Im Schattenkasten. Arno Alexander
dreißig Dollar“, sagte er rasch und reichte ihr ein Päckchen Banknoten. „Ich habe es mir anders über legt.“
Sie lächelte dankbar und wollte das jüngste Kind, ein Mädchen, auf den Arm nehmen, das sich ihnen genähert hatte. Aber das Kind begehrte zum Vater.
„Papa soll ein Lied singen“, bat das Mädchen und bettelte mit den Augen. „Das Lied von der Sonne.“
Gehorsam nahm Bath das Kind auf den Schoß und begann sein trauriges Lied zu singen. Es mußte wirklich sehr traurig sein, denn er hatte zuweilen dabei geweint. Die Augen des Mädchens, das es wohl bemerkt hatte, füllten sich daher auch schon bei den ersten Klängen mit Tränen.
„Nicht weinen“, sagte der Vater in einer Pause zwischen dem Singen. Aber er hätte nie wieder dieses Lied gesungen, wäre das Kind jetzt gehorsam gewesen.
Mrs. Bath stand auf, denn der Fernsprecher hatte ein Zeichen gegeben. Bath sang ruhig weiter und blickte erst auf, als seine Frau wieder das Zimmer betrat.
„McGregor“, sagte sie kurz.
Er nickte und stand sofort auf. Er reichte ihr das Kind und ging schnell zur Tür. Diese Tür schloß er sehr sorgfältig hinter sich, dann nahm er den Hörer in die Hand.
„Hier ist Bath.“
„Hier spricht McGregor“, lautete die Antwort.
„Mr. McGregor“, sagte Bath schnell. „Ich muß Sie darauf hinweisen, daß jedes Gespräch, das ich führe, von der Polizei mitgehört wird.“
Zunächst war ein zorniges Grunzen die einzige Erwiderung.
„Das macht nichts“, sagte gleich darauf die Stimme McGregors scharf. „Ich spreche von einer angezapften Leitung aus. Mich findet die Polizei nicht. Hören Sie, Bath, eben kommt zu mir Strong und erzählt — — —“
„Ich weiß“, unterbrach ihn Bath. „Ich hatte ein theoretisches Gespräch mit ihm über Verrat an unserer Sache Er wird nun behaupten, er hätte dieses Gespräch mit mir nur geführt, um zu erfahren, ob ich an Verrat denke. Ich hielt es für überflüssig, Sie aufzusuchen, weil ich wußte, Sie würden selbst sofort erkennen, daß der Fall genau umgekehrt liegt.“
„Sie wollen damit sagen, nicht Sie, sondern grade Strong hätte verräterische Absichten?“
„Er kam mir schon lange verdächtig vor. Seit einer Stunde weiß ich, daß ihm nicht zu trauen ist.“
„Einen Augenblick.“
„Bitte sehr.“
Bath wartete geduldig, den Hörer am Ohr, die Augen starr nach der Decke gerichtet. Er wußte: jetzt besprach sich McGregor mit Strong.
„Hallo!“ vernahm er endlich wieder McGregors Stimme „Hören Sie noch?“
„Ich bin am Apparat.“
„Also Strong ist beinahe auf den Rücken gefallen, als ich ihm Ihre Worte wiedergab. Er ist sehr gekränkt, daß ich auch nur einen Augenblick an ihm zweifeln konnte.“
„Ich bin ebenfalls sehr gekränkt“, sagte Bath ruhig. „Jedoch bin ich nicht in der Lage, meine Kränkung in irgendwie lärmender Weise zu äußern. Ich bin Ihnen treu ergeben, — mehr kann ich nicht sagen. Wenn Sie auf mich hören, werden Sie mit Strong kurzen Prozeß machen. Glauben Sie dagegen ihm mehr, so befehlen Sie, und ich bin in derselben Stunde noch ein toter Mann.“
Lange Zeit hörte Bath nichts. Als McGregor endlich wieder sprach, erkannte Bath schon an seiner Stimme, daß die Sache für ihn nicht gut stand.
„Es steht Beschuldigung gegen Beschuldigung“, sagte McGregor zornig. „Ich stelle Ihnen zur Wahl: Ihr jüngstes Kind als Geisel oder Zweikampf mit Strong bis zur völligen Kampfunfähigkeit des einen.“
„Ich wähle Zweikampf bis zur völligen Kampfunfähigkeit des einen“, sagte Bath rasch.
„Strong hat den anderen Ausweg gewählt“, erklärte McGregor, „aber er wird sich nun fügen müssen. Da Strong Sie als erster beschuldigte, dürfen Sie die Waffen bestimmen.“
„Krumme japanische Säbel.“
„Das kann ich nicht gelten lassen. Diese Waffe ist hier nicht so bekannt wie bei Ihnen. Aber Sie brauchen gar nicht zu wählen: Ich selbst werde eine Kampfesart bestimmen, bei der weder der eine noch der andere Vorteile hat: sie wird beiden unbekannt sein. Heute abend in dem Hause, bei dem das Losungswort Silberdollar gilt. Um acht Uhr. Verstanden?“
„Sehr gut.“
„Und was Mr. Harrogate und seine Sorgen betrifft, so werden wir das Kind sofort endgültig beseitigen. Dann wird die Polizei vielleicht auch Sie in Ruhe lassen, denn Sie können doch dann nichts dafür. Leben Sie wohl.“
Bath hängte ein. Er blieb noch etwa zwei Stunden in seinem Zimmer und brachte in seine Briefschaften Ordnung. Dann ging er aus.
Mrs Bath war nicht im Zimmer. Daher erlaubte sich Inspektor Reginald Bath ein leises, trauriges Lächeln.
V.
Der Frack saß ausgezeichnet. Flannagan betrachtete voller Aufmerksamkeit sein Spiegelbild, aber er fand nichts Tadelnswertes an seinem Frack. Es war eben ein Frack aus seinen besseren Zeiten.
Das Gesicht, das Flannagan aus dem Spiegel entgegensah, war hager, mit scharfen, ausgeprägten Zügen. Die Gesichtsfarbe war bräunlich, machte also durchaus keinen ungesunden Eindruck. Also die Augen? Flannagan wußte, daß sein Blick in letzter Zeit unklar, verschwommen geworden war; wenn er jedoch diesen Blick im Spiegel aufzufangen suchte, so mißlang ihm das. Er wußte auch, daß es unmöglich sei, seinen eigenen Blick im Spiegelbild irgendwie anders als starr und scharf zu sehen, dennoch bemühte er sich lange Zeit um das Unmögliche. Endlich begnügte er sich damit, festzustellen, seine Verkommenheit sei äußerlich nur an den dunklen Ringen um die Augen zu bemerken.
„Tamara!“ rief er laut. „Herzenskind, wo bleibst du denn?“ Er setzte sich auf einen Stuhl, den einzigen sauberen im Zimmer — er selbst hatte ihn vorher für diesen Zweck abgewischt.
Das Zimmer machte noch immer denselben verwahrlosten Eindruck wie vor sechs Stunden, als Harrogate den Detektiv hier überfallen hatte. Die einzige Veränderung, die darin stattgefunden hatte, bestand darin, daß in der Ecke der Spiegel stand und auf dem Sofa in wildem Durcheinander alle Kleider lagen, die Flannagan eben abgelegt hatte.
Eine Weile wartete Flannagan auf Antwort, dann wurde er ungeduldig.
„Ta — maaa — ra!“ schrie er. „Wo bleibst du, alte Hexe?“
„Ich komme ja schon“, hörte er jetzt ihre Antwort, und gleich darauf trat Tamara ein.
Starr sah Flannagan sie an, starr und mit einem seltsam verblüfften Ausdruck im Gesicht. Nach einer Weile aber verbreiterte sich sein Mund zu einem zufriedenen Lächeln.
„Ist es so richtig?“ fragte Tamara mißtrauisch.
„Ausgezeichnet“, erwiderte er sofort sehr bestimmt.
Tamara trug ein weit ausgeschnittenes kanarienfarbenes Kleid ohne Ärmel. Das Kleid selbst machte keinen allzu billigen Eindruck und war nach der neuen Mode gearbeitet, Tamara jedoch nahm sich darin aus wie ein Droschkengaul, den man zum Rennpferd machen will. Ihre dicken, feisten Arme quollen aus dem etwas schmalen Ärmelausschnitt üppig hervor, Brust und Rücken waren mit Sommersprossen übersät, und die Zipfel und vielerlei Falten des Kleides hingen an ihren Hüften herab wie die Vorhänge auf der Veranda eines Sommerhäuschens nach einem ergiebigen Gewitter. Das schwarze Haar hatte sie glatt nach hinten gestrichen und es so reichlich eingefettet, daß sie auf vier Schritt Entfernung nach billiger Haarsalbe roch.
„Zeig deine Hände her, mein Liebling“, sagte Flannagan mit ungewohnter Zärtlichkeit.
„Warum?“ widersprach sie störrisch und versteckte die Hände hinter dem Rücken.
„Die