Der Massenmörder. Hans Hyan

Der Massenmörder - Hans Hyan


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um dessen Ankauf sie heute morgen so gestritten hatten und der von vornherein nur zu ihrem Sarge bestimmt gewesen war, hob sie mit Anstrengung hinein und brach und bog rücksichtslos die Glieder der Alten, wo sie nicht in den grossen, leinwandüberzogenen Kasten passten.

      Nun ass er, benutzte aber alles Geschirr doppelt, damit niemand Verdacht schöpfen könnte.

      Und dann erwartete er den Spediteur, den er zu 4 Uhr bestellt hatte ... So genau, mit solch kaltblütiger Ruhe war der Mord geplant.... Der Spediteur kam und wunderte sich über den schweren Inhalt des Koffers. Haber selbst half beim Hinabtragen und scherzte mit dem Rollkutscher, den er zum Schluss noch einlud, einen Schnaps mit ihm zu trinken.

      Dann ging er wieder hinauf, fragte die ihm auf der Treppe begegnende Frau Weber, ob sie denn seine Frau nicht gesehen hätte?

      Die Frau verneinte natürlich. Er entschuldigte sich und legte sich oben in der Wohnung, in der die Alte den letzten Seufzer ausgehaucht hatte, ruhig, als wäre nichts geschehen, schlafen ...

      Er schlief sofort ein und schlummerte tief und fest mehrere Stunden lang. Als er aufwachte, erinnerte er sich eines angenehmen Traumes: er hatte ein Dienstmädchen aus dem Hause, das ihm schon seit langem gefiel, zu sich in die Wohnung gelockt. Und als sie erst einmal bei ihm war, tat sie ihm auch den Willen ... er dehnte sich jetzt noch vor Behagen ... Gott sei Dank, dass die Alte —

      Die Alte!!!!!!!!!!

      Er sprang mit beiden Beinen vom Sofa. Und schickte seine todesängstlichen Augen überall im Zimmer umher.... Da! Da! Da! Da! ... war sie nicht da?! ... Aber nein, sie war weg! ... er hatte sie ... stöhnend knickte er zusammen und kniete und stierte immerfort in dem schon vom Dämmerlicht verschatteten Gemach umher, als müsste sie jeden Moment dort hinter der Gardine, aus dem Nebenzimmer, aus dem grossen, alten Kleiderspinde, ja, aus der Wand selbst heraustreten.

      Ein namenloses Grauen hatte ihn erfasst! Nicht Mitleid mit der Toten, die hasste er! Keine Reue, denn in seiner fürchterlichen Angst war er doch glücklich, ihr weinerliches Lachen nicht mehr hören zu brauchen, ihr ewig verlangendes Gesicht nicht zu sehen und dieses scheussliche Gekeif nicht zu hören, das ihn um den Verstand gebracht hatte.

      Aber er fürchtete sich! ... Noch im Tode fürchtete er sie! ... Und war fest überzeugt, dass sie ihre alte, dreckige Knochenpfote emporrecken und ihn hineinreissen würde ins Unglück.

      Wie hatte er vorher, vorm Schlafen, bloss so ruhig sein, noch essen ... ja und sogar schlafen hatte er können!!

      Es trieb ihn durch die drei Zimmer der Wohnung, wieder in die Küche ... überall machte er die Vorhänge zu, liess die Rouleaux runter.... Sie wohnten ja drei Treppen hoch, aber vielleicht ... vielleicht konnte doch einer reinsehn ... wer weiss ...

      Oder sie sah hinaus und rief um Hilfe! ... sie!! ...

      Er lachte, absichtlich laut und schallend. In den Räumen, die wenig Möbel hatten, klang das Echo ... herrjeh, das war ja fast schrecklicher jetzt, als wie die Alte noch lebte! ... Aber es würde besser werden! Ja, sicher! ... Das war nur die erste Angst ... Er bebte und traute sich plötzlich nicht mehr vor- noch rückwärts ... überall war das, was ihn ängstigte!

      Dann aber stürzte er vor! ... In verzweifelter Anstrengung durchbrach er den Kreis der Angstgespenster, die ihn umringt hielten und ihm hohnlachend entgegengrinsten.

      Er suchte nach dem Geld!

      Überall hielt’s die Alte versteckt, nur damit er nicht rankam. Aber, warte, du altes Aas, ich find’s doch! ... Und in dem wütenden Eifer des Suchens, in dem er Kasten und Spinde aufriss, den Inhalt umherstreute, sie von ihrem Platz schob und die ganze Wohnung auf den Kopf stellte, gewann er seine Selbstbeherrschung wieder.

      Endlich hatte er das Scheckbuch!

      Nun raus, weg! ... nach Amerika!

      Aber soviel Besinnung hatte er doch noch, dass er sich vorm Spiegel sorgfältig anzog.

      Auf der Treppe traf er das Dienstmädchen das er vorhin im Traum geküsst hatte. Er lachte und schäkerte mit der kleinen Rundlichen. Und ganz erregt ging er aus dem Hause.

      Budenfrass.

      Bloss dreissig Flaschen Bier, Paul?“

      „Ja, draussen ist ja noch ’ne alkoholfreie Wasserleitung!“

      „Und wie ist es mit der Erotik?“

      „Ausser Lene kommt die verdrehte Agnes und noch son paar kleine Atelierhasen.“

      „Wo ist denn Lene?“

      Er zeigte mit dem Daumen rückwärts über die Schulter nach einem „Das Koituskulum“ genannten Nebengemach.

      „Und immer noch platonisch?“ zweifelte der Gast, ein grosser, dicker Mensch mit langem, lockigen Haar.

      Paul Rammler nickte und räumte die Zeichnungen, Bleistifte, chinesische Tuschfläschchen und den ganzen Malerkrempel vom Tisch.

      „Ach du ...“ lachte der andere, „das hältste wohl für riesig anständig?! ... ich schreib’s doch nich!“

      „Würd ick mir ooch verbitten!“

      „Wieso?“

      Die etwas schwindsüchtige Klingel draussen übernahm die Antwort. Zwei kamen. Ein Baumeister, der nie etwas baute, namens Fritz vom Strom, und ein ungarischer Journalist mit sehr dicken Lippen und den schwermütigen Augen eines Neufundländers.

      „Kinder, ein Wetter ist draussen!“ sagte der Baumeister, „man wird der reine Sturmgeselle!“

      „Aber nich Sokrates!“ meinte der Schriftsteller.

      „Still, du Siamese! ... Wo ist der Steinklopfer-August?“

      „Wennste Jehmann meinst, der besorgt die Fettigkeiten!“

      Paul Rammler ging dabei an die Schlafzimmertür und klopfte.

      „Immer noch nich fertig, Leneken?“

      Aber schon ging die Tür auf und ein ganz schwarz gekleidetes Mädchen mit perlenbesetzter Seidentaille, deren Ausschnitt ein schwarzes Tüllfichü verhüllte, kam herein. Die Ärmel waren auch Tüll, die bleiche Haut der langen schlanken Arme schimmerte hindurch. Und sie trug den sehr schlanken Leib anmutig. Ihr Kopf war mager, aber doch von weicher Form, das gleich den grossen, langbewimperten Augen schwarze Haar nach Madonnenart frisiert. In ihrem ganzen Wesen lag eine Bitte um Nachsicht, man wusste zuerst nicht, ob mit ihren geistigen Gaben oder mit ihrer augenblicklichen Hilflosigkeit.

      Und auf einmal wirbelte es in das grosse Atelierzimmer herein, wie Wind! Es hatte noch gar nicht geklingelt, da war sie schon drin, die verrückte Agnes!

      Die beiden Mädchen küssten sich, Helene zurückhaltend, lieb und ein wenig untergeben, Agnes mit einer leisen Pose von Tribadie.

      Den Schriftsteller hatte sie noch gar nicht gesehen. Zog ihn sofort auf den windigen Balkon und sagte, ihren blonden Kopf mit der fast tierischen Kinnpartie und dem kindlich reizenden Oberteil an seine Brust lehnend:

      „Nicht wahr, Sie versprechen mir, zu sagen, dass wir uns beide schon lange kennen?! ... Ich kann neue Bekanntschaften nicht leiden!“

      „Wenn Sie mir für die Lüge einen Kuss geben, ja!“

      „Nachher!“

      „Nein, gleich!“

      Er wollte sie umfassen, da war sie schon wieder drin im Atelier und lag auf dem kleinen Diwan, wo sich der inzwischen mit den Essvorräten angekommene Bildhauer Aute Jehmann zu ihr setzte.

      Er war klein, bartlos und knabenhaft blond und eroberte die Frauen, indem er sich auf das liebenswürdige, ungefährliche Kind hinausspielte. Kein Mensch ahnte, dass er verheiratet und Vater von drei kleinen Jungens war.

      „Im übrigen ist mir Klinger schnuppe,“ sagte der Schriftsteller, „seine Radierungen, schön! ... Vielleicht noch ein paar Büsten, aber ohne die bunten Geschmacklosigkeiten ... sonst, das andere — Kitsch!“


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