Gesammelte Werke. Ricarda Huch
die übliche Praxis gegen die Bestimmungen der Carolina verstoße, die Vorsicht bei derartigen Prozessen verlange, den falschen Ankläger bestrafe und fälschlich Angeklagten sogar Schadenersatz zusichere, während jetzt auf ganz ungegründete Anklagen dummer und roher Leute Frauen in scheußliche Kerker geworfen und solchen Folterqualen unterworfen werden, daß sie den Tod auf dem Scheiterhaufen als Erlösung betrachten, ruft er aus: »Aber wenn einmal Der erscheinen wird, dem nichts verborgen bleibt, der Herz und Nieren erforscht, der rechte Richter aller Dinge, dann sollen eure Werke offenbar werden, o ihr harten Tyrannen, ihr blutdürstigen, entmenschten und erbarmungslosen Richter! Ich rufe euch hiermit vor das Jüngste Gericht! Gott wird urteilen zwischen mir und euch! Die zertretene und begrabene Wahrheit wird auferstehen, euch ins Antlitz springen und um Rache schreien für eure Mordtaten.« Wie gefährlich es war, diese Bluthunde anzugreifen, wußte er aus seinen Beziehungen zu Agrippa, den der wütende Dominikaner über das Grab hinaus verfolgte, indem er seinen Tod als Höllenfahrt ausmalte.
Den fanatisch verbohrten Geistlichen und Juristen, die über Weyers Buch Zeter schrien, standen Männer gegenüber, die es dankbar und begeistert begrüßten. Bischof Simon Sultzer von Basel veranlaßte 1566 eine deutsche Übersetzung, der bald eine französische folgte. Der Abt des Benediktinerklosters Echternach, die Ärzte Zwinger von Basel, Roussel in Gouda und Ewich in Duisburg, der Jurist Borcholt versicherten ihn ihrer Zustimmung. Borcholt nannte in einem Brief an einen herzoglich braunschweigischen Rat das Buch Weyers geistreich, scharf und gelehrt, so daß alle gelehrten Männer in Burgund und Belgien es wie ein Heiligtum hochhielten. »Sooft ich des vorzüglichsten Rechtsgelehrten dieses Jahrhunderts, meines Lehrers Jakob Cujacius gedenke, und ich denke oft an ihn, dann muß ich mit ihm bekennen, daß ich noch kein Buch mit größerem Vergnügen durchgelesen habe.« Er bittet den Empfänger des Briefes, den Inhalt des Buches sich anzueignen und soviel als möglich das unschuldige Blut zu schützen; vermutlich hoffte er durch den Rat den Herzog von Braunschweig zu beeinflussen. Als vernünftig denkende Fürsten nennt Weyer außer seinem Herzog den Kurfürsten Friedrich von der Pfalz, den Grafen Herrmann von Neuenahr, die Grafen Wilhelm von Berg und Adolf von Nassau. Wahrscheinlich ist es auf Weyers Einfluß zurückzuführen, daß Ferdinand I. und sein Sohn Maximilian II. in ihren Erblanden keine Hexen haben verbrennen lassen. Die hauptsächlichen Gegner Weyers waren der Trierer Weihbischof Peter Binsfeld, der französische Gelehrte Jean Bodin, der spanische Jesuit Delrio und der sächsische Professor Benedikt Carpzov; die haben durch ihre Bücher, erweiterte Hexenhammer, mehr Schaden gewirkt als Weyer Nutzen durch das seine. In ihren Augen war Weyer ein Patron der Hexen, selbst Zauberer oder Ketzer und Atheist. Die katholische Kirche setzte sein Buch auf den Index.
Einmal ausgebrochene Bewegungen werden auch durch die vernünftigsten Gegenwirkungen nicht aufgehalten; dafür ist ein Beweis die Tatsache, daß die Hexenverfolgung nach dem Erscheinen von Weyers Buch nicht nachließ, sondern erst recht um sich griff. In den Jahren 1580-1620 war ihr Höhepunkt. Die Stimmen seiner Nachfolger wurden kaum beachtet. Ganz von Weyer abhängig sind Johann Ewich, Arzt in Duisburg, dann Professor in Bremen, der eine kleine Schrift gegen den Hexenwahn schrieb, und der Jurist Gödelmann, Professor in Rostock, der Vorlesungen darüber hielt.
Nur etwas bleibt einem so leuchtenden Verdienst gegenüber zu wünschen, nämlich es möchte Weyer, der ganz in seine ärztliche und religiös-humanistische Anschauungsweise vertieft war, mehr hervorgehoben haben, daß außer dem Aberglauben der Menge und dem Aberglauben und der krankhaften Veranlagung der angeklagten Frauen auch die Gewinnsucht der Richter und Henker und die Anwendung der Folter Ursache der Hexenprozesse war. Zwar hat er davon gesprochen, aber doch nur gelegentlich. Von einigen Nachfolgern wurde das, was er vernachlässigt hatte, eingehend behandelt, so von Wilhelm Fabricius aus Hilda bei Düsseldorf, nach der damals üblichen Weise Hildanus genannt, der als Stadtarzt in Bern 1634 starb und europäischen Ruf genoß, und von dem ausgezeichneten Westfalen Hermann Wilcken oder Witekind, einem Schüler Melanchthons, der 1603 als Professor der griechischen Sprache in Heidelberg starb. Seine Schrift wider den Hexenwahn »Christlich Bedenken und Erinnerung von Zauberei« ist nicht wie die Weyers lateinisch, sondern deutsch geschrieben und wendete sich also von vornherein an ein größeres Publikum. Allerdings gab er es nicht unter seinem eigenen, sondern unter dem Namen Augustin Lercheimer heraus. Er geht davon aus, daß der Teufel nur das vermag, was Gott zuläßt, und daß die armen, der Hexerei angeklagten Frauen gar nichts Überirdisches vermögen, weshalb sie, da sie höchstens die Absicht, aber nicht das Vermögen haben zu schaden, nicht verbrannt werden dürfen. Die Aussagen verschiedener Frauen, die verbrannt wurden, prüfend, stellt er fest, daß oft die Armut sie auf Irrwege treibt, und ermahnt die Obrigkeiten, dem Übel, das sie grausam bestrafen, zuvorzukommen, indem sie für eine bessere Armenpflege sorgen. Von der Folter sagt er, sie komme aus dem Heidentum und sei gegen Sklaven angewendet worden, für Christen sei sie ganz unzulässig, ihr Gebrauch werde auch von allen verständigen und gutherzigen Männern getadelt. Am grundsätzlichsten ist wohl das Buch des Pfarrers Joh. Greve aus Büderich in Cleve »Reformiertes Tribunal«, der die Abschaffung der Folter fordert. Es erschien 1622, wurde damals nicht beachtet und später vergessen.
Von den katholischen Bekämpfern des Hexenwahns wurde der Holländer Cornelius Loos zum Widerruf gezwungen und der Trierer Jurist Dietrich Flade, kurfürstlicher Rat, ein sehr angesehener und reicher Mann, 1589 stranguliert und dann verbrannt. Er sollte auf der Hetzerather Heide bei Trier mit den Hexen getanzt und das Land mit Schnecken überschwemmt haben.
Unter all den bewundernswerten Männern, die für das geschändete Recht eintraten, erweckt keiner solche Sympathie wie Friedrich Spee oder von Spee, geboren im Jahre 1591 in Kaiserswerth. Keiner schrieb so wie er aus persönlichem Erleben heraus, weil er als Beichtvater der zum Tode verurteilten Hexen die Tätigkeit der Richter und die Leiden der Hexen gründlich kennenlernte. Spee war als Jüngling Jesuit geworden. Leidenschaftlich bestürmte er den General, ihn als Missionar nach Indien zu schicken; es mag ihn beides gelockt haben, die wunderbare Ferne und das Märtyrertum. Blättert man in Spees Gedichten, so ist man überrascht von der Zartheit seines Empfindens und würde vielleicht an der Weichlichkeit seiner Naturbilder und seiner Frömmigkeit Anstoß nehmen, wenn nicht die Wahrhaftigkeit seines Gefühls versöhnte; versetzt man sich aber in die Zeit, wo er lebte, möchte man die in einer so wilden und rohen Epoche aufgrünende Empfindsamkeit fast genial nennen. Ob die Sehnsucht nach Indien die ahnungsvolle Angst vor dem Martyrium war, das ihm in der Heimat bestimmt war? Der General wies ihn wie die vielen anderen, die gern ins Ausland gegangen wären, auf das Indien in Deutschland, die Bekehrung der Ketzer. Zu einer Zeit, als in Würzburg und Bamberg Hexen zu Hunderten verbrannt wurden, übertrugen ihm seine Vorgesetzten die Pflicht, die Verurteilten zum Tode vorzubereiten und zum Scheiterhaufen zu begleiten. Später hat er gesagt, nicht eine von den zahllosen, die er begleitet habe, sei schuldig gewesen. Kaum wagt man nachzufühlen, was für ein entsetzlicher Zusammenbruch für seine empfindliche Seele mit dieser Einsicht verbunden gewesen sein muß. Täglich mit ansehen zu müssen, daß im Namen der Religion und des Rechtes furchtbare Verbrechen begangen wurden, daß die Opfer derselben schuldlose und wehrlose Frauen waren, selbst ein Werkzeug innerhalb eines schändlichen Systems zu sein! Es versteht sich, daß die Erkenntnis nicht mit einem Male kam: sie bildete sich allmählich durch herzzerreißende Erfahrungen. Ohnmächtig gegenüber der Mauer von Dummheit, Grausamkeit und Habsucht, blieb ihm nichts, als die von der Folter zermarterten Frauen, die er einem qualvollen Tode entgegenführte, mit dem Hinweis auf das Märtyrertum der ersten Christen zu trösten. Dann schrieb er sein berühmtes Buch Cautio criminalis; es ist ein verzweifelter Versuch, Wahn und Verbrechen durch Vernunft und Entrüstung zu überwinden. Wenn Spee nicht wie Weyer mit seinem Namen für seine gute Sache eintrat, muß man seine Abhängigkeit als Jesuit bedenken. Zwar haben sich die Jesuiten im allgemeinen nicht an der Hexenverfolgung beteiligt, aber eine öffentliche Herausforderung wie die Spees wagten sie doch nicht zu unterstützen; er würde ohnehin aus dem Orden entlassen oder gezwungen worden sein, freiwillig auszutreten, wenn nicht Ereignisse des Krieges dazwischengekommen wären.
Spees Buch ist durchglüht und durchzittert von leidenschaftlicher Entrüstung und untröstlichem Schmerz, Schmerz auch darüber, daß Deutschland, sein Vaterland, der Schauplatz so ungeheurer Verbrechen sein mußte. »Die Italiener und Spanier«, sagt er, »von Natur nachdenklicher und scharfsinniger, scheint es, überlassen uns dieses Amt des Brennens ganz allein. – Überall in Deutschland lodern die Hexenbrände, eine Schande für