Der Massenmörder. Hans Hyan

Der Massenmörder - Hans Hyan


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Phantasie Dein Bild vorgespiegelt hat. Jedenfalls habe ich Fröhlich nachher nur noch selten und später gar nicht mehr empfangen.

      Aber ich weiss bestimmt, dass von dieser Zeit an meine Ruhe weg war. Ich schlief schlecht und ass sehr unregelmässig. Gewundert habe ich mich nur, dass ich nicht mager wurde. Aber ich freute mich doch auch darüber, denn ich wollte gefallen. Am Tage verbot ich meinem Innern, sich mit dem zu beschäftigen, was meinen geheimsten Sinn so ganz erfüllte, aber des Nachts, da kamen die Träume, und früh, wenn ich erwachte, da brannten meine Wangen noch vor Scham über das, was ich gesehen und erlebt hatte.

      All das, womit ich mich in diesen Jahren beschäftigt habe, was mir scheinbar Interesse abnötigte und meine Zeit ausfüllte, war Ausflucht und Notbehelf. Ich dachte bei alledem nur an mich und mein Unglück und sehnte mich immerfort nach Liebe. Ich sah heimlich alle Männer an und fühlte mich in ihren Armen, aber in der Tat blieb ich die treue Gattin und die ehrbare Frau, als die ich nun auch freiwillig aus dem Leben scheide.

      Und ich hätte es trotzdem nicht getan, hätte mein Geschick weiter ertragen, weil ich an Dich dachte und an Deine Liebe.

      Aber da ist plötzlich etwas gekommen, was zu stark war; das ist Herr geworden über mich ... Ich war entsetzt und verwundert zugleich über diese neue Hanni Mertens, die auf einmal da war. Und es fällt mir schwer, Philipp, Dir auch das zu sagen ... nur damit Du nicht glaubst, ich sei wirklich ... ich sei Dir wirklich untreu gewesen ...

      Zuerst war es ein Hausdiener, ein grosser, blonder, junger Mensch, dem ich hier vom Fenster aus beim Abladen von Waren zusah ... Als ich mich auf diesen Gedanken ertappte, war ich entrüstet. Ich ging in mein Zimmer und arbeitete.... Und anfänglich half das auch. Aber später wurde ich selbst immer schwächer. Und vorgestern abend, wie ich allein aus dem Theater kam, da bin ich nur noch mit Mühe dem Verhängnis entgangen. Es war wieder ein solch grosser Blonder. Und auch einer aus niederstem Stande, aber besser gekleidet. Er sprach mich brutal an, und mich überkam eine derartige Schwäche, dass ich ihn nicht energisch abweisen konnte. Er forderte mich auf, in ein Café mit ihm zu gehen, und ich ging. Und da sah ich den Dr. Hemberg, Deinen Freund. Ob er mich auch gesehen hat, weiss ich nicht. Aber ich wachte auf, ja, ich erwachte aus dieser schrecklichen Lethargie meines Gewissens ... Nun wollte ich fort, und der liess mich nicht ... es war unbeschreiblich, und ich zittere noch, wenn ich an die Worte denke, die dieser Mensch ganz laut hinter mir herrief.

      Zu Haus in meinem Bett — Du schliefst schon und ich wachte noch lange — da bin ich mir klar geworden: ich unterliege! Ich kann diesen Kampf nicht weiter kämpfen ... Nicht mein Herz, meine Instinkte sind stärker geworden als mein reiner Wille. Und ich komme mir vor, wie besudelt ... ich kann’s nicht ertragen! ... Ich habe mir Morphium verschafft, durch Bestechung, das nehm’ ich. Wenn Du heute heim kommst, wirst Du mir den letzten Kuss auf die Lippen drücken, die dann so kalt sein werden, wie die Deinen ach so lange schon waren! ... Ich habe Dich sehr lieb, jetzt, wo es ans Sterben geht, noch viel mehr als früher ... leb’ wohl, mein Herz!

      Deine Hanni.“

      Der Mann, dessen blasses Gesicht immer grauer und elender geworden war beim Lesen, weinte nicht mehr. Er schraubte den kleinen, rötlichen Kachelofen auf und verbrannte Brief und Kuvert sorgfältig ... was ging es die Neugierde der Welt an, weshalb sie gehen und er ihr folgen musste ... Dann verliess er das Zimmer, die Tür hinter sich abschliessend, kam aber schon nach wenigen Minuten zurück. Und dann setzte er sich wieder auf den hellen Perserteppich, das Gesicht und das Haar seiner Toten zärtlich streichelnd; dabei flüsterte er:

      „Das hätten wir doch schon früher tun können! .. schon vor Jahren! Ich quälte mich deinetwegen, und du, du littest für mich!“

      Er schüttelte den Kopf und lachte leise ... Dann kam der Revolver, den er in der Tasche hatte, zum Vorschein ... Ein Knall. Und der Kopf mit der durchschossenen Schläfe sank auf das weisse Gesicht der Frau hin, die unbeweglich blieb unter dem krampfigen Zittern des Sterbenden.

      Asylisten.

      Na, wo jeht’s heile hin? Wieder raus nach de Vororte, wo’t ooch nischt jibbt un wo de Putze1 womechlich noch besser kneisten, wie in’s Mokkum2, ja? ... Na redt’ doch! Macht doch de Luke uff! ... Ick weess nich, wenn ihr frieh aus de Palme3 kommt, dann seid a’ immer wie vabiestert! ... Red’ doch eena! Mach’ doch’s Maul uff!“

      Der Sprecher schlug sich in der nebelkalten Nacht, die noch finster in den Strassen hing, die Arme um den Leib. Sie standen zu vier unter einer Gaslaterne, er und seine Elendsbrüder, und froren an allen Gliedern.

      Aber die „Äppelmarie“, eine ehemalige Obsthändlerin aus der grossen Halle, die fand sich zurecht.

      „Zuerst tippeln wa ’raus bei meine Schwester nach ’n Viehhof ... Wenn die ooch noch so ville dibbert und schmust4, ’n paar Pimperlinge5 uff Schluck, die spuckt se doch aus!“

      „Och nee,“ meinte nun hüstelnd, sich räuspernd, langsam mit asthmatischer Stimme der alte „Knoppmeyer“, der verbrauchteste von den vieren, aber seiner Gebrechlichkeit wegen auch der erfolgreichste Klinkenputzer6, „och nee! ... Da jeh ick nich! ... Die jibbt ja doch nischt! ... kommt man mit nach den Keller in de Hirtenstrasse. Da sitzen wa scheen warm, un Nejel knabbern tun wa da ooch nich! ... ’n paar Kanten7 un de netijen Fettigkeiten8 ...“ Das Asthma kam, die Atemnot, er hustete und röchelte schaurig in den rötlichen Nebel ... „die ... die hol ick ooch noch zusamm’ ...“

      Die Äppelmarie widerstrebte. Aber Zappelwilhelm, der zuerst gesprochen, machte die Veitstanzbewegung, die ihm den Arm hochriss, ohne seinen Willen, wie ein Warnungssignal; und der „Schlanke“, ein magerer, dürftig gekleideter, erbärmlich aussehender junger Mensch schwenkte mit ab in die Gollnowstrasse.

      Sie kamen, mit ihren unsicheren und müden Schritten um die schmutzigen Lachen herumgehend — denn das Wasser fand im löchrigen Schuhwerk gleich ihre nackten Füsse — bald an das Haus, auf dessen Hof der Alte bei seinen Bettelfahrten einen Keller entdeckt hatte, einen verlassenen, unbenutzten Raum. Dort stand ein zerbrochener eiserner Ofen, auf dem liess sich noch gut Feuer machen ...

      Feuer! ... Ah! ... Ein Seufzer der Erleichterung, fast der Lust stieg auf aus den vier vertrockneten und verkümmerten Herzen ... Und rasch, aber einzeln, jeder für sich und in Abständen, krochen sie in ihren Schlupfwinkel.

      Ein paar zerbrochene Kisten waren da — die schönsten Sitze! Und dann hatte Knoppmeyer in seine Höhle geschleppt, was er an Lumpen, alten Säcken und Unzeug nur auf den Kehrichthaufen und Stätteplätzen aufgabeln konnte.

      Sie sassen und lagen. Nur der „Schlanke“ hatte sich schaudernd von den stinkenden, schmutzstarrenden Fetzen gewandt, ehe er sich auf eine Kiste niederliess.

      Der Ofen brannte. Koks war da. Woher? Keiner fragte. Der alte Mann hatte so oder so, in der Not und mit dem Recht des Elenden, dafür gesorgt ... Aber er musste sich wieder erheben von seinen Lumpen, der Greis; denn wo das Ofenrohr in die Wand ging, quoll immer wieder Rauch und Dunst, der alle störte und dem Alten reinweg die Kehle würgte.

      „Na, biste noch nich fertich mit deine Töpperei, Knoppmeyer,“ sagte Zappelwilhelm und warf den Arm mehrmals in die Höhe — oft tat er’s zur Belustigung der anderen, so halb und halb mit Absicht. Und wenn er vor Gericht stand wegen Bettelns, dann malträtierte er den Richter in seiner Erregung fortwährend damit. „Du wirst uns noch alle schmoren mit deine olle Räucherpfanne ...! Na, de Hauptsache is nu, wer holt Soff?“ — „Ja, haste den Minzen?9“ — „Ach, Mietze!“ er schlug der Frau auf das geschwollene, unförmige Bein, dass sie aufschrie, „du bist de Beste! Du sollst ooch mitfahren, wenn de andern alle loofen! Wat wer’ ick denn keen Jeld nich haben, olle Dame! ... Und wenn wa keens haben, na, dann ham wa ebent keens! De Hauptsache is doch Kredit, wah? ... Kredit, det is de Hauptsache! Un den ham wa! Den ham wa immerzu! Da verlass da druff, sag ick dir, mein Schnuteken!“ — Es kam aber doch heraus, dass es auch mit dem „Kredithaben“ bei Zappelwilhelm nicht weit her war.

      Der Alte sagte:

      „Ick kenne dir nu schonst ins — watte mal,“ — er hüstelte im Nachrechnen, „in


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