Gesammelte Werke. Ricarda Huch

Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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in der Hofkirche zu Innsbruck begehen, sondern dem letzten Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, des in einem Glauben einigen. Er ist ein Letzter, dessen hier voll Ehrfurcht gedacht werden soll, der Letzte einer stolzen und tragischen Reihe. Bild ist hier die Klage geworden, die zu seinen Lebzeiten, von Sebastian Brant ausgesprochen, aus vielen Herzen brach: »O Deutschland, hülle dich in Trauer, denn das Zepter wird aus deiner Hand genommen werden! Wer gibt meinen Augen Tränen, um den Zusammenbruch des Reiches zu beweinen!«

       Inhaltsverzeichnis

      Nicht Sebastian Brant allein witterte Verfall und Untergang, aber kaum einer hat der bangen Ahnung so bestimmten Ausdruck gegeben wie er in seinem großen Brief an seinen Freund, den Patrizier und Humanisten Peutinger in Augsburg. Er sieht die drohenden Vorzeichen, die andere nicht bemerken. »Keine besseren Zeiten werden kommen, im Gegenteil, ich fürchte schlimmere, da ja alles zu Verderben und Sturz sich hinneigt!« Ein Gefühl war verbreitet, wie es die Kreatur vor einem Gewitter oder Erdbeben beschleicht, als verdunkle sich das Licht, als senke sich der Himmel tiefer als sonst hinab, als höre die Natur auf zu atmen.

      Diese Ahnung unabwendbaren Unheils bemächtigte sich der Deutschen zu einer Zeit hoher kultureller Blüte, deren Pracht die Nachkommen zum Neid auf ein so harmonisches Zusammenwirken geistiger Kräfte bewegt. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts sagte Enea Silvio Piccolomini, Deutschland sei noch nie so reich und glänzend gewesen, und andere sagten dasselbe mit ähnlichen Worten. In den hundert Jahren von 1450 bis 1550 ist, mit Ausnahme der Kirchen, das meiste von dem entstanden, was wir heute als Zeugnis des schönen mittelalterlichen Stadtbildes bewundern. Im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts und im Laufe des 16. bauten sich fast alle Städte neue Rathäuser oder bauten wenigstens die älteren um, bauten die Zünfte sich neue Versammlungshäuser, die Patrizier und die Handwerker sich Wohnhäuser, die ihrem vermehrten Wohlstand, ihrem verfeinerten Geschmack, ihrem zunehmenden Bedürfnis nach Bequemlichkeit entsprachen. Überall in Deutschland, wo nicht Krieg oder Feuer oder Großstadtbedürfnis zerstört haben, treffen wir auf den mittelalterlichen Kern, der durch seinen malerischen, Auge und Gemüt befriedigenden Charakter so merklich von der modernen Umgebung absticht. Das ist keine Wohnstätte, sondern Heimat; es scheint, als ob glücklichere Menschen hier gelebt haben, die wußten, daß draußen Kampf und Ruhm ist, daß aber das Glück im Innern des Herzens und im Innern des Hauses gesucht werden muß.

      Das Fachwerkhaus mit seinem phantastisch vergitterten Holzgerüst mahnt an die Wälder, deren Rauschen einst die deutschen Lande erfüllte, und atmet ihr würziges Aroma in die Straßen aus. Der hohe Giebel und das breite Tor erinnern an das Bauernhaus, das mütterlich schirmend mit dem Menschen zugleich das Vieh und den herbstlichen Vorrat umfaßt. Aus dem Jahre 1526 stammt das imposante Knocherhaueramtshaus am Marktplatz in Hildesheim, das mit der rhythmischen Steigerung seiner Stockwerke wie eine Fuge sich entfaltet und, ohne etwas von der bäuerlichen Geborgenheit zu verlieren, einen monumentalen Baugedanken verkörpert. Die Rathäuser, meist am Anfang des 15., zuweilen schon zu Ende des 14. Jahrhunderts begründet, wurden nun erweitert und geschmückt. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts erhielt das Rathaus der Braunschweiger Altstadt die letzten Laubenvorbauten, durch die das ernste Gebäude in ein Feenschloß verwandelt wurde. Ebenso erhielt das zu Ende des 14. Jahrhunderts errichtete Rathaus zu Wesel seine stolze Fassade hundert Jahre später. Das Rathaus, dem Kaiser geweiht, wie die Kirche Gott, stand in den Grenzen der Weltlichkeit an Würde und Weihe der Kirche nah. Das Recht kommt nach germanischer Auffassung von Gott, wie es der Sachsenspiegel in den bekannten Worten zum Ausdruck bringt: »Gott selbst ist das Recht, und darum ist ihm das Recht lieb.« Die Grundlage alles irdischen Rechtes ist das natürliche Recht, das Gott den Kreaturen gegeben hat und das allen Satzungen und Gewohnheiten vorgezogen werden muß. Wie die sittliche Ordnung ist es vorhanden gewesen, ehe es einen Staat gab. Durch den Kaiser konnte die Gerichtshoheit den Gliedern des Reiches verliehen werden und besaßen sie die Städte. Ihre Verleihung vollendete die Reichsunmittelbarkeit und war das ersehnte Siegel der Freiheit, gewährte Sicherheit vor den Ansprüchen der Landesherren. In vielen Städten sächsischen Rechts waren sogenannte Rolande als Kennzeichen der Gerichtshoheit den Rathäusern vorgebaut; sie trugen das Schwert zur Handhabung der Gerechtigkeit und zuweilen in der Gürtelschließe das Bild eines Engels mit der Laute als Symbol für den göttlichen Ursprung des Rechtes. Die malerische Ausschmückung im Inneren der Rathäuser pflegte auf alle diese Beziehungen hinzuweisen, etwa durch den Reichsadler oder Bilder der Kaiser oder durch Darstellungen aus der Heiligengeschichte oder der sogenannten Neun guten Helden, nämlich drei heidnischer, drei jüdischer und drei christlicher. In den Ratssälen und Gerichtslauben von Köln, Lüneburg, Goslar und vielen anderen umfängt den Eintretenden, als wäre Weihrauch in der Luft, das Gefühl der überirdischen Bestimmung.

      Neue Kirchenbauten wurden im 15. Jahrhundert nur selten unternommen; in Augsburg entstanden zum Beispiel im letzten Viertel mehrere Klosterkirchen und die Kirche Sankt Ulrich und Afra, deren Einweihung in Gegenwart der beiden großen Gegner Kaiser Maximilian und Berthold von Henneberg stattfand. Anbauten erhielten verschiedene Kirchen, so der Dom von Münster die Fassade des einen Querschiffs mit dem herrlichen gotischen Fenster. Wurden neue Kirchen nicht errichtet, so füllten sich doch die alten um die Mitte des 15. Jahrhunderts mit den Altären, Grabmälern, Epithaphien, deren farbiges Gedränge uns den Eindruck einer heiligen, Ahnen und Enkel umfassenden Wunderwelt vermittelt, in der der einzelne willig versinkt. Wenn wir jetzt in den Museen an dem schweigenden Volk der Verklärten vorübergehen, so bemerken wir als Ursprungsjahr meistens Jahreszahlen zwischen 1470 und 1520. Unzählige Bilder und Statuen sind darunter, deren Meister nicht bekannt sind, die aber hochentwickelten Kunstsinn und Kunstfertigkeit verraten und die durch Lieblichkeit und beseelten Ausdruck sich tief einprägen. Denkt man dann an die Meisterwerke der Epoche, den Isenheimer Altar von Grünewald, den Freiburger Altar von Baldung-Grien, die Schnitzaltäre von Tilman Riemenschneider und Michael Pacher, die Bildnisse von Dürer, Cranach und Holbein, so glaubt man die schöpferische Kraft des deutschen Volkes gesammelt zu sehen, um das Höchste, was ihm geoffenbart wurde, in vollkommener Form zu schaffen.

      Wie die Kirchen sich mit Kunstwerken füllten, so die Häuser mit künstlerisch gearbeitetem Gerät, das nicht nur der Hand bequem, sondern auch dem Auge eine Lust sein sollte. Gerade die geschmackvolle Durchbildung der zum täglichen Gebrauch bestimmten Gegenstände zeigte die Höhe der Kultur, wenn anders Kultur ausgleichend ist, so daß ihre Güter nicht eine einzige oder einige wenige Stellen gleichsam als wunderbare Auswüchse schmücken, sondern allenthalben verteilt sind. Wie die einst so unwirtlichen Ritterburgen durch Teppiche, Truhen und Bilder wohnlich gemacht wurden, so zeigte sich auch in den Dörfern an Kirchen, Häusern, Brunnen und Wegkreuzen die Freude am Schönen. Die neuerfundene Kunst des Buchdrucks brachte auch den Ärmeren Anregung und die erwünschten Nachrichten vom Weltgeschehen durch Flugschriften. Schon am Ende des Jahrhunderts waren in fast allen namhaften deutschen Städten Druckereien in Tätigkeit. Die großen Verleger, die Koberger in Nürnberg, die Froben in Basel, die Quentell in Köln und Lufft in Wittenberg waren hochgebildete Männer, die durch ihre Arbeit ebenso wie sich selbst und nicht selten mehr als sich selbst Deutschland und die christliche Welt bereicherten. Sie haben dem Buchhandel die ehrenvolle Bahn vorgezeichnet, die ihre Berufsgenossen Jahrhunderte hindurch innegehalten haben. Die Bücher, die sie herstellten, schlossen sich zunächst noch der Art der geschriebenen an, ihr Format war unhandlich, die Lettern waren groß und schön, fast jede Seite trug graphischen Schmuck. Von den Bibeln, die herausgegeben wurden, waren mehrere reichlich mit Holzschnittbildern versehen. Zur Zeit Maximilians war der Holzschnitt so entwickelt, daß bedeutende Künstler sich seiner bedienen konnten, um die anspruchsvollen Pläne des Kaisers auszuführen. Der Triumphzug und die Ehrenpforte, Verherrlichungen seiner Person und seiner Taten, rauschen so festlich vorüber, daß man schimmernde Farben zu sehen und Trompeten blasen zu hören meint. Hervorragende Künstler wurden sehr geschätzt, wenn auch nicht immer entsprechend bezahlt. Daß sie einer Zunft zugeteilt und dadurch dem Handwerk, der Arbeit und bürgerlichen Pflichten verbunden blieben, gehörte wieder zur ausgleichenden Kultur. Verschiedene Künstler haben hohe städtische Ämter bekleidet, so Altdorfer in Regensburg und Riemenschneider in Würzburg. Daß sie dem praktischen Leben sich nicht entfremden konnten, machte sie zu so tüchtigen männlichen Erscheinungen. Ermöglicht wurde der


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