Gesammelte Werke. Ricarda Huch
Wenn die Anziehungskraft, die der hausierende Kaufmann mit seinem bunten Kram und seinen Nachrichten aus nah und fern auf jedermann ausübte, auf die Stadt übertragen wurde, wo er sich ansiedelte, die er bewegter, reizender machte, so dachte doch die Geistlichkeit anders. Es ist begreiflich, daß die Bischöfe denen zürnten, die ihnen ihre Rechte als Stadtherren zu entwinden suchten und meist auch wirklich entwanden, daß der Klerus überhaupt die Neuerer witterte, die ihn aus dem Mittelpunkt der Kultur verdrängen sollten; aber auch ohne den Antrieb der Selbsterhaltung, aus ihrer Weltauffassung heraus war die Kirche dem Kaufmann feind. In kirchlichen und namentlich in mönchischen Kreisen wurde den Kaufleuten nur Böses nachgesagt. Man schalt sie Räuber, Trinker, Meineidige. Thomas von Aquino hat den Handel als erlaubt bezeichnet, wenn der Händler sich damit begnüge, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Wie konnte er das bei der Art des kaufmännischen Geschäftes, das ein bedeutendes Kapital erfordert, bei den Aufgaben, die ihm als der regierenden Schicht in der Stadt gestellt wurden. Die Notwendigkeit, mehr Geld zu verdienen, als er brauchte, reizte den Kaufmann, mehr und immer mehr Geld und Gut aufzuhäufen, bis er schließlich von der Lust am Besitz beherrscht wurde; die Kirche hatte nicht ganz unrecht, wenn sie befürchtete, der Kaufmann möchte nicht nur selbst das Irdische über das Himmlische setzen, sondern durch den Luxus, an den er das Volk gewöhnte, materielle Gesinnung überall verbreiten. Die ungerechte Besitzverteilung, die Kluft zwischen Reichen und Armen, den Wucher und den Luxus hatte der heilige Ambrosius als die Ursachen vom Untergang des Römerreiches bezeichnet; die Kirche behielt das im Sinn und sah mit Unwillen diese Grundschäden von neuem keimen. Sie hielt daran fest, daß das Bauerngewerbe von Gott eingesetzt sei und die hauptsächliche Beschäftigung der Menschen bleiben müsse. Mit weit vorschauendem Blick sah sie Gefahren, die sich viel später auswirkten, Gefahren, die mit dem reicher sich entfaltenden Leben verbunden sind und die man nicht unterdrücken könnte, ohne das Leben selbst in seiner Quelle und Fülle zu verschütten.
Städte
Als Barbarossa Herzog Heinrich von Sachsen bekämpfte, zog er vor Lübeck und forderte es auf, sich ihm zu unterwerfen. Da die Stadt zu Wasser und zu Lande eingeschlossen und Entsatz nicht zu hoffen war, baten die Bürger den Kaiser, er möge ihnen gestatten, den Herzog, ihren Herrn, zu fragen, was sie tun sollten. Vielleicht in Rücksicht auf das Ansehen ihres Bischofs Heinrich, der ihre Bitte vortrug, vielleicht auch in Rücksicht auf die Bedeutung der Stadt selbst, nahm der Kaiser das treuherzige Ansinnen gnädig auf, wenn er auch nicht unterließ, es als Anmaßung zu bezeichnen. Der Herzog stand dem Kaiser an Billigkeit nicht nach; er erteilte Lübeck die Erlaubnis, zum Kaiser überzugehen. Jubelnd begrüßten die Bürger den Kaiser, als er einzog, und das war nicht Wankelmut des Pöbels, der jede Fahne beklatscht; denn der Kaiser war ja der Herr aller, insbesondere der Herr der Märkte, war der Herr, dessen Herrschaft Freiheit bedeutete. Der König konnte und wollte nicht alle Städte selbst verwalten, es genügte ihm, wenn sie ihm, dem stets Geldbedürftigen, die regelmäßigen Zahlungen leisteten. Selbstverwaltung und eigene Gerichtsbarkeit, das war es, was alle Städte erstrebten; hatten sie es dahin gebracht, die hohe Gerichtsbarkeit, den sogenannten Blutbann, an sich zu bringen, so war die Reichsunmittelbarkeit vollendet, die Stadt war ein sich selbst regierender Staat im Staate geworden. Lag die Stadt nicht von vornherein auf königlichem Grund und Boden, so konnte das Ziel nur allmählich erreicht werden, bald in Kämpfen, bald mit Schmiegen und Beugen. Lübeck ließ sich, als Heinrich der Löwe während der Abwesenheit Barbarossas zurückblieb, seine Herrschaft wieder gefallen und bequemte sich auch unter die Herrschaft König Waldemars II. von Dänemark. Friedrich II. war so sehr in erster Linie König von Italien, daß er der Ausbreitung der dänischen Macht im Norden des Reiches nicht nur nicht entgegentrat, sondern sich damit einverstanden erklärte. Er trat dem dänischen König das allerdings von demselben bereits eroberte Nordalbingien, die Lande jenseits der Elbe und Weser, ab, ausdrücklich betonend, keiner seiner Nachfolger oder der Fürsten des Römischen Reiches dürfe wegen dieser Gebiete, weil sie früher einmal dem Römischen Reiche untertänig gewesen wären, den »viellieben Herrn König Waldemar« beunruhigen. Die Wiedergewinnung dieses so wichtigen Küstenlandes geschah ohne Friedrichs Zutun durch den Grafen Heinrich von Schwerin, dem ein köstlicher Fang glückte: er nahm den Dänenkönig in seinem eigenen Land und Zelt gefangen. Die Schicksalsgunst nützte Friedrich aus, indem er als Bedingung von Waldemars Befreiung Rückgabe Nordalbingiens, ein ungeheueres Lösegeld und den Vasalleneid verlangte; aber erst dem Grafen von Schwerin, dem beherzten kleinen David, gelang es, in den Schlachten bei Mölln und Bornhövede 1225 und 1227 den mächtigen Gegner zu besiegen und das Land wirklich zurückzuerobern, vom Herzog von Sachsen und Grafen von Schaumburg unterstützt. Lübeck, das in der Schlacht bei Bornhövede, der Überlieferung nach unter seinem Bürgermeister Alexander von Soltwedel, tapfer mitkämpfte, hatte schon vorher, sowie es von den Dänen befreit war, Gesandte nach Italien an den Kaiser geschickt, um sich die von Barbarossa verliehenen Privilegien bestätigen zu lassen. Vermutlich beraten von seinem Freunde Hermann von Salza, der die mächtig erblühende Stadt am Baltischen Meer in seine Ostseepläne einbezog, unterzeichnete Friedrich im Jahre 1226 die kostbare Urkunde, die die Grundlage von Lübecks Reichsfreiheit wurde: Concedimus firmiter statuentes ut predicta civitas Lubiciensis libera semper sit – Wir gewähren der Stadt Lübeck, daß sie immer frei sei.
Grundsätzlich begünstigt hat keiner der Hohenstaufen die Städte, und das lag auch nicht in ihrem Interesse. Abgesehen davon, daß die Städte damals erst aufstrebende Mächte waren, mußte der Kaiser auf die Fürsten Rücksicht nehmen, die seine Wähler waren und die ihm die Mannschaft für seine Feldzüge nach Italien lieferten. Er konnte nicht wohl die Städte in ihren häufigen Kämpfen gegen die Bischöfe, wo sie meist dem Buchstaben nach Rebellen waren, unterstützen. Dazu kam, daß die Kaiser selbst aus dem Fürstenstande stammten und in den Fürsten die Ebenbürtigen sahen. Wenn sie auch einzelne hart bekämpften, so mußten sie doch einer zustimmenden Mehrzahl gewiß sein, und auch der Bekämpfte und Geächtete wurde, sowie er sich unterwarf, wieder in Gnaden aufgenommen als ein Gleicher. Während Heinrich VI. auf dem Wege war, das Kaisertum erblich zu machen, hat Friedrich II. die Unabhängigkeit der Fürsten gesetzlich verstärkt, die der Städte gemindert. In den bischöflichen Städten verbot er den Bürgern, einen Rat zu bilden, und den Handwerkern, sich in Einungen zusammenzuschließen, worauf die städtische Selbständigkeit zum größten Teil beruhte. Die despotisch-zentralistische Richtung, die der Kaiser in Italien verfolgte, ließ er in Deutschland, soweit es da möglich war, gleichsam durch die Fürsten vertreten, was sich denn zwar auch gegen ihn selbst richten mußte; doch war er ein zu guter Staatsmann, um nicht gelegentlich, wenn es nützlich schien, auch die Städte zu fördern. Wölflin, sein großer Landvogt im Elsaß, hat dort gewiß nicht ohne seine Billigung viele Städte, darunter Kolmar und Schlettstadt, gegründet.
Bis in die Zeit der Hohenstaufen war die Geschichte der Deutschen wesentlich eine Geschichte des Adels. Der König und seine Umgebung, die Fürsten, Grafen und Ritter, die Bischöfe, Äbte, Mönche und Nonnen gehörten dem Adel an. Von den Söhnen und Töchtern des Adels wurde immer ein Teil irgendeinem Benediktinerkloster gelobt, und das Standesbewußtsein hätte nicht gelitten, daß sie in eine andere als ebenbürtige Gesellschaft eingetreten wären. In manchen Klöstern, wie zum Beispiel in Sankt Emmeran, Obermünster und Niedermünster zu Regensburg, gehörten die Äbte und Äbtissinnen dem Reichsfürstenstande an.
Die Päpste haben wohl verschiedentlich gegen diese Ausschließlichkeit geeifert, und einige Orden, namentlich die Cisterzienser und Franziskaner, nicht deutschen Ursprungs, haben sie durchbrochen und ein demokratisches Element in die Kirche eingeführt. Aber sie führten es nur in die Kirche ein; innerhalb der Weltlichkeit waren es die Städte, durch die in die glanzvolle, schwertklirrende, erhabene Geschichte des deutschen Adels eine neue Kraft eindrang, die Freiheit. Die Adligen waren die Freien, Adel und Freiheit fielen zusammen, sie brauchten die Freiheit nicht zu betonen, so ähnlich, wie Adlige untereinander den Adelstitel weglassen. Das bewußte Erleben der Freiheit, die Freiheit als Befreiung, als Losung, als Ideal brachte die Stadt. Nicht als ob nicht die Menschen in der Stadt auch Deutsche mit lebhaftem Standesgefühl gewesen wären. Niemand dachte an Gleichheit. Die das städtische Leben beherrschenden Familien waren