Gesammelte Werke. Ricarda Huch

Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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er darauf hingewiesen, Gegensätzliches zu vereinen, was auf einfachen Wegen nicht möglich war. Er hatte zu viel persönliches Selbstbewußtsein und zu viel Gefühl für die Ehre seines Standes und seines Hauses, um schlechtweg ein Rebell sein zu können: er wollte dem König von Spanien als der rechtmäßige Vertreter der in ihren Freiheiten gekränkten Niederländer gegenüberstehen. Als er ihn bekriegte, tat er es als deutscher Fürst und Stand des Reiches, der den auf Deutschland übergreifenden Alba abwehrte. Sogar in dem berühmten Wilhelmusliede wird betont, daß er den König von Spanien allezeit geehrt habe. Daß er daneben den üblichen diplomatischen Trug weitgehend ausübte, konnte ihm niemand vorwerfen. In der Religion ist er vom Luthertum zum Katholizismus und von diesem zum Luthertum, schließlich zum Calvinismus übergetreten, und zwar immer aus äußeren Gründen. Er hat sicherlich das Bekenntnis mehrmals als Mittel zum Zweck benutzt. Dennoch darf man ihn nicht unfromm nennen. Als man ihn in einer Zeit schwerer Niederlagen mahnte, daß es ohne den Beistand einer ausländischen Macht nicht weitergehe, gab er die berühmt gewordene Antwort: »Ihr fragt, ob ich mit dem einen oder anderen mächtigen König oder Potentaten ein Bündnis geschlossen habe! Darauf antworte ich, daß ich, ehe ich die Sache der unterdrückten Christen in diesen Provinzen auf mich genommen habe, mit dem König der Könige einen engen Bund geschlossen habe, und ich bin fest überzeugt, daß alle, die ihr Vertrauen auf ihn stellen, durch seine allmächtige Hand erlöst werden sollen. Der Herr der Heerscharen wird Heere für uns auf die Beine bringen.« Das war im Munde eines so unrhetorischen Mannes keine schönklingende Phrase, kein berechnetes Pathos, sondern der Ausdruck des Bewußtseins, zu einer Aufgabe berufen zu sein. Seine Frömmigkeit war anders als die seiner Zeitgenossen, frei von konfessioneller Bestimmung, hervorgegangen aus dem Gefühl des göttlichen Willens in der eigenen Brust. Daß er zu einer Aufgabe auserwählt war, empfanden wohl auch die unterdrückten Christen in diesen Provinzen, von denen er spricht; sie waren, wie der unglückliche Don Juan d'Austria, der doch auch Anziehungskraft hatte, klagt, wie behext von ihm, liebten und fürchteten ihn und wollten ihn zum Herrn. Auf den Bildern von ihm aus seinen letzten Lebensjahren entdeckt man nichts von dem, was eine Volksmenge bezaubern könnte, es sei denn unbedingte Zuverlässigkeit und Uneigennützigkeit. In diesen Zügen liegt ein tragischer Ernst und ein bitteres Entsagen. Er ist alt, nicht an Jahren, denn er war erst 51 Jahre alt, als er ermordet wurde, aber am Übermaß der Kämpfe und Opfer und der Verantwortung. Er hatte Genossen, Freunde und Brüder hingegeben, und vielleicht hatte er eine angeborene Lust zu herrschen und Macht auszuüben geopfert. Nachdem er in den Unabhängigkeitskampf eingetreten war, vermied er es, die souveräne Stellung an der Spitze der befreiten Staaten einzunehmen, die ihm mehrfach angeboten wurde. Vielleicht, wenn er persönlichen Machtwillen hätte spielen lassen, daß es ihm gelungen wäre, die sämtlichen Provinzen zusammenzufassen. Wollte er nicht, daß man ihm vorwerfen könne, er sei aus persönlichem Machttrieb in den Kampf eingetreten, oder fehlte ihm dieser Trieb? Auf seinem Bilde sieht er aus, als habe er das ursprüngliche Feuer seiner Seele in grausamer Askese gedämpft und mehr noch als über andere über sich selbst zu herrschen gelernt. Daneben glaubt man einen leisen Zug von Zweifel und Enttäuschung zu lesen. Er hatte erfahren, aus welchem Schlamm von Schwäche, Selbstsucht und Gemeinheit das Gute und Lebenskräftige herausgerungen werden muß. Nessuno pensa qunto sangue costa – keiner denkt daran, wieviel Blut es kostet, hatte sein älterer Zeitgenosse Michelangelo auf ein Kruzifix geschrieben.

       Inhaltsverzeichnis

      Es gibt wenig Ereignisse in der Geschichte, die den Kampf um Freiheit so elektrisch zusammengeballt, so dramatisch verteilt, mit so rückhaltlosem Einsatz persönlicher Kraft darstellen wie der Abfall der Niederlande, und dennoch ist auch mit diesem Kampfe der Kampf um Geld verbunden. Waren doch die Niederlande als Geldquelle in dieser geldarmen und geldbedürftigen Zeit so hoch geschätzt, daß Karl V. sie gerade als Geldquelle mit dem finanziell zerrütteten Spanien verbinden wollte. Karl V., von dem man annahm, daß ihm aus der neuen Welt märchenhafte Schätze zuströmten, bezog beinah die Hälfte seiner jährlichen Einkünfte aus den Niederlanden. Die Niederlande hatten mit drei Millionen ebenso viele Einwohner wie Spanien, eine Million mehr als England. Es gab in den Niederlanden 208 Städte, von denen Gent und Antwerpen 200 000 und 150 000 Einwohner zählten; auch die Städte zweiter Größe waren mit 75 000 Einwohnern immer noch viel volkreicher als die meisten bedeutenden Städte im Reich. In Gent, Antwerpen, Brügge, Brüssel, Amsterdam war ein Reichtum aufgehäuft und eine Kultur erblüht, die das Abendland bewunderte. Auch die Bauern konnten lesen und schreiben; die aufgeklärte Denkart des Erasmus war sehr verbreitet. Handel und Gewerbe waren in Flor, sie hingen mit Schiffahrt und Fischfang, mit dem Ertrag der Bergwerke, mit der Viehzucht zusammen, besonders mit der Weberei. Kaufleute aus aller Welt hielten sich vorübergehend oder dauernd hier auf, tausende hatten in Antwerpen Niederlassungen. In Antwerpen wurde im Jahre 1460 die erste Börse der Welt gebaut. Die zweite, prächtige, die 1531 eröffnet wurde, trug die Inschrift: in usum negotiatorum cujuscumque nationis ac linguae. Hier machten die Fürsten Anleihen und zahlten ungeheure Zinsen; die Technik des Geldhandels und des Kreditwesens verfeinerte sich mehr und mehr. Um den Besitz dieser ergiebigen Provinzen stritten sich Österreich und Frankreich; Karl V. überwies sie an Spanien.

      Schon zu Karls V. Zeit war Spanien so verschuldet, daß es im Jahre 1557, als Philipp eben die Regierung angetreten hatte, zum Staatsbankerott kam. Den Gläubigern, die auf Einkünfte der Krone angewiesen waren, wurden ihre fast wertlosen Staatsrenten angeboten. Neue Staatsbankerotte folgten in den Jahren 1575 und 1596; der Krieg um die Geldquelle, die Niederlande, den Spanien 80 Jahre hindurch führte, verschlang das spanische Vermögen. Die Kriege waren die hauptsächliche Ursache, daß die Fürsten immer Geld brauchten, nie genug Geld hatten. England, das wenig Krieg führte, hatte einen geordneten Haushalt. Die Besoldung der Truppen, die zur Kriegführung gebraucht wurden, kostete unermeßliche Summen, die nie ganz aufgebracht wurden; deshalb kam es so oft zu Meutereien oder zu gänzlicher Auflösung des mit Mühe geworbenen Heeres. Mit welchen Opfern errichtete Oranien die Heere, die er gegen Alba führte. Aber auch Alba konnte die seinigen nicht bezahlen. In ihrer Wut und Verzweiflung plünderten die spanischen Söldner das reiche Antwerpen, die vielgepriesene Stadt, die sich nie von dieser Zerstörung erholte. Amsterdam und Hamburg wurden ihre Erben, nur vorübergehend Emden und Wesel.

      In volkswirtschaftlichen Dingen nicht so erfahren wie im Kriege hatte Alba seinem Könige weitgehende Hoffnungen auf die Einkünfte gemacht, die seine Wirksamkeit in den Niederlanden ihm durch Konfiskationen und Steuern verschaffen würde. Indessen die Konfiskationen bedeuteten, als eine einmalige Einnahme, keinen dauernden Gewinn, und der zehnte Pfennig, der bei jedem Verkauf beweglicher Güter zu zahlen war, dessen Ergebnis wirklich bedeutend gewesen wäre, erwies sich als unhaltbar in einem Lande, dessen Wohlstand durchaus auf Handel und Industrie beruhte. Alba wunderte sich, daß Menschen, die das Blut der Ihrigen in Strömen hatten fließen sehen, ihr Geld nicht davonfließen sehen konnten, ohne sich zu empören. Schon das wirkte zerstörend auf den Verkehr, daß auf die Kunde von Albas Kommen viele Tausende von Protestanten, und zwar gerade die vermögenden, entflohen, daß die fremden Kaufleute zum Teil ihre Besuche einstellten. Die hochentwickelte Wirtschaft eines reichen und tätigen Volkes verträgt ungeschickte Eingriffe nicht. Weil es in Spanien wenig Industrie und Handel gab, bedurfte die Regierung der Niederlande, verstand aber nicht, sie zu behandeln. Gerade die Freiheit, auch die Freiheit der Wirtschaft, war die Grundlage der erstaunlichen Blüte dieses Landes. Wo lebhafter Handel herrschte, entzogen sich die Menschen allmählich den Bindungen, mit denen die Kirche und die mittelalterliche Weltanschauung überhaupt die Wirtschaft einengte. Das geschah namentlich durch das Zinsverbot, dessen Strenge zwar längst durch allerlei künstliche Auslegungen gebrochen war, das aber doch im allgemeinen noch aufrechterhalten wurde. Zwischen der idealen Forderung, die die Kirche erhob, und den tatsächlichen Verhältnissen war ein offenkundiger Abstand, am meisten in Italien selbst, dem Lande, wo Handel und Geldgeschäfte am frühesten in Blüte standen, seit dem 16. Jahrhundert auch in Deutschland. Stammte doch aus Augsburg diejenige Familie, deren Name, Fugger, zur Bezeichnung des Finanzierens überhaupt diente, mit Einschluß aller Gefährlichkeit und Zweideutigkeit, die das Geldgeschäft mit sich bringt.

      Hans Fugger, der 1376 in Augsburg einwanderte, war Weber und bereicherte sich nach alter Art durch Warenhandel.


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