Gesammelte Werke. Ricarda Huch

Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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Ritter gab, der die Ideale seines Standes verwirklichte, so war es Ulrich von Hutten. Zum Klosterleben von den Eltern bestimmt und diesem mit Hilfe seines etwas älteren Freundes, Crotus Rubeanus, entflohen, das seinem ganz auf Tat und Erleben gestimmten Wesen widersprach, war er der natürliche Gegner des Klerus, besonders der Klostergeistlichkeit. Unter großen Entbehrungen, denn nach seiner Flucht aus dem Kloster hatte sein Vater die Hand von ihm abgezogen, hatte er an verschiedenen Universitäten sich in humanistische Studien vertieft, dann, um seinen Vater zu versöhnen, in Italien die Rechte zu studieren begonnen. Dort dichtete er im Jahre 1513 schöne, straff geschürzte lateinische Verse gegen den Papst und den Ablaß: »Wie doch die gläubige Welt der Krämer Julius anführt / Welcher den Himmel verkauft, den er doch selbst nicht besitzt! / Biete nur feil, was du hast! Wie schamlos ist's zu verkaufen / Was, o Julius, dir eben am meisten gebricht.« Und ferner: »Wie, der menschliche Geist, ein Funke des göttlichen Lichtes / Von Gott selber ein Teil, läßt so durch Wahn sich verblenden? / Julius, dieser Bandit, den sämtliche Laster beflecken, / Er verschließe den Himmel nach Willkür diesem und schlösse / Jenem ihn auf? Sein Wink beseligte oder verdammte?« Ohne grübelnde Untersuchung, ohne daß ein innerer Kampf vorausgegangen wäre, versandte er diese Pfeile. Es kam ihm nicht in den Sinn und kümmerte ihn nicht, ob der häßlichen kirchlichen Praxis eine wahre, große Idee zugrunde liege; der Ablaß war für ihn ein Schimpf, den Rom den deutschen Barbaren antat, Grund genug, dagegen zu kämpfen. Als er im Jahre 1516, fünf Jahre nach Luther, in Rom war, befestigte ihn die Anschauung der am päpstlichen Hofe herrschenden Sittenlosigkeit in seinem Haß.

      »Also sah ich sie denn, Roms halb zertrümmerte Mauern,

       Wo mit dem Heiligen man selber den Gott auch verkauft!«

      Doppelt widert ihn das verweichlichte und skandalöse Leben an, das er sieht, weil es auf dem Hintergrunde der Ewigen Stadt sich abspielt:

      »Und das alles in Rom, wo Curius einst und Metellus

       Und Pompejus gelebt; o der veränderten Zeit!«

      Denn Rom ist diesem Romfahrer heilig, und er sucht es auf, Pietät und Verehrung im Herzen, nicht weil sein Boden vom Blute der Märtyrer getränkt ist, sondern als den Schauplatz antiker Größe und Freiheit, als die Heimat von Helden, denen die Deutschen gleichen könnten, wenn die Papstkirche sie nicht verderbt hätte.

      Im Begriff, Italien zu verlassen, bekam Hutten bei einem Freunde Einsicht in die Schrift, in welcher Lorenzo Valla in der Mitte des vorigen Jahrhunderts die Schenkung des Konstantin, auf welche die Päpste ihren Anspruch auf Herrschaft über den Erdkreis und insbesondere über Italien gründeten, als eine Fälschung nachgewiesen hatte. Sofort faßte Hutten den Plan, sie zur Verbreitung in Deutschland drucken zu lassen. Mit großartiger Unverschämtheit widmete er diese Schrift, die das Fundament der päpstlichen Herrschaft erschütterte, dem Papst Leo X. Leo, der in Italien als Wiederhersteller der Freiheit gefeiert werde, habe mit dem Frieden Gerechtigkeit, Wahrheit und Freiheit zurückgeführt, nun könnten die Wissenschaften aufblühen, könne sich offen zeigen, was bisher sich habe verstecken müssen. Schlechte Päpste hätten die konstantinische Schenkung erdichtet. Leo werde freiwillig aufgeben, was man einem schlechten Papst mit Gewalt würde genommen haben; denn Frieden könne zwischen Räubern und Beraubten nur sein, wenn das Geraubte zurückgegeben werde. Leos Vorgänger, schlechte Päpste, hätten Gnaden feilgeboten, mit Dispensen und Bullen Handel getrieben, Sündenvergebung verkauft und aus den Strafen im künftigen Leben eine Erwerbsquelle gemacht. Sie hätten die Deutschen glauben gemacht, nur die seien rechte Bischöfe, die um viele tausend Goldgulden ein Pallium von ihnen erhandelten, und hätten, während sie alles dies und mehr verübten, dazu noch als Heilige verehrt sein wollen. Es würde ein großes Unrecht sein, Leo solchen Päpsten beizählen zu wollen. Zwar zweifle er, Hutten, nicht, daß das Büchlein des Valla ihm gefallen werde, aber es wäre ihm doch lieb, wenn Leo ihm öffentlich seinen Beifall kundtäte; dann werde er sich Mühe geben, bald etwas Ähnliches aufzutreiben.

      Ob Leo die Schrift kennenlernte und es für das beste hielt, zu schweigen, weiß man nicht. Daß den Humanisten die Verwegenheit des Witzes so entzückt hätte, daß er den Inhalt hätte hingehen lassen, ist kaum anzunehmen.

      Huttens ritterliche Impulse erhielten frische Nahrung, als im Jahre 1515 Herzog Ulrich von Württemberg seinen Vetter, Hans von Hutten, ermordete. In leidenschaftlichen Anklagereden trat er als Verteidiger der Unschuld und Rächer des Unrechts auf. Stärker noch ergriff ihn der Kampf um Reuchlin. Denn da war nicht nur ein alter Mann, dem Ketzerrichter mit dem Scheiterhaufen drohten, mit ihm litt ein ganzes Volk, litt die abendländische Menschheit unter dem Druck eines Glaubens, der zum törichten oder finsteren Aberglauben geworden war. Die Kirche war der Drache, auf den er sich stürzte; er hatte die Aufgabe und das Pathos seines Lebens gefunden. Der Streit um die Thesen, die damals ein Augustiner an die Wittenberger Schloßkirche anschlug, interessierte ihn nicht, das war in seinen Augen ein Mönchsgezänk wie das um die unbefleckte Empfängnis der Jungfrau, das vor einer Reihe von Jahren Dominikaner und Franziskaner entzweit hatte. Mochten sie sich untereinander zerfleischen!

      Als er Ende des Jahres 1518 auf Steckelberg bei seinen Eltern weilte, stellte er die Türkenrede, aus der er auf Zureden seiner Freunde in Augsburg die gegen den Papst gerichteten Stellen gestrichen hatte, unverkürzt her und versah sie mit einer Zuschrift an die wahren und freien Deutschen. Sollte ihm Gefahr drohen, sagte er darin, so verlasse er sich auf seine Deutschen, für die er soviel gewagt habe. Die Feinde und Unterdrücker Deutschlands sollten sich hüten, die Sache zum Äußersten zu treiben. Wenn es jemand gebe, der die deutsche Freiheit so vernichtet wünsche, daß man gegen kein Unrecht, keine Schmach mehr Einrede tun dürfe, der möge bedenken, daß die geknebelte und fast erwürgte Freiheit plötzlich losbrechen und sich wiederherstellen könnte. Einfangen und binden lasse sich die Freiheit wohl, wenn einer es schlau und geschickt anzufangen wisse, sie ganz zu vernichten sei unmöglich. »Ihr, denen des Vaterlandes Freiheit am Herzen liegt, die ihr Deutschlands Ehre erkennt und nicht ganz dem Aberglauben verfallen seid, leset, wagt Ähnliches und lebt wohl.« Hutten glich einem Feldherrn, der ein Heer sucht, um es zu Krieg und Sieg zu führen. Und wie das Schicksal zeitenweise einem Menschen wie aus einem Füllhorn alles zuwendet, dessen er bedarf, ließ es Hutten einen Freund finden, der so gut wie ein Heer war. Immer darauf bedacht, sich nicht nur in den Wissenschaften, sondern auch in den eigentlichen Aufgaben seines Standes zu betätigen, nahm er teil an dem Feldzuge, den der Schwäbische Bund im Frühling 1519 gegen den geächteten Herzog von Württemberg veranstaltete. Das lag ihm ohnehin nah, weil er in Vertretung seiner Sippe den Mörder eines Hutten öffentlich angeklagt hatte. Bei der Leichenfeier des verstorbenen Kaisers in Reutlingen hatte ein Bürger der Stadt im Streit einen Württemberger getötet. Das hatte Herzog Ulrich zum Anlaß genommen, sofort aufzubrechen und die überraschte Reichsstadt zu unterwerfen. Die Klagen der Reichsstadt hätten vielleicht nichts gefruchtet, wenn nicht die Herzöge von Bayern, Brüder der gekränkten Frau des schwäbischen Herzogs, für dieselbe hätten eintreten wollen, wozu sie ihr Einfluß auf den Schwäbischen Bund in den Stand setzte. Im Dienste des Kaisers beteiligte sich auch Franz von Sickingen an der Spitze geworbener Landsknechte an diesem Feldzuge, und bei dieser Gelegenheit befreundete er sich mit Hutten. Sickingen war ungelehrt, verstand kein Latein, hatte wenig gelesen und sich an die üblichen kirchlichen Gebräuche gehalten, ohne darüber nachzudenken. Nun begegnete ihm ein tapferer Standesgenosse, der ein enthusiastischer und zugleich kritischer Geist war, dabei mitteilsam und durch seine Abkunft mit der Art und Einstellung seines neuen Freundes vertraut. Wie so oft einfache Menschen, die nur handelnd im Leben standen, war Sickingen außerordentlich empfänglich für geistige Anregung; die erhielt er nun reichlich von Hutten. Mit lebhafter Teilnahme ging er auf die Gedanken und Betrachtungen des Freundes ein, verarbeitete sie mit der kräftigen Gründlichkeit, die in seinem Charakter lag, und machte sie sich ganz zu eigen. Es gibt Menschen, die ihr Denken neben ihrem Tun einherlaufen lassen können, ohne Übereinstimmung zu fordern; es war das Große an Sickingen, daß er sofort sein Tun dem neugewonnenen Überblick unterstellte. Es war, als hätten die edleren Kräfte in ihm auf die rechte Losung gewartet, für die sie kämpfen könnten. Obwohl stark von Hutten beeinflußt, blieb er doch ganz der fest in sich ruhende Mann, der allen, auch Hutten, imponierte. Wie der Löwe der Legende, den der Mensch zähmt und der dem Menschen folgt und doch eine überlegene, furchtbare Kraft und ein bewundernswertes Werk der Natur bleibt, ging er gelassen, eigene, undurchschaubare


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