.

      „Ha!“ rief Flannagan. „Ich habe fünfzig Cent gewonnen!“

      „Ich biete Ihnen zweihunderttausend Dollar“, sagte Harrogate leise, mit schwankender Stimme.

      „Du gibst jetzt Karten“, bestimmte Flannagan, ohne die Worte Harrogates weiter zu beachten.

      „Wieviel wollen Sie?“ schrie Harrogate plötzlich gequält auf. „Nennen Sie Ihren Preis! Was verlangen Sie von mir für das Leben meines Kindes! Mann, so reden Sie doch!“

      Flannagan sah von seinen Karten auf, unwillig abwehrend, wie man auf einen lästigen, zudringlichen Menschen blickt, den man durchaus nicht los werden kann.

      „Wissen Sie was?“ sagte er ärgerlich. Dann schwieg er, denn die Tür hatte sich geöffnet, und auf der Schwelle erschien Tamara Harrogate. „He!“ rief Flannagan zornig. „Wer sind Sie? Was wollen Sie hier?“

      „Ich bin Tamara Harrogate“, sagte das junge Mädchen und sah Flannagan fest ins Gesicht. „Das ist mein Vater.“

      „Tamara — — —“ sagte Flannagan nachdenklich. „Tamara — — —“ Dann wandte er sich wieder Harrogate zu. „Meinen Preis wollten Sie wissen? Was ich für das Leben Ihres Kindes verlange, wünschten Sie zu hören? Nun, ich will es billig machen …“ Ein häßliches Lächeln umspielte seine Lippen: „Ich schenke Ihnen das Leben Ihres Kindes, ich schenke es Ihnen, wenn Sie und Ihre Tochter gemeinsam mit meinen drei Freunden heute zum Abendessen die Gäste von mir und meiner Braut im Pennsylvania Hotel sein wollen.“

      Sekundenlang durchschwirrten das Hirn Harrogates Gedanken an das Tolle dieser Forderung, Gedanken über das Aufsehen, das dieses Abendessen im größten Hotel New Yorks erregen würde und dann wieder Gedanken darüber, daß eine Absage jetzt gleichbedeutend dem völligen Bruch mit diesem Manne sei. Ehe er aber zu einem Entschluß kommen konnte, vernahm er die ruhige Stimme seiner Tochter:

      „Mein Vater und ich danken Ihnen und Ihrer Braut für die Ehre. Wir werden Ihrer Einladung gern Folge leisten.“

      III.

      Inspektor Reginald Bath hatte seine Frau verständigt, er würde heute zum Mittag zu Hause sein und einen Gast mitbringen. Das war nichts Ungewöhnliches, denn Mrs. Bath war es gewöhnt, daß ihr Mann seine Pläne oft sehr plötzlich änderte. Das brachte eben sein Beruf mit sich.

      Als Bath mit seinem Gast das Speisezimmer betrat, war der Eßtisch schon gedeckt, und seine drei Kinder saßen bereits sauber gekleidet, mit vorgebundenen Tüchern am Tisch. Auch Mrs. Bath befand sich im Zimmer, und sie begrüßte den Gast wie einen alten Bekannten, obwohl er bis jetzt nur einmal, und das vor vielen Monaten, in ihrem Hause gewesen war.

      „Bitte, nehmen Sie Platz, Mr. Strong“, forderte Bath den Besucher auf, nickte seiner Frau freundlich zu und fuhr jedem der drei Kinder zärtlich über das Haar.

      Alle setzten sich, man sprach ein paar belanglose Worte, und dann breitete sich eine erwartungsvolle Stille aus.

      „Wir wollen das Tischgebet sprechen“, ordnete Bath feierlich an und warf seinem ältesten Söhnchen John einen erwartungsvollen Blick zu. Sogleich faltete der kaum siebenjährige Knabe die Händchen und sprach schnell und ohne zu stocken die Worte des Gebetes.

      Reginald Bath war Christ und liebte es, das zu betonen; das und auch den Umstand, er sei Amerikaner wie jeder andere. Er hielt viel auf sein eigentliches Heimatland; jedoch hatte er eine Amerikanerin geheiratet, arbeitete seit Jahren in Amerika und wünschte, daß seine Kinder ganz amerikanisch erzogen würden.

      „Wie kommt es, daß du heute zum Essen frei bist?“ erkundigte sich Mrs. Bath, nachdem ein Dienstmädchen die Suppe gebracht hatte. „Du sagtest, du würdest heute ver reisen, nicht wahr?“

      „Ein neuer Auftrag“, antwortete Bath freundlich und löffelte ruhig seine Suppe, die ihm vorzüglich zu schmecken schien.

      Mrs. Bath hatte aus dem Ton seiner Worte, so gleichgültig sie auch klangen, doch etwas Ungewöhnliches her ausgehört.

      „Du bist damit nicht zufrieden?“ forschte sie besorgt.

      „Nein“, lautete seine knappe Antwort.

      Sie sah ihn nur fragend an, und da ergänzte er kurz:

      „Gefährlich!“

      Im nächsten Augenblick wandte er sich breit lächelnd mit einer belanglosen Frage an seinen Gast, und bald war ein Gespräch über die brennendsten politischen und wirtschaftlichen Fragen im Gange. Mr. Strong sprach wenig, hörte aber aufmerksam auf das, was ihm Bath auseinandersetzte. Niemand hätte dabei gedacht, daß Strong von all dem nicht das Geringste verstand, sich aber alles Wesentliche genau einzuprägen versuchte, weil er heute abend dasselbe mit den gleichen Worten und im gleichen Tone in seinem Klub zu erzählen beabsichtigte.

      Das Essen war beendet, und Bath forderte Strong auf, im Nebenzimmer eine Zigarre zu rauchen. Obwohl Mrs. Bath ebenfalls rauchte, folgte sie den Männern nicht, denn sie wußte, das Gespräch bei dieser Zigarre war der eigentliche Zweck des Besuches.

      Der Raum, den Strong betrat, war Baths Arbeitszimmer. Es war vornehm, doch nicht allzu kostbar eingerichtet, und man fühlte sich darin sogleich behaglich. Strong versank in einem der tiefen Sessel, zog genießerisch an der feinen Zigarre und sah erwartungsvoll auf den Hausherrn, der mit etwas kurzen, hastigen Schritten auf dem weichen Teppich auf und ab ging.

      „Welcher


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