Praxis und Methoden der Heimerziehung. Katja Nowacki

Praxis und Methoden der Heimerziehung - Katja Nowacki


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Teilhabe von Kindern und Jugendlichen in allen sie betreffenden Bereichen ermöglicht werden“ (Rätz-Heinisch/Schröer/Wolff 2014, S. 275).

      Die formal abgesicherten Beteiligungsmöglichkeiten und Beteiligungsrechte von jungen Menschen, die in den Institutionen der stationären Erziehungshilfe leben, sind eher gering. Wo Kinder, Jugendliche und ihre Eltern auf professionelle Fachkräfte treffen, ist eine Beteiligung auf Augenhöhe eher schwierig (Stork 2017, S. 48). Die Gefahr besteht, dass Fachkräfte die Haltung haben, sie wüssten schon, was für die Kinder und Jugendlichen das Beste sei. Beteiligungen der jungen Menschen sind dann zwar auch anzutreffen, aber diese nehmen eher einen gelegentlichen, zufälligen oder auch vom zeitweisen Wohlwollen der Erwachsenen geprägten Charakter ein. Systematisch zugestandene und auch formal abgesicherte Möglichkeiten und Wege der Partizipation sind unter solchen Verhältnissen nicht anzutreffen.

      Für die stationäre Erziehungshilfe ist die Partizipation ein wichtiges Element, da es eine zentrale Grundlage demokratischer Strukturen auch in der Sozialen Arbeit darstellt (Stork 2017, S. 46) und damit auch für das Erleben der Selbstwirksamkeit der Kinder und Jugendlichen ein wesentliches Mittel ist.

      Im Zuge der Skandalisierung der Heimerziehung und der sich daraus ableitenden ersten Reformen wurden Instanzen der Partizipation in der Heimerziehung durchaus verwirklicht: In verschiedenen Institutionen bildeten sich beispielsweise Heimräte, es wurden Vollversammlungen einberufen und Gruppen- sprecher*innen gewählt. Die nachhaltigen Reformen und Strukturveränderungen der Heime, die Dezentralisation großer Einrichtungen und die allgemeine liberalere Erziehungspraxis haben solche Instrumentarien der Partizipation zumeist überholt und vergessen lassen. Heimräte oder Gruppensprecher*innen verdeutlichen sehr das Negativbild von Institutionen und es ist zu hinterfragen, ob solche oder andere Mitbeteiligungswege in heute durchweg reformierten und vor allem in kleineren Institutionen überhaupt noch notwendig sind. Kommt es nicht mehr und vor allem auf die Haltungen der pädagogischen Mitarbeiter*innen an, welche die Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen wie selbstverständlich akzeptieren und fördern müssen? Andererseits gilt zu bedenken, dass demokratische Errungenschaften – gleich in welchem Bereich – keine Selbstläufer sind. Sie wurden immer mühsam erkämpft; es besteht immer die Gefahr, dass sie schnell beseitigt werden. Klar strukturierte und auch schriftliche fixierte Wege der Partizipation können das Selbstverständnis dieser Errungenschaften verfestigen.

      „Beteiligung kann darüber hinaus in den Hintergrund geraten, wenn pädagogische Fachkräfte Machtansprüche nicht aufgeben wollen oder können bzw. wenn Konkurrenzen die Zusammenarbeit stören. Aufseiten der betroffenen Kinder, Jugendlichen oder Eltern kann die Mitwirkungsbereitschaft eingeschränkt sein, wenn sie die Abläufe nicht verstehen und einschätzen können bzw. wenn sie verunsichert oder zu wenig informiert sind“ (Rätz-Heinisch/Schröer/Wolff 2009, S. 230).

      Die moderne Heimerziehung gibt gegenwärtig vor, lebensweltorientiert zu sein und die Ressourcen der betroffenen jungen Menschen zu nutzen. Dies setzt unter anderem die aktive Beteiligung nicht nur als gelegentliche zugestandene Möglichkeit, sondern als festgelegtes Grundprinzip voraus. Beispiele solcher festgelegten Beteiligungsrechte, die kontinuierlich überprüft und nachgewiesen werden müssen, könnten sein:

      •Kinder und Jugendliche haben Mitspracherechte bei den Gruppenregeln, sie können diese hinterfragen und Änderungen verlangen.

      •Bei Urlaubsfahrten sind die jungen Menschen die Hauptbetroffenen. Ihre Vorschläge und Wünsche sind richtungsweisend, „altbewährte“ Urlaubsziele der Gruppe können abgelehnt werden.

      •Bei der Einstellung neuer Mitarbeiter*innen ist regelmäßig die Meinung der Kinder und Jugendlichen einzuholen, ihr Votum kann ausschlaggebend sein.

      •Über voraussehbare Neuaufnahmen sollten die Kinder und Jugendlichen informiert werden, ihre Meinung ist wichtig bei der Entscheidung, ob ein bestimmtes neues Kind in der gegenwärtigen Situation in die Gruppe passt.

      Die Partizipation von jungen Menschen in stationären Jugendhilfeeinrichtungen wurde auch vom neuen Bundeskinderschutzgesetz berücksichtigt und im Sozialgesetzbuch VIII stärker implementiert. Geregelt wurde beispielsweise das Verfahren der Beteiligung von Minderjährigen an strukturellen Entscheidungen in der Einrichtung sowie das Beschwerdeverfahren in persönlichen Angelegenheiten (§ 8b SGB VIII). Letzterem kann in der Heimerziehung mit der Implementierung von Ombudsfrauen oder Ombudsmännern Rechnung getragen werden (Meysen/Eschelbach 2012, S. 170). 2012 wurde ebenfalls in § 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII aufgenommen, dass für die Erteilung einer Betriebserlaubnis für eine (teil-)stationäre Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe „zur Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in der Einrichtung geeignete Verfahren der Beteiligung sowie der Möglichkeit der Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten Anwendung finden“ müssen. Die gesetzliche Grundlage für Beteiligungsprozesse ist damit klar geschaffen worden. Inhaltlich muss sie aber auch konsequent umgesetzt werden.

      „Beteiligung in der Kinder- und Jugendhilfe vollzieht sich selten von alleine, sie muss gewollt sein. Die Aufgabe der Wahrnehmung und Erschließung von Teilnahmechancen und Teilgabepotenzialen liegt bei den Fachkräften. Die Erfahrung hat gezeigt, dass beteiligende Beratung erst gelingen kann, wenn die Fachkräfte an der Basis hierfür Rückendeckung von den Führungskräften sozialer Institutionen erhalten“ (Rieger 2013, S. 33).

      Hilfeplanung

      Die gemeinsame Planung und Abstimmung der erforderlichen und zu leistenden Hilfe unterstreicht den Kooperationsgrundsatz im Umgang mit und in der Leistung von erzieherischen Hilfen. Wenn Hilfe voraussichtlich über einen längeren Zeitraum zu leisten ist, soll die Hilfeplanung unter Hinzuziehung mehrerer Fachkräfte und mit partnerschaftlicher Beteiligung der Personensorgeberechtigten sowie der Minderjährigen ablaufen. Unter erzieherischen Hilfen, die voraussichtlich für einen längeren Zeitraum geleistet werden, sind insbesondere auch Erziehungshilfen zu verstehen, die außerhalb der eigenen Familie stattfinden, also beispielsweise in einer Vollzeitpflegestelle oder im Rahmen der Heimerziehung. Für diesen Personenkreis sieht das KJHG (§ 37) eine besonders intensive Zusammenarbeit von Pflegepersonen, den Gruppenerzieher*innen eines Heimes, von gruppenübergreifenden Diensten, den zuständigen Fachkräften des Jugendamtes und anderen professionellen Kräften vor, welche die jeweilige Situation des jungen Menschen gut kennen und beurteilen können. Die Personensorgeberechtigten und die Kinder/Jugendlichen sind an diesem Hilfeplanungsprozess integrativ beteiligt. Betroffene und Fachkräfte sollen in gemeinsamer Abstimmung die bisherige erzieherische Hilfe bewerten, neue pädagogische Notwendigkeiten und Ziele formulieren und Lebensperspektiven herausbilden.

      Eine solche Hilfeplanung wird in etwa folgenden Schritten ablaufen: Nachdem sich die Personensorgeberechtigten (Eltern) und/oder Minderjährigen mit ihren speziellen Problemen und Hilfebedürfnissen an das Jugendamt gewandt haben, kommt es zunächst zu einem Beratungsgespräch, in welchem der/die zuständige Sozialarbeiter*in umfangreich berät und Vorteile und Nachteile der eventuellen Hilfe offenlegt. Wird die Gewährung einer Hilfe für notwendig gehalten und sind sich alle Beteiligten über Form und Ausgestaltung der Hilfe einig, so kommt es in einem nächsten Schritt zu einem Hilfeplanprozess.

      Dieser Hilfeplanprozess besteht in der Regel aus zwei Teilen: dem Fachgespräch und dem Hilfeplangespräch. Am Fachgespräch oder der Expert*innenrunde nehmen die zuständige Fachkraft des Jugendamtes teil und in der Regel weitere Kolleg*innen von öffentlichen oder freien Trägern der Jugendhilfe. Hinzugezogen werden sollen auch Vertreter*innen anderer Fachdienste oder Spezialdienste, so z. B. Psycholog*innen, Ärzt*innen und Lehrer*innen. Nachdem im Fachgespräch eine umfassende Darstellung des individuellen Falles erfolgte und Vorgeschichte, sowie mögliche Ursachen erörtert wurden, beginnt eine Diskussion über mögliche Interventionen.

      Bei dem nun folgenden Hilfeplangespräch sind die Eltern und Minderjährigen in jedem Fall zu beteiligen und weitere Vertrauenspersonen können auf Wunsch hinzugezogen werden (z. B. Freund*innen, Verwandte).


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