Das Haus im Schatten. Paul Rosenhayn

Das Haus im Schatten - Paul Rosenhayn


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bog der Fliehende quer über die Straße, blieb mit einem Ruck vor meinem Hause stehen und zog einen Schlüssel aus der Tasche. Neugierig ging ich ihm nach und erkannte zu meinem Erstaunen meinen Mieter, Herrn Granard. Im gleichen Moment erkannte auch er mich. Nie, Mr. Jenkins, habe ich im Gesicht eines Menschen solche Bestürzung gesehen. Er sah mich an, als ob er einen Geist vor sich sähe und fand erst nach einigen Augenblicken die Sprache wieder. ‚Was wollen Sie?‘ schrie er. ‚Was wollen Sie von mir? Was spionieren Sie hier herum?‘ Ich suchte ihn zu besänftigen und erklärte ihm, ich käme hier zufällig vorbei. Aber er hörte nicht darauf. ‚Was spionieren Sie hier?‘ schrie er noch lauter. ‚Bin ich Ihnen etwas schuldig? Sie haben doch Ihre Miete bekommen!‘ In diesem Moment drehte er den Schlüssel herum und war mit einem Satz im Hause, das er von innen wieder abschloß. Im gleichen Augenblick waren seine Verfolger angelangt. Sie sahen mich einen Augenblick prüfend an und stürmten weiter.“

      „Was taten Sie darauf?“ fragte Mr. Jenkins.

      „Ich ging kopfschüttelnd nach Hause. Das Gesehene und Gehörte hatte mich, wie ich offen gestehen muß, nachdenklich gemacht. Ich beschloß, auf alle Fälle das Haus in der Rue Miramare ein wenig zu beobachten. Einige Male ging ich abends daran vorbei. Die Läden waren fest geschlossen, indessen sah ich durch die Spalten Licht schimmern.

      Es war einen Monat nach dem Vermietungstage, also am 1. März, als Herr Granard mich morgens aufsuchte. Er erklärte mir, er habe sich entschlossen, das Haus zu kaufen, wenn ich ihm einen annehmbaren Preis dafür machen würde, und wir einigten uns schließlich auf 96 000 Franken. Herr Granard bemerkte, er erledige grundsätzlich alles auf der Stelle und zahlte mir den Kaufpreis von 96 000 Franken sofort aus. Und nun kommt das Unbegreifliche. Heute früh, also drei Tage später, erschien Herr Granard abermals bei mir und teilte mir mit, daß er in einer Erbschaftsangelegenheit nach Kanada reisen müsse. Daher sei er gezwungen, sein Vermögen zu liquidieren und auch sein Haus wieder zu verkaufen. Ob ich es zurückkaufen wolle?“

      Ich antwortete Herrn Granard natürlich, ich könne mich hierzu nicht entschließen. Ich gestand ihm, ich sei sehr froh gewesen, einen Käufer gefunden zu haben und ein Haus losgeworden zu sein, das nur noch den Grundwert habe. ‚Nun,‘ erwiderte Herr Granard darauf, ‚ich will Sie nicht übervorteilen. Wieviel beträgt nach Ihrer Meinung der Grundwert?“

      ‚38 000 Franken‘, sagte ich aufs Geratewohl.

      ‚Gut,‘ sagte Herr Granard, ‚ich bin damit zufrieden.‘

      Was sollte ich tun? Das Haus hat einen Grundwert von mindestens 50 000 Franken, dafür kann ich es jeden Tag an die Stadt Paris verkaufen. Es wunderte mich, offen gestanden, daß Herr Granard, der einen sehr geschäftstüchtigen Eindruck macht, hieran nicht gedacht hatte. Nun, mir konnte es schließlich recht sein. Ich zahlte also Herrn Granard seine 38 000 Franken aus und das Haus gehörte wieder mir.“

      „Zahlten Sie Herrn Granard das Geld auf der Stelle aus?“

      „Ja. Ich wollte ihm zuerst Papiergeld geben, indessen meinte er, es sei ihm nicht lieb, soviel Bargeld in der Tasche zu haben. Ich möchte ihm einen Scheck geben.“

      „Taten Sie dies?“

      „Ja. Dann sagte Herr Granard:

      ‚Noch eins. Ich lasse in Ihrem Hause eine Anzahl Teppiche zurück, die ich bei der Kürze der Zeit zu einem regulären Preise nicht mehr verkaufen kann. Wollen Sie sie mir abnehmen? Ich lasse Sie Ihnen billig, für 500 Franken.‘ Ich wollte erst nicht recht darauf eingehen, entschloß mich indessen auf sein Zureden, die Teppiche zu kaufen und gab Herrn Granard einen Scheck über 38 500 Franken auf mein Konto beim Crédit Lyonnais. Dann ging ich in mein Haus hinüber, um mir mein wiedererlangtes Eigentum anzusehen. Und da sah ich etwas, was mich in ratloses Erstaunen versetzte. Wie mir Herr Granard richtig gesagt hatte, war das ganze Haus von oben bis unten mit Teppichen ausgelegt. Wie ich nun auf den ersten Blick erkannte, waren es echte Perserteppiche, deren Wert in gar keinem Verhältnis zu dem geforderten Preise von 500 Franken stand. Ich traute meinen Augen kaum. Schließlich kam ich zu der Überzeugung, es müßten doch wohl geschickte Imitationen sein, bis ich irgendwo, wo wohl zuvor ein Papierkorb gestanden hatte, ein zerknittertes Papier fand. Ich faltete es auseinander und erkannte, daß es eine Rechnung der Teppichfirma Montholon frères war. Sie lautete über neun Perserteppiche im Gesamtwerte von 25 000 Franken und war ordnungsmäßig quittiert. Nachdenklich schritt ich durch die Zimmer und trat ans Fenster. Und da entdeckte ich etwas, was mich vollends in Bestürzung versetzte. Die Hülle des Heizkörpers hatte sich etwas verschoben. Ich wollte sie zurechtrücken. Es gab einen Widerstand. Irgendein Gegenstand mußte dazwischen sein. Ich nahm die Hülle ab, um das Hindernis zu entfernen, und fand eine Brieftasche mit 38 000 Franken, dem Kaufpreise, den ich Herrn Granard für das Haus bezahlt hatte. Und nach dieser Entdeckung war es mir klar: hier geht etwas nicht mit rechten Dingen zu. Die Sache stimmt nicht; irgend etwas ist geschehen oder wird geschehen; wahrscheinlich ein Verbrechen. Und darum komme ich zu Ihnen, Mr. Jenkins. Ich habe viel von Ihnen gehört; man hat mir gesagt, Sie wären der scharfsinnigste Mann in Europa. Sagen Sie mir, Mr. Jenkins, was hat das ganze zu bedeuten?“

      Der Detektiv sah eine Zeitlang vor sich nieder; seine Brauen waren gerunzelt, die Augen halb geschlossen. „Zunächst eine Frage,“ begann er endlich, „hat Herr Granard Ihren Scheck schon präsentiert?“

      „Nein. Er verließ mich um 4 Uhr, und um diese Zeit schließt meine Bank.“

      „Gut! Er wird also morgen früh um 9 Uhr da sein. Oder vielmehr, er wird einen Boten schicken und in der Nähe warten. Sie sprachen von einer gefundenen Brieftasche. Haben Sie sie bei sich?“

      „Hier ist sie.“ Der Besucher zog ein altes schwarzes Portefeuille aus der Tasche, das er dem Detektiv übergab.

      „Sie haben an dem Inhalt nichts geändert? Nichts fortgenommen, nichts hineingelegt?“

      „Nichts.“

      „Sie haben Ihre Sache gut gemacht.“ Der Detektiv öffnete die Brieftasche und überzählte flüchtig den Inhalt ‚der aus Tausendfrankenbilletts bestand. „Und nun die Hauptsache. Herr Granard hat Ihnen vor drei Tagen 96 000 Franken bezahlt. Wo haben Sie das Geld? Haben Sie es schon zur Bank gebracht?“

      „Nein! Ich pflege jeden Sonnabend auf meine Bank zu gehen. Wir haben heute Freitag; morgen wollte ich das Geld zur Bank bringen.“

      „Sie haben es also noch im Hause?“

      „Ja.“

      „Fühlen Sie sich frisch genug, um mich nach Ihrem Hause in der Rue Miramare zu begleiten?“

      „Noch jetzt? In der Nacht?“

      „Auf der Stelle. Die Sache duldet keinen Aufschub.“

      „Und was versprechen Sie sich von dem nächtlichen Besuch?“

      „Nun,“ sagte Jenkins lächelnd, „ich denke, Herr Granard wird in diesem Moment in jenem Hause sein. Es dürfte ihm daran liegen, die verlorene Brieftasche zu holen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich ein Wörtchen mit ihm reden. Kommen Sie mit?“

      „Ich bin vollständig munter.“

      Joe Jenkins entnahm seinem Schreibtisch einen Browning, und der Besucher sah, daß er das Magazin neu füllte. Hierauf rief er telephonisch eine Nummer an und unterhielt sich mit jemandem in englischer Sprache, die der Besucher nicht verstand.

      „Wir nehmen jetzt ein Auto“, sagte Jenkins, als die beiden unten angelangt waren. Er rief eine vorüberfahrende Droschke an und ließ an der Rue Montmartre halten. Er setzte mit seinem Begleiter den Rest des Weges zu Fuß fort. An der Ecke der Rue Miramare bemerkte der Hausbesitzer, als er sich zufällig umdrehte, daß in einer Entfernung von zwanzig Schritt ihnen zwei Gestalten folgten. Ein wenig ängstlich, machte er den Detektiv darauf aufmerksam. „Keine Sorge,“ sagte dieser lächelnd, „es sind meine Assistenten. Ich habe sie telephonisch bestellt. Wenn nicht alles täuscht, werden wir heute nacht noch Arbeit bekommen. Welche Nummer hat Ihr Haus in der Rue Miramare?“

      „Nr. 84.“

      „Hier ist 72. Liegt es auf dieser Seite?“

      „Ja!“


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