Gesammelte Werke. Ricarda Huch
öffentliche Angriffe geradezu herausgefordert hatten; trotzdem wäre Hutten im Dienst des Kurfürsten von Mainz geblieben, wenn der Papst seine Entlassung nicht gefordert hätte, und Luther blieb hochgeschätzter Professor in Wittenberg, erhielt sogar freies Geleit, um sich auf dem Reichstage vor dem Kaiser zu verantworten. Auch das freie Geleit war eine Einrichtung, die den damit Begnadeten für eine jeweils bestimmte Zeitdauer aus allen Gefahren, Gesetzesfolgen, Angriffen heraushob, ihn gleichsam mit einem rettenden Gewölk umhüllte, wie die Götter es einst für ihre Lieblinge in der Schlacht bereit hatten. Allerdings war Huß das Geleit nicht gehalten worden; aber trotz der Begründungen, die den Ruf Kaiser Siegmunds sicherstellen sollten, war man allgemein der Ansicht, er habe großes Unrecht getan, indem er Hussens Verbrennung zuließ, und habe damit seinen söhnelosen Ausgang und den frühen Tod seines Enkels verschuldet. Manches ließ vermuten, daß dem Kaiser selbst nicht wohl bei seinem Wortbruch gewesen sei, und es war anzunehmen, daß sich ein solcher nicht wiederholen würde.
Am 28. Januar 1521 eröffnete Karl V. den Reichstag zu Worms, der eine Art Fortsetzung des berühmten von 1495 sein sollte. Die Reichsreform und die Kirchenreform, von denen damals die erste wenigstens in Angriff genommen war, sollten endlich durchgeführt werden. Das Fehdeverbot, dem dauernd zuwidergehandelt worden war, wurde von neuem verkündigt, das Reichskriegs- und Reichssteuerwesen wurde geordnet. Mit gänzlicher Beiseitesetzung des Gemeinen Pfennigs, der die Bevölkerung unmittelbar mit dem Reich verbunden hätte, wurde auf die alte sogenannte Matrikel zurückgegriffen, die auf die Stände je nach ihren Einkünften verteilt wurde. Auf Grund derselben wurde eine Einheit festgesetzt, die man Römermonat nannte, was eine bestimmte Anzahl Reiter- und Fußsoldaten bedeutete; entweder diese oder das zu ihrer Ausrüstung nötige Geld hatte der betreffende Stand zu liefern. Die Veranlagung nach Römermonaten hat bis zum Ende des Reiches gedauert.
Dorniger war die Frage des Reichsregiments, das, trotzdem zwei so charakterfeste Männer wie der Kurfürst Berthold von Mainz und der Kurfürst Friedrich von Sachsen sich dafür eingesetzt hatten, an Maximilians Widerstand gescheitert war. Der Wunsch der Fürsten, dem Reich eine ständische Spitze statt einer monarchischen zu geben, war inzwischen eher gewachsen, da sie einem Kaiser gegenüberstanden, der über eine ungeheure Macht verfügte; er konnte die deutschen Fürsten in unabsehbare Ziele verwickeln und ihnen große Opfer dafür auferlegen. Sie hofften, mit dem Jüngling, der ohnehin durch die Wahlkapitulation gebunden war, leichter fertig zu werden als seinerzeit mit dem unberechenbaren, aufbrausenden Maximilian. In den ersten Wochen, als noch nicht alle Teilnehmer des Reichstages eingetroffen waren, konnten sie bewundern, mit welch gewandter Kraft sich der junge Kaiser als Reiter und Fechter in den Ritterspielen hervortat. Als dann die Verhandlungen begannen und die Frage des Reichsregiments vorgenommen wurde, offenbarte er seinen Willen zu herrschen. Er hatte nichts gegen ein Reichsregiment; aber es sollte erstens nur in seiner Abwesenheit tagen, und es sollte eine von ihm abhängige Körperschaft werden. Das Reich, sagte er, könne nur einen Herrn haben, und das sei der Kaiser. Er hatte nichts von der reizbaren Heftigkeit seines Großvaters, nicht dessen leichte Laune und bald bezaubernde, bald verwirrende und erschreckende Beredsamkeit; aber er hatte Besonnenheit und Selbstbeherrschung und war in einem ganz habsburgisch, in dem maßlosen, wahnhaften und dabei natürlichen, selbstverständlichen Herrenbewußtsein.
Von allen Dynastien Europas ist die habsburgische die interessanteste, und keine hat wohl einen so sehr in allen ihren Gliedern ausgeprägten Charakter. Die Mischung von phantastischer Grandezza und künstlerischer Freiheit, ja Leichtigkeit vereinigt sich zu einem unaussprechlichen, musikalisch schwingenden Reiz. Das Kaisertum, bei ihnen eine erblich gewordene, angeborene Eigenschaft, gab ihnen Gelegenheit, das Leben großartig aufzufassen; daneben aber zeichnete sie eine Neigung zu häuslicher Zurückgezogenheit und zur Pflege warmer menschlicher Beziehungen aus. Das Übermaß an Erbe schien ihnen keine Last zu sein, sie trugen es mit elastischem Schritt; nur zuweilen verriet sich ein Element verführerischer Schwermut. Das Bewußtsein, sich in einem Raume außerhalb der Menschen zu befinden, war so fest in ihnen, daß sie sich in liebenswürdigem Sichgehenlassen zwischen den Menschen bewegen konnten, ohne daß sie Gefahr gelaufen wären, dadurch zu unerwünschter Vertraulichkeit zu ermutigen. Damals machte Karl wohl zuweilen den Eindruck, als sei er schlaff und gleichgültig, als lasse er seine Räte für sich regieren; aber sicherlich war sein Herrenbewußtsein vollkommen ausgebildet. Noch hatte das Ringen um das Reichsregiment zu keinem Ergebnis geführt, als die Ordnung der Lutherischen Häresie zur Sprache kam.
Der Kaiser hatte, um sich dem Kurfürsten von Sachsen liebenswürdig zu erweisen, versprochen, Luther auf dem Reichstage anzuhören; aber als der Reichstag eröffnet war, änderte sich die Lage. Von päpstlichen Abgesandten umringt, war er hier stets daran gemahnt, daß er geschworen hatte, die Kirche und den Papst zu schützen. Er war willens, das zu tun, soweit es mit seinen staatsmännischen Interessen vereinbar war. Nun hatte der Papst eben in einer Spanien angehenden Sache seinen Wünschen Rechnung getragen. In Spanien nämlich war die Inquisition ganz vom König abhängig: ihm fielen die eingezogenen Güter der Ketzer zu, sie diente dem königlichen Absolutismus. Auf Bitten der arragonesischen Stände hatte sich der Papst bereit finden lassen, die Inquisition dem gemeinen Recht Spaniens gemäß zu ändern, was eine Einschränkung des königlichen Einflusses bedeutete. Karl, dem das unerträglich war, drängte den Papst so sehr, diese Bewilligung zurückzunehmen, daß Leo X. sich endlich dazu bequemte. Um sich seinerseits erkenntlich zu zeigen, erklärte sich der Kaiser bereit, Luther nicht in Worms vernehmen, sondern ihn ohne Verhör verurteilen zu wollen. Das zu tun entsprach dem Recht, denn dem päpstlichen Bann hatte die kaiserliche Acht zu folgen, und auch des Kaisers Neigung, der nicht das allermindeste Interesse für theologische Untersuchungen hatte. Er konnte nicht recht begreifen, warum sich Leute damit abgaben. Wenn Maximilian, wie behauptet wird, gesagt hatte, man möge Luther gut verwahren, um ihn etwa einmal gegen den Papst auszuspielen, so lag dieser Gesichtspunkt seinem mächtigen Enkel fern. Zum Glück für Luther konnte der Kaiser nicht ohne die Kurfürsten entscheiden. Die drei geistlichen und Brandenburg stimmten ihm zu, Sachsen aber und Pfalz widersprachen. Nach erbittertem Streit im Kreise der Kurfürsten, bei dem es fast zu Tätlichkeiten gekommen wäre, siegte die Minderheit. Da die Frage des Reichsregiments noch nicht gelöst war, kam man überein, daß es besser sei, den Kaiser nicht durch Nachgiebigkeit zu stärken. Sie stellten ihm vor, daß das Volk nicht vom Aufruhr zurückzuhalten sein würde, wenn man Luther ohne Verhör verurteilte. Das einfachste sei, ihn nach Worms zu laden, nicht um mit ihm zu disputieren, sondern um ihn zu veranlassen, daß er seine ketzerischen Bücher widerrufe; dann könnten seine guten erhalten bleiben. So erließ denn Karl am 6. März die Ladung an den »ehrsamen, lieben, andächtigen Martin Luther« nach Worms, damit Kaiser und Reich über seine Bücher Auskunft erhalten könnten. Alle die Fürsten, deren Gebiet Luther auf seiner Reise berühren mußte, fügten besondere Geleitsbriefe bei. Es war eine empfindliche Niederlage des Papstes: nachdem er bereits das Urteil gesprochen hatte, maßten Kaiser und Stände sich an, die geistliche Sache von neuem zu untersuchen. Der päpstliche Legat Aleander, der schon gesiegt zu haben glaubte, war außer sich. Der kluge, scharfblickende Italiener fühlte, wie die Atmosphäre in Deutschland sich verändert hatte, aus unsichtbaren Hinterhalten zückte es, blitzte es, schlich es feindselig gegen ihn heran, es war ihm, als wage er sein Leben, wenn er sich öffentlich zeigte. Das Schlimmste war zu erwarten, wenn der Kaiser, dessen Rechtgläubigkeit bis jetzt außer Zweifel stand, der Ketzerei nachgäbe.
Aufgeregte, gereizte Spannung herrschte nicht nur unter den Vertretern des Papstes in Worms, sondern im ganzen Reiche. Handelte es sich erst um die Frage, ob Luther auf dem Reichstage erscheinen dürfe, so hernach um die angstvollere: Wird er widerrufen oder nicht? Wenn er widerruft, werden seine Anhänger ihn ermorden? Wenn er nicht widerruft, wird er ausgeliefert und verbrannt werden? Sofort oder nach Ablauf des Geleits? Wie wenn ein Feldherr nach gewonnener Schlacht zurückkehrt, solch ein Jubel und solch eine Neugierde bewegte die Gegenden, durch welche der Planwagen fuhr, in dem Luther und seine Gefährten, der Dompropst Nikolaus von Amsdorff und ein pommerscher Edelmann, der Student Peter Swaven, nach Worms fuhren. Die beiden hatten nicht wie Luther freies Geleit; sie setzten ihr Leben aufs Spiel, indem sie sich ihm anschlossen. Die Reise, die vielleicht am Scheiterhaufen endete, glich einem Triumphzug. In Erfurt, der Stadt reich an Erinnerungen, empfing ihn am Tore die Universität, an ihrer Spitze der Rektor Crotus Rubeanus, sein und Huttens alter Freund, der witzige Verfasser der Dunkelmännerbriefe. Alle wollten Luther sehen, ihn berühren,