Gesammelte Werke. Ricarda Huch
sein, daß er glaubte, die erlauchten und hochedlen Kurfürsten des deutschen Reiches, die doch über solche, die Gold besitzen, herrschen, nicht aber selbst Gold zusammenscharren wollen, und die glühen für Deutschlands Freiheit, diese Fürsten besäßen eine solche Schamlosigkeit, eine solche Verwegenheit, eine solche Unbedachtsamkeit, daß sie, durch Versprechungen, Geld oder Gunst bestochen, und uneingedenk ihres heiligen Treueides, durch ihre Stimmen einen Franzosen auf den Kaiserthron erheben wollten!« So allgemein und dringend wurden solche Stimmen laut, daß die französischen Gesandten sich nicht mehr öffentlich zu zeigen, daß die französisch gesinnten Kurfürsten sie nur noch heimlich zu empfangen wagten. Durch eine hohe Pension hatte Karl im April Sickingen an sich gefesselt, von dem man nicht zweifelte, daß er in kurzem ein gewaltiges Heer zusammenbringen werde.
Am 8. Juni begannen die Kurfürsten sich in Frankfurt zu versammeln. Fremden war der Zutritt in die Stadt von jetzt an bis zur geschehenen Wahl verboten, trotzdem schlichen sich Geschäftsträger noch in Verkleidung ein. Kaum jemals war das Wahlergebnis mit so viel Spannung erwartet. Franz rechnete so bestimmt darauf, gewählt zu werden, daß seine Mutter, so hieß es wenigstens, sich bereits ein Galakleid zur Krönungsfeier machen ließ. Schon aber war jede Aussicht für ihn geschwunden. Die öffentliche Meinung Deutschlands hatte sich zu deutlich gegen ihn geäußert. Vielleicht war es den Kurfürsten überhaupt nie so ganz ernst mit Franzens Wahl gewesen. Sie berauschten sich an den gewaltigen Zahlen, die vor ihnen schwirrten, die sie schon mit Händen zu greifen glaubten. Sie waren anfänglich mit 20 000 Goldgulden zufrieden, bald mußten es 100 000 sein. Man konnte, indem man bald den einen, bald den anderen Bewerber begünstigte, die Summen in die Höhe treiben, es war eine Versteigerung, ein aufregendes Spiel, bei dem man auf alle Fälle gewann. Sie verloren den Kopf dabei und vergaßen, daß es sich um etwas anderes als um ein Geldgeschäft handelte. In Wesel und Frankfurt verflog der Taumel. Der Gewinn für den eigenen Säckel war gesichert, ob nun der oder jener zahlte; nun traten andere Gesichtspunkte in den Vordergrund. Als der Erzbischof von Trier, Richard von Greifenklau, einsah, daß Frankreich nicht durchzusetzen war, begab er sich, um wenigstens nicht zu Karl übergehen zu müssen, in die Herberge des Kurfürsten von Sachsen und bat diesen, die Krone anzunehmen. Das Ansehen Friedrichs bei den deutschen Fürsten war so groß, daß er kaum eine Stimme gegen sich gehabt haben würde, man munkelte, sogar der Papst sei seiner Wahl geneigt. Vielleicht hoffte er, als Kaiser, der bei der Krönung schwören mußte, den Heiligen Stuhl und den Glauben zu schützen, werde Friedrich seinen ketzerischen Professor fallen lassen müssen. Unmöglich ist es nicht, daß Friedrich Augenblicke hatte, wo er seine Aussichten erwog und davon träumte, die edelste Krone der Christenheit zu ergreifen, wenn es auch für ihn, dessen Politik immer auf Beschränkung der kaiserlichen Macht gerichtet gewesen war, ein wunderlicher Übergang gewesen wäre. Es wird erzählt, er habe einen Vertrauten um Rat gefragt, und dieser habe gesagt, um Kaiser zu sein, brauche man Weisheit und Kraft; Friedrich habe die Weisheit, aber nicht die Kraft. Sein Fürstentum liefere ihm nicht die Mittel, eine so schwierige und kostspielige Stellung zu behaupten. Im selben Sinne soll Friedrichs Rat Feilitzsch, vom Kurfürsten befragt, wie er die Wahl beurteile, gesagt haben: die Raben brauchen einen Geier. Friedrich hatte die Natur eines Geiers nicht; er war beharrlich und unerschütterlich in dem, was er einmal für Recht erkannt hatte, aber er war sehr vorsichtig und setzte auch in Dingen, die ihm wichtig waren, behutsam Schritt vor Schritt. Jedenfalls lehnte er die angebotene Krone ab, um Karl zu wählen. Wie von einem Blitz ins Licht gezaubert, taucht die Vision eines nationalen, protestantischen Deutschland auf, um sofort wieder zu verschwinden. Noch strömten die die Daseinsformen erbauenden Kräfte in das universale Römische Reich.
Am 29. Juni siegte die französische Partei mit dem Herzog von Braunschweig-Lüneburg und dem Bischof von Hildesheim an der Spitze auf der Soltauer Heide über die österreichische; aber am Tage vorher hatte Österreich in Frankfurt gesiegt. »Durch alle Lande des Erdkreises«, triumphierte der Humanist, »möge der deutschen Kurfürsten Lob verkündet werden, die in stahlharter Treue und Unbestechlichkeit, dem blinkenden Golde des gallischen Nebenbuhlers zum Trotz, und nicht achtend der lockenden Vorspiegelungen die deutsche Freiheit hochhielten und einen Fürsten aus deutschem Blut auf den Kaiserthron erhoben«. Auch dafür sorgten die Kurfürsten, daß die Wahl einstimmig erfolgte. Für ihre Unabhängigkeit und ihren Einfluß sorgten sie in der Wahlkapitulation, die Karl annahm. Es war darin festgesetzt, daß der König Versammlungen der Kurfürsten gestatten müsse, andere Bünde und Zusammenkünfte des Volkes aber nicht dulden dürfe. Daß er ohne die Einwilligung der Kurfürsten keine Kriege führen, keine Verpfändungen vornehmen, keine Steuern auflegen dürfe. Er dürfe ferner kein fremdes Kriegsvolk ins Reich führen; diese Bestimmung war sehr wichtig, da man es mit dem König von Spanien und von Neapel zu tun hatte. Er solle dafür sorgen, daß der Papst die mit ihm geschlossenen Konkordate innehalte, er solle die großen Handelsgesellschaften abstellen, die mit ihrem Geld dem gemeinen Nutzen schadeten. Nur nach ordentlichem Verhör der Beschuldigten dürfe er Achtserklärungen erlassen. Auf diese Weise glaubten die Raben sich vor dem Geier gesichert zu haben.
Karl befand sich zur Zeit der Wahl in Spanien, Anfang November überbrachte ihm Pfalzgraf Friedrich die Nachricht, von der er aber schon vorher unterrichtet war. Eine furchtbare Revolution hinter sich lassend, schiffte er sich am 20. Mai 1520 ein und traf sechs Tage später in Dover mit Heinrich VIII. zusammen. Da vorauszusehen war, daß die Entrüstung über das Wahlergebnis bei Franz I. zu einer kriegerischen Entladung führen werde, war es wichtig, sich England zum Bundesgenossen zu machen. Von da an bis zur Krönung in Aachen, die Ende Oktober stattfand, reihte sich ein festlicher Empfang an den andern. Zu einem einzigen Triumphbogen gewölbt, schwimmend in Glockengeläut, öffnete sich das alte Reich dem jungen Herrscher. Der Kurfürst von Brandenburg allerdings erschien nicht, und Friedrich der Weise blieb in Köln, wie er vorgab durch Krankheit verhindert.
Wären unter den Fürsten solche gewesen, die auf Karls Kränklichkeit und allgemeine Untauglichkeit gerechnet hätten, so hätte der Anblick des jungen Herrn sie enttäuschen müssen. »Als Karl geboren wurde, wurde er als Soldat geboren«, hat Alba von ihm gesagt, und vom Kaiser selbst liegt aus späterer Zeit die Äußerung vor: »Ich bin zum Waffenhandwerk geboren und erzogen worden und muß notwendig den Harnisch anbehalten, bis ich ihn nicht mehr tragen kann.« In dem Wunsche, seinem Großvater Maximilian gleich zu werden, hatte er keine Anstrengung gescheut, um durch ritterliche Übungen seinen zarten Körper zu stählen. Allerdings, von einem Geier hatte er auch nichts an sich. Er war mittelgroß, blaß im Gesicht, das blonde Gelock konnte die deutsche Herkunft andeuten, mit der im Wahlkampf gearbeitet worden war. In silberne Rüstung gekleidet, mit silbernem Barett in guter Haltung zu Pferde machte er einen zarten, wenn auch keinen schwächlichen Eindruck. Wäre er dem Tode so nah gewesen, wie manche meinten, hätte er die Strapaze des festlichen Einzugs in Aachen nicht so gut überstanden. Nachdem die Verspätung des Pfalzgrafen schon eine Verzögerung verursacht hatte, mußte er noch zwei Stunden warten, bis der Streit um den Vorritt zwischen Jülich und Sachsen entschieden war. Am Tage darauf folgten im Dome die endlosen Formalitäten der Krönung; denn hier breitete die geheiligte Tradition Purpur und Hermelin über das Geld- und Interessengeschäft. Der kaiserliche Ornat allerdings, mit dem man den Kaiser zum Schluß bekleidete, war neu angefertigt worden; aber der Jüngling, der auf Karls des Großen Stuhle saß, war an Macht dem Reichsgründer eher zu vergleichen als irgendeiner seiner Vorgänger. Wenn er so viel Glück wie bisher und so viel geistige Kraft wie weltliche Macht hatte, war Aussicht, daß er dem Reich seinen alten Glanz und vielleicht sogar dem Kaisertum seine alte Kraft wiedergeben könne.
Hutten und Luther
Der merkwürdige Augenblick rückte heran, wo die beiden gegen Rom sich heranwälzenden Ströme, der humanistisch-nationale und der religiöse, zusammenflossen, um vereint die römische Weltherrschaft zu stürzen. Nach der Leipziger Disputation fing Hutten an, in Luthers Auftreten das zu erkennen, was mit seiner Gesinnung übereinstimmte. Der Mut des Mönchs zog ihn an, stellte den Kuttenträger dem Ritter gleich. Als er im Beginn des Jahres 1520 bei Sickingen auf dessen Burg Landstuhl war, erzählte er ihm von Luther und erreichte ohne Mühe, daß Franz dem Augustiner brieflich seinen Schutz versprach und ihn einlud, zu ihm auf eine seiner Burgen zu kommen, wenn er verfolgt würde.