Gesammelte Werke. Ricarda Huch
dies nicht vermögen, ja nicht einmal begreifen, daß andere es können. In dem Buche, das Luther liebte und neu herausgab, der Theologia teutsch, ist mit klaren Worten ausgesprochen, daß der Teufel die Selbstsucht ist. »Ichheit und Eigenwille, Eigenwilligkeit, Selbstheit, Ich, Mein, Mir, Sich, Natur, Falschheit, Teufel, Sünde: das ist alles ein- und dasselbe.« An anderer Stelle heißt es, die Hölle sei nichts anderes als der Eigenwille. Man ist durchaus berechtigt anzunehmen, daß Luther diese Ansicht teilte, und man erkennt es auch da, wo er den Teufel ins Feld führt. Das Selbst schiebt sich zwischen den guten Willen oder die klare Erkenntnis. Es versteht sich, daß das Ich nicht selbst der Teufel oder das Böse ist, sowenig wie es Gott sein kann. Luther sah das Leben als ein grandioses Drama: das Ringen Gottes und des Satans um die menschliche Seele, bei dem der Tau der Gnade das Höllenfeuer löscht und die lechzenden Zungen sich immer wieder aufbäumen und Nahrung suchen. Glaubte er an Gott und den Teufel und ihr Wirken auf den Menschen, so mußte er auch glauben, daß sich einige Menschen dem Bösen ergeben, wie sich andere Gott weihen. Daß die dem Teufel Verbundenen sich höchst strafbar machten, ist selbstverständlich; waren sie doch ärger als Atheisten, denn sie glaubten an Gott und widersetzten sich ihm, gelobten mit den ihnen von ihrem Gebieter verliehenen Kräften Schaden zu stiften.
Ob und wieviel Macht über die Natur und die Menschen der Teufel seinen Anhängern geben könne, das war eine Frage, die verschieden beantwortet wurde; Luther glaubte an die Zauberkraft des Bösen, worauf ihn auch die Bibel hinwies.
Zur Erklärung der Hexenverfolgungen kann man Luthers Stellung zum Teufel schon deshalb nicht anführen, weil sie in den katholischen Ländern ebenso, ja fast noch mehr wüteten; andere Erklärungen, die von katholischen Verhältnissen ausgehen, stimmen nicht für die protestantischen Länder. Diese furchtbarste Verirrung, die das Abendland gesehen hat, ist nur zu erklären durch die Verwilderung, die mit dem Zusammenbruch der alten Fundamente zusammenhing, in Verbindung mit dem heidnischen Aberglauben, der sich auf dem Lande erhalten hatte. Staat und Kirche waren diesem Aberglauben entgegengetreten; aber er war niemals ausgerottet worden und regte sich lebhafter, je mehr die Bildung des Klerus sank und die, welche führen sollten, den zu Führenden nicht mehr überlegen waren. Es wohnen in allen Menschen, ganz gewiß in den deutschen, uralte abergläubische Grundvorstellungen und mit diesen verwachsen die Sehnsucht nach unmittelbarer Verwirklichung des Willens, nach magischer Beherrschung der Natur, die immer wieder die von gotterfüllten Menschen in den Anfängen des Menschendaseins aufgerichteten Ordnungen zu durchbrechen suchen. Nach großen Erschütterungen drängt sich das Chaos durch aufgerissene Spalten und vernichtet die Kultur, wenn nicht hohe Vernunft die Lava der Tiefe eindämmt. Dem ungebildeten, vernachlässigten Volk konnte es nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß es vermeintliche Hexen für seine Bedrängnisse verantwortlich machte, verhängnisvoll und unverzeihlich war es, daß die Führenden, anstatt dem dumpfen Treiben zu wehren, es bestärkten, ja anfeuerten. Ein fürchterliches Beispiel sind für alle Zeiten die Hexenverfolgungen für das Unheil, das entsteht, wenn Regierende die rohen Triebe und Vorurteile des Volkes nicht zügeln, sondern sich von ihnen leiten lassen, womöglich sie zu eigenen Zwecken benutzen. Wie die Regierenden in Hinsicht auf Judenverfolgungen gleichsam nur eine Schleuse zu öffnen oder zu schließen brauchten, so hätten sie auch die Jagd auf Hexen abstellen können; sie unterließen es, weil sie entweder den Aberglauben des Volkes teilten oder aus Gleichgültigkeit und Gewinnsucht. Letzteres betraf die Richter und Henker, ersteres die Fürsten; der hohe Adel war großenteils ebenso beschränkt, roh und abergläubisch wie das Landvolk, das er beherrschte.
Es ist bekannt, daß Karl der Große das Verbrennen von Hexen, das bei den Sachsen geübt wurde, bei Todesstrafe verbot. Auch die Kirche bekämpfte das Hexenwesen als heidnischen Aberglauben. Gregor VII. gebot einem Könige von Dänemark zu verhindern, daß unschuldige Frauen als Zauberinnen, die Unwetter und Seuchen angestiftet haben sollten, verbrannt würden. Eine Synode von Trier schärfte im Jahre 1310 den altkirchlichen Satz ein, kein Weib solle vorgeben, daß es des Nachts mit der heidnischen Göttin Diana oder mit der Herodias und einer unzähligen Menge von Weibern ausreite; denn das sei teuflischer Trug. Noch im Jahre 1485 heißt es in einem Lübecker Beicht- und Gebetbuch: »Hast du geglaubt an die guten Hulden und daß dich der Nachtmar ritte, oder daß du auf einer Ofengabel auf den Blocksberg rittest! Lieber Bruder, diese Stücke sind schwere Todsünden.« Aber um diese Zeit war schon eine Wendung eingetreten. Johann XXII. und Eugen IV. erließen verschärfte Bestimmungen gegen Zauberei. Gleichzeitig, im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts, fanden in der Schweiz, im Wallis, im Simmenthal und in Freiburg viele Verbrennungen von Hexen statt. Im Jahre 1484 erklärte Papst Innocenz VIII., daß der Teufel seinen Anhängern die Macht geben könne, Menschen und Tiere zu verderben, und dies war der Ausgangspunkt für die Anklagen und Verfolgungen; denn gerade bei Erkrankungen von Mensch oder Vieh pflegte der Bauer, anstatt einen Arzt zu Rate zu ziehen, der auch wohl nicht zur Stelle war, die Ursache in der Zauberei einer Hexe zu suchen. In der berüchtigten Bulle Summis desiderantes affectibus beklagt Innocenz, daß in vielen Teilen Deutschlands sehr viele Personen beiderlei Geschlechts mit Hilfe der Dämonen, welche sich als Männer und Weiber mit ihnen vermischen, Unfug treiben. Sie verderben, ersticken und richten zugrunde die Kinder, die Weiber, die Früchte der Erde, das Vieh, die Weinberge, das Korn, sie plagen Menschen und Tiere mit grausamen Schmerzen. Obschon, so fährt die Bulle fort, die geliebten Söhne Heinrich Krämer und Jakob Sprenger zu Inquisitoren durch apostolische Briefe bestellt worden seien, so hätten doch einige Kleriker und Laien jener Länder, die klüger sein wollten als nötig ist, sich nicht geschämt, hartnäckig zu behaupten, sie brauchten die Verhaftung und Bestrafung solcher Personen nicht zu gestatten. Krämer und Sprenger, zwei Dominikaner, gehörten augenscheinlich zu jenen bestialischen Pedanten, in denen sich Grausamkeit und Wollust mit Beschränktheit, Enthaltsamkeit, Ehrgeiz vereinen, und die, wenn sie mit Macht ausgestattet werden, zu einer Geißel ihrer Mitmenschen werden können. Anfänglich hatten die beiden Mönche, wie auch aus der Bulle hervorgeht, mit ihrer Verfolgungswut kein Glück. In Tirol stießen sie auf Widerstand sowohl beim Erzherzog Siegmund von Tirol wie beim Bischof von Brixen, die hier, nach Beilegung des alten Streites, ehrenvoll zusammenwirkten. Auch anderswo wirkten Pfarrer und Prediger der Inquisition nachdrücklich entgegen. Um nun die Bevölkerung, das heißt vornehmlich den Klerus und die Gelehrten, im Sinne der Inquisition aufzuklären und von den durch die Hexerei drohenden Gefahren zu überzeugen, schrieben Krämer und Sprenger den Malleus maleficarum, den Hexenhammer, ein Lehrbuch der Teufelsbündnisse und des Hexenprozesses, voll von haarsträubenden und unflätigen Beschreibungen der Buhlerei zwischen dem Teufel und den Frauen und der Art, wie sie durch Folter und Henkerskniffe zum Geständnis gebracht werden können.
Auch dies Buch erreichte seinen Zweck nicht gleich. Im Auftrage des Erzherzogs Siegmund faßte der Jurist Molitor, Protonotar an der bischöflichen Kurie in Konstanz, ein kluges Gutachten darüber ab, in welchem er sagte, der Teufel könne keine Kinder erzeugen, Menschen könnten keine andere Gestalt annehmen und sich nicht auf zauberische Weise an andere Orte versetzen; sie könnten, sagte er, sich nur einbilden, daß sie seien, wo sie nicht sind, und sähen, was sie nicht sehen. Was die Frauen angäben von Hexentänzen sei Vorspiegelung reizbarer Phantasie oder Traum. Immerhin kam Molitor zu dem Schlusse, daß Hexen bestraft werden müßten, wenn sie sich dem Teufel ergeben hätten, was selbstverständlich war, und auch, wenn man sich an die Vorschriften der Carolina gehalten hätte, leidlich gewesen wäre. Nach der Carolina sollten nur solche Hexen die Todesstrafe erleiden, die Schaden gestiftet hatten, und der Anwendung der Folter waren gewisse Schranken gesetzt. Vor allen Dingen aber war nach der Carolina das Vermögen der Gerichteten nicht einzuziehen, und es erwuchs dem Richter kein Vorteil aus ihrer Verurteilung. Eine andere Regel der Carolina besagte, daß den Aussagen der Zauberinnen kein Glauben geschenkt werden dürfe. Gerade auf diesen aber bauten sich die Massenverfolgungen auf; die Folterung hatte nicht nur den Zweck, den Beklagten das Geständnis der eigenen Schuld zu entreißen, sondern auch die Benennung von Mitschuldigen. Die Angeklagten, fast immer schuldlose und oft gute, ehrenhafte Frauen, scheuten sich davor, andere in ihr schreckliches Schicksal hineinzuziehen; aber unter der Folter verließ sie die Kraft. Nahmen sie nach der Tortur ihre Aussage zurück, so begann die Marter von neuem. Die Qualen, denen sie unterworfen wurden, waren so entsetzlich und die Aussicht, Gerechtigkeit zu finden, so gering, ja eigentlich nicht vorhanden, daß die Geistlichen, die die Aufgabe hatten, die Opfer zum Tode vorzubereiten, ihnen rieten, von der Zurücknahme ihrer Aussagen abzusehen, da doch