Gesammelte Werke. Ricarda Huch
allein zu guten und löblichen Zwecken gebraucht und geübt werde.« Von Luther hieß es, daß er, mehr Teufel als Mensch, jegliche Ordnung zerstöre und alle längst verdammten Ketzereien in eine stinkende Pfütze versammelt habe, seine Lehre wurde als eine solche bezeichnet, die zu einem freien, gesetzlosen, viehischen Leben führe.
Die Kurfürsten hörten aufmerksam zu und der von Brandenburg sagte, für alle sprechend, daß sie das Edikt billigten. Am Tage darauf unterschrieb es der Kaiser und sagte dabei lächelnd in französischer Sprache zu Aleander: »Nun werdet Ihr doch mit mir zufrieden sein«. Die Martinische Ketzerei schien vernichtet.
Der Prophet
Seine Häresien, hatte der Offizial von Eck zu Luther gesagt, wären nicht neu, sondern längst von anderen Ketzern vorgebracht und von der Kirche verdammt. Er hatte recht; alles, was Luther lehrte, war vor ihm von anderen gelehrt: daß die Schrift die einzige Grundlage des christlichen Glaubens sei, das allgemeine Priestertum, daß der Ablaß eine schädliche Einrichtung sei, daß nur Gott Sünden vergeben könne, daß Gott die Werke der Nächstenliebe angenehmer seien als die sogenannten guten Werke, der Kampf gegen den Bilderdienst, Verehrung der Heiligen und der Reliquien, gegen den Primat des Papstes, gegen die Messe. Wenn es nun aus seinem Munde auf einmal wie ein Blitz einschlug und zündete, wie ein Feuer um sich griff und die Welt erleuchtete, als habe man sie noch niemals zuvor klar gesehen, so lag das zum Teil an dem Zustand herbstlicher Dürre und Durchsichtigkeit, in dem das Abendland sich befand, vor allem aber an Luthers Eigenart, an seiner Gläubigkeit. Man hatte seit einem Jahrhundert versucht, die Beziehungen zwischen Staat und Kirche zu ordnen, Übergriffen der Kirche, namentlich der finanziellen Ausbeutung zu wehren, Mißbräuche abzuschaffen, Sittenlosigkeit zu bessern – Luther erneuerte die Beziehung zu Gott. Der Strom, der das Irdische dem Göttlichen verbindet, der lange versiegt war, rauschte wieder, durch seinen Glauben magisch entbunden. Wie es Menschen gibt, für die eine bestimmte Reihe von Tönen nichts weiter ist als ein zufälliges Geräusch, während es für andere eine Melodie ist, die das Herz erschüttert, so unterscheiden viele das göttliche Wort nicht von dem dem Irrtum ausgesetzten menschlichen: Luther hörte die mit nichts Irdischem vergleichbare, unfehlbar verpflichtende Stimme des Herrn, und weil Gott für ihn Wirklichkeit war, wurde er es auch für andere.
Um die Propheten her, die im Quellgebiet des Übersinnlichen leben, ist ein leuchtenderes Licht und ein lebendigeres Leben als anderswo, darum drängen sich die Menschen an sie heran und hoffen von ihnen göttliche Botschaft zu erfahren. Mit der Musik aus dem Jenseits, die er mitteilte, hatte Luther das Herz seines Kurfürsten getroffen, traf er unzählige empfängliche Herzen, denen es nun schien, als hätten sie nur darauf gewartet.
Als Luther im Kloster sich in die Schrift versenkte, enthüllte das Wort der Propheten ihm sein eigenes Schicksal. Lange rang er damit, da es ihn erschreckte, nicht lockte. Wollte man den Augenblick bezeichnen, wo er sich entschloß, die Last des Herrn auf sich zu nehmen, so müßte es wohl der sein, als er die Bannbulle verbrannte und damit das Band zerriß, das ihn mit der Kirche verknüpfte. Wenn auch der Kampf in seinem Innern nicht aufhörte, auf dem Wege nach Worms noch ihn schüttelte und sich erst legte, wenn die tröstende Stimme seiner Laute ihn beschwichtigte, war doch seit jenem Zeitpunkt seine Haltung anders geworden. Er war nun der Diener seines Volkes ohne Unterschied der Stände, aber auch sein Herr. Wenn es das Wort Gottes betraf, trat er als Gebieter auf, leitete, drohte, strafte, rühmte, einzig durch seine Überzeugung gebunden. Und wie die Halme vor dem Winde beugten sich alle vor ihm, die Großen wie die Kleinen; sie erwarteten das richtende Wort von ihm und nahmen es an.
Die Verantwortung für das Schicksal eines Volkes zu tragen ist schwer und drückte so auf Luther, daß er zusammengebrochen wäre, wenn nicht seine Seele immer sich aus dem Paradiese hätte weiden können, zu dem er den Zugang hatte. Dort gab er sich Träumereien hin, wie sie Kinder träumen, spielte mit Sternen, Blumen und Tieren wunderliche Spiele, von denen zuweilen ein liebliches Wort in seine menschliche Sphäre glitt. Solcher erlösender Augenblicke mochte er manche haben, als er den Frühling auf der Wartburg erlebte. Es war auf einmal still um ihn; anstatt des scharfen Gezänks der großen Welt, hinter dem Habgier und Ehrgeiz und allerlei böse Lust steckte, umgab ihn das dämmernde Schweigen der Burg und die dienstfertige Freundlichkeit ihrer kleinen Besatzung. Wenn er aus dem Fenster blickte, sah er die gelblich grünen Schleier der eben entfalteten jungen Buchenblätter, und in der Frühe hörte er die erwachenden Vögel mit sanftem Jubelton das neugeschaffene Licht begrüßen. Wenn die Sonne untergegangen war, vernahm er das silberne Geriesel der Nacht an den alten Mauern und den alten Stämmen. Hier war das Ewige, das zugleich Unergründliche und Selbstverständliche. In glücklichen Stunden war er Träumer und Dichter: er vollendete das Magnifikat, den Lobgesang der heiligen Jungfrau, er legte Psalmen aus, er schrieb Predigten. Gegen den Winter begann er die Übersetzung des Neuen Testamentes aus dem Griechischen. Als Übersetzung aus dem Urtext ist seine Verdeutschung die erste, nicht die erste überhaupt. Bis zum Jahre 1518 waren 17 oberdeutsche und 3 niederdeutsche Drucke der ganzen Bibel erschienen, dazu eine Reihe von Ausgaben einzelner Evangelien und Episteln. Das Lesen der Bibel wurde von kirchlicher Seite empfohlen, zuweilen aber auch als gefährlich bezeichnet; das Bedürfnis war da und wurde befriedigt. Wie schon vor der Reformation bei etwaigem Neubau von Kirchen das Bedürfnis der Predigt besonders berücksichtigt wurde, so daß man sagen kann, die protestantische Predigtkirche sei dagewesen ehe es Protestanten gegeben habe, so zeigte sich auch hinsichtlich des Bibellesens, daß die Bewegung, die Luther zum Siege führte, da war, gleichsam nur auf einen wartete, der sie benannte. Luthers Neues Testament erschien im September 1522; obwohl die Auflage in vielen Exemplaren gedruckt und ziemlich teuer war, war sie bis zum Dezember vergriffen. Die ganze Heilige Schrift kam zwölf Jahre später heraus. Wenn trotz vorhandener Übersetzungen die neue so begierig gelesen wurde, zeugt das für den Ruhm von Luthers Namen, aber mehr noch für die Größe seines Werkes. Ein Meister der Sprache, ein Dichter hat seinem Volke für Jahrhunderte Nahrung gegeben. Generationen von Deutschen lasen fortan die Bibel, und viele nichts als die Bibel in seiner Sprache. Aus den orientalischen Büchern strömte in ihr Gemüt zugleich Luthers Herzlichkeit, Inbrunst, kriegerische Kraft und Leidenschaft, die Glut seines Glaubens. Wie der Geist der israelitischen Propheten und Apostel zu seinem gesprochen hatte, so überströmte nun seiner in den ihrigen, und es ging etwas daraus hervor, was die Deutschen als ihr eigenstes, tiefstes empfanden.
Aber die Stille und Einsamkeit der Burg war auch verzehrend. Jetzt wurde er seiner Vereinzelung inne. War es nicht Wahnsinn, wenn ein einzelner umstürzen wollte, was die Christenheit in Jahrhunderten gebaut und was sein Volk durch Jahrhunderte verehrt hatte? Ging nicht das Leben weiter ohne ihn? Was taten sie draußen ohne ihn? Er war nicht ohne Nachrichten, wechselte Briefe mit Freunden. Im Beginn des Herbstes erfuhr er, daß in Halle, der Residenz des Kurfürsten Albrecht von Mainz, ein Ablaß ausgeschrieben war. Zornig verfaßte er eine Schrift »Wider den Abgott zu Halle« und schickte sie an Spalatin, damit er sie drucken lasse; auf Befehl des Kurfürsten unterblieb es. Er gedenke nicht, sich zu fügen, schrieb da Luther an Spalatin, lieber wolle er ihn und den Fürsten und alle Welt ins Verderben reißen. »Denn wenn ich dem Papst, der den Mainzer gemacht hat, Widerstand geleistet habe, warum soll ich vor der päpstlichen Kreatur zurückweichen? Ich ersuche Euch also, das Buch weder Melanchthon vorzuenthalten, noch mir von der Veröffentlichung abzuraten. Es ist bei mir beschlossene Sache, ich will Euch nicht hören.« Dem Kurfürsten von Mainz drohte er, wenn er nicht binnen 14 Tagen den Ablaß zurückziehe, werde er eine Schrift gegen ihn veröffentlichen. Lange genug habe er ihn geschont; wenn Albrecht fortfahre, sich nicht wie ein Bischof, sondern wie ein Wolf zu betragen, werde er Ernst gebrauchen. Künftig solle Albrecht diejenigen Geistlichen gewähren lassen, die für gut fänden, sich zu verheiraten; die Bischöfe sollten ihre Huren vertreiben, anstatt fromme Ehefrauen von ihren Männern zu scheiden. Bevor er noch Antwort erhalten hatte, ritt Luther im ritterlichen Kleide mitten durch Leipzig nach Wittenberg, um sich selbst vom Stande der Dinge zu überzeugen. Da der Ablaß inzwischen abgestellt war, zog er selbst seine Schrift zurück. Er war als der Prophet aufgetreten, der das Recht hat, die Fürsten seinem Urteil zu unterwerfen, und die Fürsten beugten sich. Der Kurfürst von Mainz versprach zerknirscht, sich zu bessern. Indessen, kaum war dieser Widerstand