Gesammelte Werke. Ricarda Huch

Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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schreckhafter Augenblick war es für Luther, als ihm das kaiserliche Mandat vor Augen kam, das allen Behörden befahl, seine Bücher zu verbrennen. Also hatte der junge Kaiser bereits gegen ihn entschieden. Es wurde Luther wie vielen Deutschen schwer, den Glauben an einen Volkskaiser abzutun, der jedem das Seine geben würde. Aber was war das anders als ein Feind mehr? Er zählte sie nicht, ihm zählte nur sein Gott. Verlasset euch nicht auf Fürsten, sagte die Bibel, denn sie sind Menschensöhne, und es ist kein Heil bei ihnen. Und wenn so viele Teufel wie Ziegel auf den Dächern in Worms wären, er wollte doch hineinziehen, sagte er. Auch in Worms lief das Volk Luthers Wagen entgegen, dessen Nahen der Wächter vom Turme mit Hornstößen anzeigte: die einen wollten den Gesandten Gottes, die anderen den großen Häresiarchen sehen, der Papst und Kaiser herauszufordern wagte. Das Getümmel, das ohnehin des Reichstags wegen in Worms herrschte, verdichtete sich um ihn herum, drängte bis in die Herberge, wo er mit seinen Begleitern abstieg und bis in sein Zimmer. Selten war er allein; die ihm wohlvertrauten Räte des Kurfürsten besprachen sein Verhalten mit ihm. Schon auf den folgenden Nachmittag um 4 Uhr wurde das Verhör festgesetzt. Vielleicht war es Befangenheit, daß Luther auf die ihm vorgelegte Frage, ob er widerrufen wolle, nicht antwortete, sondern Bedenkzeit erbat; wahrscheinlicher ist, daß er gehofft hatte, sich über seine Bücher äußern zu können und nun, da ihm das verwehrt wurde, Zeit gewinnen wollte, um seine Antwort danach einzurichten. Trotz des Unwillens der päpstlichen Partei wurde die Bitte gewährt; so kam es, daß Luther am folgenden Tage, es war der 19. März, zum zweiten Male vor dem Reichstage erschien. Hatte er das erstemal enttäuscht, so befriedigte er jetzt alle die, welche ihn bewunderten und auf ihn bauten. Er war fest und ruhig, im Kreise der Mächtigen der Überlegene. In der Zwischenzeit hatte er sich vorbereitet und antwortete mit straffer Zusammenfassung der Gedanken sachlich und voll persönlicher Glut. Er teilte seine Schriften nach ihrer verschiedenen Bestimmung ein, gab zu, daß er in seinen Streitschriften zu heftig gewesen sei, widerrief aber nichts. Indessen da er Mensch sei und nicht Gott, also irren könne, wolle er der erste sein, seine Bücher ins Feuer zu werfen, wenn er aus prophetischen und evangelischen Schriften eines Irrtums überführt werde. Den Aufruhr betreffend, den seine Schriften hervorrufen könnten, führte er das Wort des Herrn an: »Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.« Man solle sich hüten, fuhr er fort, daß man nicht durch Verdrängung des göttlichen Wortes dem jungen edlen Kaiser Karl eine unglückliche Regierung bereite. »Solches sage ich nicht, als ob so hohe Häupter meiner Lehre und Meinung bedürften, sondern weil ich mich dem Dienst nicht entziehen darf, den ich meinem Deutschland schuldig bin.« Als es gewünscht wurde, wiederholte er seine Rede in deutscher Sprache. Begreiflicherweise wollte sich die Versammlung auf eine Disputation nicht einlassen; deshalb wurde ihr Beauftragter, der Triersche Beamte Johann von Eck, angewiesen, Luther noch einmal zu ermahnen, und er tat das auf sehr eindrucksvolle Weise. Wenn Luther, sagte er zu ihm, neue, von ihm erfundene Häresien lehrte, würde der Papst gelehrte Männer schicken, um sie zu untersuchen und zu widerlegen. Seine Irrtümer aber wären die der alten Häretiker, der Waldenser, Pikarden, Wiclefiten, Hussiten und anderer, sie wären längst vom Papst und von den Konzilien verdammt. Man solle nicht in Zweifel ziehen, was die katholische Kirche rechtlich festgelegt habe, was in Brauch, Sitte, Herkommen übergegangen sei, was unsere Väter im Glauben festgehalten und wofür sie willig hundertmal den Tod erlitten hätten. Luther solle sich doch nicht anmaßen, allein derjenige zu sein, der die Schrift richtig auslegen könne.

      Es war in den Worten Ecks etwas von dem Cusanischen Geiste, der, nachdem er alles durchdacht hat, was dem Verstande zugänglich ist, vor der abgründigen Leere schaudert, in der der Mensch nicht atmen kann und sich dankbar an den Felsen klammert, auf dem die Kirche als auf einem aus den Tiefen der Erde gewachsenen Fundament ihre Lehre aufgemauert hat. Ihre dichtgeschlossenen Fugen gewähren Schutz gegen den Zweifel; hier ist in Jahrhunderten die Weisheit der Erlesensten mit den Bedürfnissen und Fähigkeiten des Volkes in Einklang gebracht. Am Schlusse seiner Rede forderte der Offizial Luther zu einer ehrlichen, nicht zweideutigen noch gehörnten Antwort auf, ob er die in seinen Büchern enthaltenen Irrtümer widerrufen wolle oder nicht.

      Die eindringliche Wärme, mit der von Eck auf das historische Recht der Kirche hinwies, war geeignet, einen ernsten und einsichtsvollen Menschen zu erschüttern. Aber Luther hatte sich für diesen Augenblick gewappnet, er wehrte alles ab, was ihn nachdenklich machen, ihn rühren, seinen Kinderglauben hätte erwecken können. Mit der Unbeirrbarkeit des Berufenen, der auf eine Aufgabe verpflichtet ist, antwortete er: »Weil denn die geheiligte Kaiserliche Majestät und Eure Herrschaften eine schlichte Antwort von mir verlangen, so will ich eine Antwort geben ohne Hörner und Zähne, auf diese Weise: Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift oder einleuchtende Gründe überführt werde – denn dem Papst und den Konzilien allein glaube ich nicht, da es feststeht, daß sie oft geirrt und sich selbst oft widersprochen haben –, so bin ich gebunden durch die von mir angeführten Schriftstellen, und mein Gewissen ist gefangen in Gottes Wort; widerrufen kann ich und will ich nichts, da wider das Gewissen zu handeln weder sicher noch ehrenhaft ist. Gott helfe mir, Amen.«

      Auf den jungen Kaiser hatte Luther keinen anderen Eindruck gemacht als den, daß er sich nunmehr als hartnäckiger Ketzer erwiesen und die Folgen davon zu tragen habe. Am folgenden Tage ließ er dem päpstlichen Gesandten, den Kurfürsten und Fürsten eine von seiner eigenen Hand geschriebene Erklärung vorlesen, daß er seinen Vorgängern, den Kaisern, sich anschließen wolle. Alle seine Königreiche und Provinzen, seine Freunde, Leib und Leben, ja seine Seele wolle er für diese Sache einsetzen und fordere alle Fürsten auf, Luther auszuliefern, sowie das freie Geleit abgelaufen sei. Wer Luther ferner noch anhänge oder ihm Hilfe gewähre, den werde er für einen Ketzer ansehen. Den Fürsten dagegen hatte der mutige Mönch gefallen, seine Überzeugungstreue hatte manchen nachdenklich gestimmt. Selbst ein so gut katholischer und kaisertreuer Herr wie Erich von Braunschweig-Calenberg fühlte sich zu dem tapferen Manne hingezogen, der junge Landgraf Philipp von Hessen besuchte ihn, um ihm Sympathie zu zeigen. Friedrich der Weise fand seinen Professor reichlich kühn, war aber im ganzen doch mit ihm zufrieden. Allen leuchtete ein, daß sie sich die Gelegenheit, einen Druck auf den Papst auszuüben, nicht sollten entgehen lassen. Dieser Luther hatte das Volk und die Ritterschaft auf seiner Seite, die Unruhe in der Stadt, drohende Anschläge an der Kathedrale, bewiesen das. Wie wenn dieser gewaltige Mann die Beschwerden der deutschen Nation vor dem Papst verträte, die man seit 100 Jahren vergeblich wälzte? Gelang es, den ketzerischen Fleck aus seinem Programm auszumerzen, konnte der Mann ein Zauberwort sprechen, das die zerrissenen Glieder des Reiches zu einem verjüngten Körper zusammenschmolz, unüberwindlich gegen Kaiser und Papst. Trotz der Erklärung, die er soeben gegeben hatte, willigte der Kaiser ein, daß noch ein Versuch der Verständigung mit Luther gemacht werde. Ein Ausschuß wurde gebildet, an dessen Spitze der Erzbischof von Trier, Richard von Greifenklau, stand, der in Glaubensangelegenheiten keine Vorurteile hatte. Als ein hochgeborener Herr, dem die Formen der großen Welt geläufig waren, verkehrte er in liebenswürdiger Weise mit Luther, zog ihn zur Tafel und suchte ihm die Pläne der Fürsten ins beste Licht zu setzen. Bei den Verhandlungen kam man wieder auf das Konzil zurück, dem als höchste Instanz die verworrenen kirchlichen Dinge zur Ordnung sollten unterworfen werden. Luther sah voraus, daß ein Konzil die hussitischen Sätze, die zu Konstanz verworfen worden waren, wieder verwerfen würde, und der Erzbischof selbst gab das zu; das war für Luther Grund genug, unbedingte Unterwerfung unter ein Konzil abzulehnen. Verständigung war unmöglich; aber Luthers Abschied von den Herren, die mit ihm verhandelt hatten, war freundlich. Bevor er Worms verließ, wurde ihm von Seiten des kursächsischen Hofes mitgeteilt, daß er unterwegs zu seiner Sicherheit von Reitern würde überfallen und auf eine Burg geführt werden, wo er eine Zeitlang verborgen bleiben solle. Wenn auch ungern, fügte er sich doch dem Wunsche seines Landesherrn und reiste am 26. April mit seinen Gefährten ab.

      Die Reichsversammlung tagte weiter. Am 25. Mai, zwei Tage, nachdem die Kurfürsten von Sachsen und Pfalz Worms verlassen hatten, lud der Kaiser die noch anwesenden Fürsten zu einer Sitzung auf das Rathaus ein. Als der Reichstag förmlich geschlossen war, geleiteten ihn alle zu seiner Herberge, wo er mit den Kurfürsten allein blieb. Hier ließ er ihnen ein Edikt vorlesen, durch welches Luther als offenbarer Ketzer von Kaiser und Reich geächtet wurde. Nicht nur sollten alle seine Schriften verbrannt werden, es wurde auch durch eine strenge Zensur dafür gesorgt, daß keine gegen den katholischen Glauben gerichtete Schrift künftig gedruckt werden könne. Alle Dichter,


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