Gesammelte Werke. Ricarda Huch
sich in seine geliebten Tiroler Berge schlägt und bei einer Gemsjagd den Gemeinen Pfennig und die Matrikularbeiträge vergißt? Der während des Feldzugs dichtet, der bei den Reichstagsverhandlungen oft so heftig wird, daß man kaum versteht, was er sagt, und von dem man nie weiß, ob er mit dem benachbarten Monarchen im Kriege ist oder über Ehebündnisse verhandelt?
Es war aber durchaus nicht nur die Persönlichkeit Maximilians, die Bertholds Auffassung der Reichsreform bestimmte. Wenn er die Regierungsgewalt in die Hände der Fürsten bringen wollte, so verfolgte er damit das Ziel, das fürstlicher Eigennutz und Machttrieb von jeher im Auge gehabt hatte, das aber auch anders und rechtmäßig zu begründen war. Die Goldene Bulle hatte das Übergewicht der Kurfürsten bereits zum Gesetz gemacht, Berthold von Henneberg befestigte eine vorbereitete Entwicklung, handelte dem Gange der Geschichte gemäß. Er glaubte das Reich stabiler zu machen, wenn er es auf die Stände gründete, als wenn es von den Einfällen und Interessen eines weltpolitisch eingestellten Kaisers abhängig wurde. Dem universalen Kaiser gegenüber vertrat er die nationalen Tendenzen der Zeit, wenn er auch durchaus nicht gleichgültig gegen Verluste des Reichs war. Mit leidenschaftlicher Heftigkeit von Seiten des Kaisers wurde auf den Reichstagen von Freiburg, Lindau, Köln um das ständische oder kaiserliche Übergewicht gerungen. Denn Maximilian, wenn er sich auch darüberstellen konnte, war doch mit Leib und Seele bei allem, was er gerade unternahm. Es kam zu offener Entzweiung, wobei Berthold den herausgesprudelten Zornesausbrüchen des Kaisers die mißbilligende Gemessenheit des Kirchenfürsten entgegensetzte. Man sagte vom Kaiser, die Rede fließe ihm wie geschmolzenes Gold von den Lippen; diesmal siegte seine Überredungskunst nicht. Unter dem Mißerfolg würde er unsäglich gelitten haben, wenn sein elastischer Geist nicht rasch zu anderer Tätigkeit übergegangen wäre, an der er sich erfrischte. Berthold war nicht so leicht zu erschüttern, aber auch nicht so leicht abzulenken und zu beruhigen. Wie bitter enttäuschten ihn seine Mitstände, die Fürsten, deren Sache er vertrat, und die mit ihrem Eigennutz, ihrer Kleinlichkeit und Gleichgültigkeit sich der Stellung, die er ihnen zudachte, und seines Eifers so wenig wert zeigten. »O liebe Herren«, sagte er, »es ist wenig Ernst und Fleiß bei den Ständen des Reiches vom ersten bis zum unteren.« Maximilians Verdacht, er sei durch Frankreich bestochen, traf ihn tief; er erkrankte und starb im Jahre 1504, nachdem er noch den Zusammenbruch der von ihm geschaffenen aristokratisch-republikanischen Reichseinrichtungen erlebt hatte. Es war ein tragisches Ende für einen so redlichen, gewissenhaften Mann; aber tragisch war es auch, daß die rheinischen Fürsten im allgemeinen nicht mit Unrecht verräterischer Beziehungen zu Frankreich verdächtigt werden konnten.
Befreit von seinem Gegner, gelang es Maximilian, einen Umschwung zugunsten der kaiserlichen Suprematie herbeizuführen. Aber so oder so hielt sich zunächst weder der Gemeine Pfennig noch das Reichsregiment, und was von der Reichsreform übrigblieb, führte zunächst nicht zu einer Stärkung, sondern zu einer beklagenswerten Verminderung des Reiches. Im Zusammenhang mit der allgemeinen Zentralisierung sollten die Reichsteile, die sich dem Reich entfremdet hatten, ihm wieder enger angeschlossen werden, indem sie dem neugegründeten Kammergericht unterworfen wurden; das galt hauptsächlich für die schweizerische Eidgenossenschaft. Einst hatte sie sich im Anschluß an den Kaiser die Selbständigkeit erworben, als reichsunmittelbar sich aller Grundherren erwehrt. Noch mit Siegmund hatte sie in besonders freundschaftlichen Beziehungen gestanden und ihm als Kaiser gehuldigt. Das änderte sich, als Friedrich III. zur Regierung kam und heimtückischerweise die französischen Armagnaken gegen sie hetzte. Durch die Erhebung der Dynastie Habsburg zu einer Art Erbkaisertum nahmen von nun an die Kaiser an der Erbfeindschaft teil, die zwischen der Eidgenossenschaft und Habsburg bestand. Allerdings, wäre das auch nicht gewesen, hätte sich die längst ihrer Unabhängigkeit und Stärke frohe Eidgenossenschaft, die gerade damals unter die Großmächte als ihresgleichen getreten war, der Jurisdiktion des Kammergerichts nicht unterstellt. Eine kriegerische Auseinandersetzung folgte, in der Maximilian wie fast immer seine persönliche Tapferkeit und Energie vergeblich einsetzte, da das Reich ihn ungenügend unterstützte. In dem Frieden, der den Schwabenkrieg beendete, wurde die Unabhängigkeit der Eidgenossen vom Kammergericht anerkannt, wenn sie sich auch noch Verwandte des Reichs nannten.
Die Kirchenreform
Daß die Reformation der Kirche die Deutschen von oben bis unten mehr als die des Reiches und mehr im gleichen Sinne beschäftigte, hat verschiedene Gründe, deren wesentlicher der ist, daß dem Reich Mangel an Wirksamkeit, der Kirche ihr Übermaß vorzuwerfen war. Man konnte zweifeln, was und wieviel vom Reiche verlangt werden sollte, man war sich einig über das, was man von der Kirche nicht länger ertragen wollte. Der Umstand, daß der Staat zwischen Kaiser und Ständen geteilt war, hatte zur Folge, daß sich in Hinsicht auf die Reform verschiedene Interessen kreuzten, während alle vom Kaiser bis zum armen Manne sich irgendwie von der Kirche geschädigt fühlten. Da Italien tatsächlich vom Reiche getrennt war, fingen die Deutschen an, den Papst als eine ausländische Macht zu betrachten, und die Anklagen gegen ihn wurden gesteigert durch das Feuer des nationalen Bewußtseins, das jedem Kampfe besonders in den unteren Schichten des Volkes einen Schein von unbestreitbarer Berechtigung, ja von Heiligkeit zu geben pflegt.
Die Sittenlosigkeit und Unwissenheit des Klerus war, wie erheblich auch immer, doch nicht so groß, wie sie ausgeschrien wurden; es sollte sich bald zeigen, wieviel tüchtige, ja hervorragende Elemente sowohl unter den Bischöfen wie unter Pfarrern und Mönchen sich noch befanden. Unbestreitbar aber hatte die Kirche einen anderen, einen massiven, aufdringlich unverschämten Fehler: sie war zu reich. Sie brütete wie ein Lindwurm auf sagenhaft unermeßlichen Schätzen unbeweglich, wartend, daß die goldenen Eier anschwollen und sich mehrten. Hier war der Hort, den Reineke dem König vorspiegelte. Voll grimmigen Neides umschlichen ihn die Braun und Isegrim sowohl wie die Hinz und Henning und sogen sich mit blanken Augen an dem feisten Wanst des Wurmes fest. Er sah mit stillem Lächeln die Gier entbrennen, denn er war durch kanonisches Recht und Reichsgesetze gesichert. Das Kirchengut durfte nicht angetastet und seiner Bestimmung nicht entfremdet werden: man nannte das Inalienabilität; wer wagen sollte, sich kirchlichen Besitz anzueignen oder ihn für andere als kirchliche Zwecke zu verwenden, würde nicht nur von der Hölle verschlungen, sondern von Acht und Bann getroffen werden. Es scheint ein Widerspruch zu sein, daß trotz wachsender Raublust die Schenkungen an die Kirche eher zunahmen als sich verminderten; aber das hing zusammen mit der Lehre von den guten Werken, in deren Ausübung die Religiosität der meisten Menschen sich auswirkte. Indessen das Geld hat magnetische Kraft, die unwiderstehlich wird, wenn eine große Menge in verhältnismäßig wenigen Händen angesammelt ist, und es übt sie aus, indem es immer mehr Geld und zugleich mehr Habgier an sich bannt. Die böse Lust wurde in Schranken gehalten, solange die Kirche die einzige Kulturträgerin war und solange das, was ihr vom Volke zugewendet war, in unzähligen Kanälen zu ihm zurückströmte, sei es durch die Armenpflege, durch Schulen oder dadurch, daß die Kirche die Stelle der Banken vertrat. Seitdem aber die Städte einen großen Teil dieser Leistungen übernommen hatten und der Klerus nicht mehr durch vorbildliches Verhalten den Schutz der Gesetze zu verdienen schien, wurde es zum Schlagwort, daß das Kirchengut dem gemeinen Nutzen nicht mehr diene und daß es notwendig sei, es dem gemeinen Nutzen auf irgendeine Art wieder zuzuführen. Gerade das, daß der Reichtum der Kirche nur der Kirche dienen sollte, Besitz in toter Hand war, erschien als unerträgliche Ungerechtigkeit und volkswirtschaftlicher Unsinn, nun sich unter dem Deckmantel des Gottesdienstes die Wollust von Heuchlern und Nichtstuern verbarg. Am meisten Vorteil von der Kirche hatte der niedere Adel. Die ritterlichen Familien pflegten von ihren Kindern die besonders kräftigen zur Heirat auszulesen, die schwächeren wurden in Stiften und Klöstern untergebracht, die man deshalb die Spitäler des Adels nannte. Die Bistümer, auch vielfach in der Hand von Rittern, begannen im 15. Jahrhundert von den Fürsten in Anspruch genommen zu werden; andererseits suchten die Fürsten sich nach Möglichkeit in das Kirchenregiment einzumischen, wozu das Vogteirecht eine Handhabe bot, und die in ihrem Gebiet liegenden Kirchengüter demselben einzuverleiben. Nicht weniger fühlten sich die Städte durch Klöster und Stifte gehemmt und ärgerten sich noch mehr als die Fürsten über die Steuerfreiheit des Klerus; denn die Fürsten konnten sich dadurch entschädigen, daß sie sich von ihren Ständen, zu denen der Klerus gehörte, freiwillige Beiträge zahlen ließen.