Gesammelte Werke. Ricarda Huch

Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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die Kirchen der Franziskaner und Dominikaner.

      Wenn der Kaiser seine Reichsstadt besucht, wird er zuerst in die Kirche geführt, abends vielleicht in ein Gildehaus oder in das Hochzeitshaus, wo er mit den schönen Bürgersfrauen tanzt und mit den Ratsmännern trinkt. Bei einem besonders angesehenen und wohlhabenden Bürger stieg er ab; Ludwig der Bayer wohnte in Nürnberg bei Heinrich Weigel auf dem Milchmarkt oder bei Albrecht Ebner auf dem Salzmarkt.

      Einen großen Raum bedeckte das Spital mit den dazugehörigen Gebäulichkeiten. Es war fast immer dem Heiligen Geist geweiht; die Leitung stand entweder bei der Geistlichkeit und der Stadt zusammen oder bei der Stadt allein. Es nahm Kranke, Arme, Wöchnerinnen, alte Leute, Pilger, Wanderer auf und beherbergte sie je nach den Umständen für einige Nächte oder für Lebenszeit. Gewöhnlich war das Spital sehr reich; es besaß Dörfer, die regelmäßige Abgaben leisteten, aber auch einzelne Höfe und Gerechtsame, und es verfügte über Stiftungen, infolge welcher die Insassen an gewissen Tagen weißes Brot oder Wein und Bier oder Bäder erhielten. Einige Herren aus dem Rat hatten die Verwaltung des Spitals zu überwachen. Das Leprosenhaus, das dem heiligen Georg geweiht war, pflegte der Ansteckung wegen vor den Toren zu liegen; mit ihm war wie mit dem Spital eine besondere Kirche oder Kapelle verbunden.

      Nicht nur die Krankenpflege nahm die Stadt der Kirche ab, sondern auch die Armenpflege, wenn auch die der Kirche weder ganz ausgeschaltet noch entbehrt werden konnte. Obwohl die Zünfte ihre Mitglieder nicht verelenden ließen, so gab es doch in den Städten sehr viel Arme; denn nicht alle Handwerker waren in Zünfte zusammengefaßt, und außerdem gab es Tagelöhner und eine Menge anderer Leute ohne bestimmten Beruf und regelmäßige Einnahme. Manche wurden in den Spitälern versorgt, manchen kamen Stiftungen zugute, die die wohlhabenden Bürger reichlich zu Lebzeiten oder im Testament anordneten. Die regierenden Familien fühlten sich sowohl für die Ordnung wie für die Verwirklichung der sittlichen Forderungen in ihrer Stadt verantwortlich. Die Kirchenväter hatten einst die großartige Auffassung vertreten, man solle nicht sagen, es seien nur die würdigen Armen zu unterstützen; denn die Armut sei es eben, die würdig mache. Dies göttliche Allerbarmen konnte wohl von der Kirche und von einzelnen, nicht von einer Stadtverwaltung geübt werden. Ihr kam es hauptsächlich auf Ordnung an, der zuliebe mit den sie Störenden nicht viel Federlesens gemacht wurde. Mit den einheimischen Armen wurde man einigermaßen fertig, lästiger war das von auswärts zuströmende Gesindel, das sich bedenklich vermehrte, als das Ostland aufhörte, Kolonisten an sich zu ziehen. Um die Heimatlosen wenigstens christlich zu bestatten, wenn sie starben, bildeten sich in den Städten Elenden-Bruderschaften. Im Jahre 1313 stiftete Bischof Albert von Halberstadt ein Grundstück für einen Friedhof, auf welchem, wie es in der Urkunde heißt, alle die Schwachen, Armen, Heimatlosen, die von Krankheiten heimgesucht und verlassen auf der Straße lagen, menschlichen Trostes beraubt, ruhen sollten. In Frankfurt am Main wurde im Jahre 1315 die erste Herberge für Landstreicher gegründet. Das fragwürdige Volk, das nicht ansässig war, wurde von Zeit zu Zeit aus der Stadt verjagt. Die Justiz war schnell und hart, ein geringer Diebstahl wurde oft mit dem Tode bestraft. Vielleicht aber war ein schneller Tod am Galgen oder durch das Schwert dem Verfaulen im Turm vorzuziehen. Dort ließ man wohl Unverbesserliche aus den regierenden Familien verschwinden. Im allgemeinen wurden die angesehenen Personen, wenn sie sich schwer vergangen hatten, im eigenen Hause in Haft gehalten. Ein eigentliches Gefängniswesen gab es nicht.

      Umschlossen war die Stadt von der Mauer, die, wenn sie auch nicht von Anfang an zum Wesen der Stadt gehörte, doch ihr Wesen besiegelte. Sie rundete die Teile der Stadt zu einer Einheit ab, legte einen Gürtel um die Nachbarn, schirmte sie vor den Feinden draußen, verbürgte ihnen die Sicherheit, ohne die der friedliche und freie Charakter der Stadt sich nicht hätte entfalten können. Sie verlieh der Bürgerschaft das Gefühl der Unverletzlichkeit, das dem einzelnen Ritter sein Harnisch gab. Ehe die Städte frei waren, erstrebten die Bürger das Recht, die Mauern zu verteidigen, und wenn sie das besaßen, hatten sie schon die Hand auf die Freiheit gelegt. Ihrer Aufgabe, die Stadt vor Überfall oder Eroberung zu schützen, haben die Mauern in erstaunlich hohem Grade genügt. Unzählige Male haben sich Heere von Königen und Fürsten vor einer Stadt verblutet, fast immer mußten sie nach schweren Verlusten die Belagerung aufgeben. Wie stolz die Bürger auf ihre Mauer waren, zeigte sich nicht nur in der Sorgfalt, mit der ihr Zustand überwacht wurde, sondern auch in der das Auge erfreuenden Ausgestaltung. Die Türme, die die Mauer in gewissen Abständen durchbrachen, dienten dem Zweck der Verteidigung, und daß sie einen marschähnlichen, heroischen Rhythmus erzeugten, ist nur ein zufälliges Ergebnis; aber der Baumeister bemühte sich, auch in die Gestaltung der Türme Abwechslung zu bringen, und schmückte sie mit Wappen, Adlern, Kaiserbildern, Sprüchen. Mit besonderem Schwung gestaltete und schmückte man die Tore. Sie verkündeten dem Bürger, der seine Kühe aus- und eintrieb, dem Kaufmann, der seine Waren einführte, dem Feind, der die Stadt erstürmen wollte, dem Fürsten, der sie besuchte, daß hier eine mächtige Herrschaft beginne, die zu schützen, zu strafen und sich zu wehren wisse. Draußen dicht an der Mauer waren die Mühlen, ein wertvoller Besitz der Stadt, dann kamen Gärten, Äcker und Weiden, die wiederum durch eine Verschanzung geschützt waren. Die Dörfer in der Runde bildeten das nächste, sichere Absatzgebiet für die Waren der Stadt und mußten ihre Produkte auf die Märkte der Stadt bringen.

      Das teuerste, bestgehütete Besitztum der Stadt waren ihre Privilegien von den Landesherren, ganz besonders die der Kaiser, auf denen die Reichsfreiheit beruhte. Es kamen Zeiten, wo die Leistungen der Reichsstädte fast die einzige sichere Einnahme des Kaisers ausmachten; auf ihre Anhänglichkeit konnte er immer rechnen. Im Gegensatz zu Fürsten und Rittern nannten sie sich wohl kurzweg das Reich. Ihnen gehörte der Kaiser in einer besonderen Weise, das prägten sie in Symbolen, Wappen, Fahnen allen Augen sichtbar aus. An einem Kronleuchter im Rathaus zu Goslar war der Vers angebracht: »O Goslar, du bist zugetan – Dem heiligen Römischen Reiche – Sonder Mittel und Wahn – Du kannst davon nicht weichen.« Über dem Ostentor in Dortmund stand: »Dus stat ist vry – Dem Riche holt – Verkoept das nicht umb alles Golt.« Ein Edelknecht des Burggrafen von Nürnberg, der mutwillig ein Adlerbild am Tore der Stadt Rothenburg beschädigt hatte, wurde hingerichtet; so heilig hielt man das kaiserliche Zeichen. Bei den häufigen Kämpfen zwischen Papst und Kaiser brachte die innige Beziehung der Städte zum Kaiser einen Gegensatz zur Kirche mit sich. In den Bischofsstädten bestand dieser Gegensatz ohnehin durch das Bestreben, sich von der Herrschaft des Bischofs frei zu machen, der noch dazu häufig zum Papst anstatt zum Kaiser hielt. Dem Kaiser zuliebe trotzten die Städte sogar dem Interdikt. Es war den Stadtbewohnern nicht gleichgültig, wenn die magische Hülle von Glockenklang und Gebet, die sie umschirmte, zerfiel, und ihre Giebel nüchtern und stumm in die Tageshelle starrten; sie wollten den Gottesdienst nicht missen, gaben aber deshalb nicht nach, sondern befahlen ihren Geistlichen, entweder ihn zu versehen oder die Stadt zu verlassen. Wie fest das Band zwischen dem Kaiser und den Städten war, zeigte sich zur Zeit Ludwigs des Bayern, wo die ihm anhangenden dem Kirchenbann verfielen. Damals wurde der Erzbischof von Magdeburg im Kerker mit eisernen Stäben totgeschlagen, in Berlin wurde ein Propst vor der Marienkirche, in Basel ein päpstlicher Gesandter getötet. Kein Wunder, daß die Kaiser sich in den Städten wohlfühlten und gern dort verweilten. Die städtischen Chroniken verzeichneten die Gespräche, Scherze und Neckereien, die im Ton humorvoller Vertraulichkeit zwischen dem Kaiser und der Bürgerschaft gewechselt wurden. Rudolf von Habsburg verstand es besonders gut, diesen Ton anzuschlagen, der ihm die Gemüter gewann; es ist merkwürdig, wie sich diese Gabe viele Jahrhunderte hindurch in seiner Familie erhalten hat. Einmal kam der König, so wird erzählt, in Basel mit einem Gerber ins Gespräch, der, schlecht gekleidet, über seiner schmutzigen Arbeit war. Im Verlaufe der Unterhaltung lud der Mann den König auf den nächsten Tag zum Mittagessen ein, und Rudolf sagte zu, in der Meinung, einer armen Hütte königliche Gnade zu erweisen. Jedoch empfing ihn in einem stattlichen, geschmackvoll eingerichteten Hause ein feingekleideter Mann mit einer schönen Frau, die ihn zu einer reich bestellten, mit kostbarem Geschirr geschmückten Tafel führten. Der überraschte König fragte den Gerber, warum er denn, da er augenscheinlich ein wohlhabender Mann sei, ein so schmutziges, übelriechendes Gewerbe treibe, worauf der Mann zur Antwort gab, eben diesem Gewerbe verdanke er seinen Wohlstand, und deshalb bleibe er dabei.

      Nachdem die Arbeit des hörig gewordenen Bauern der Verachtung anheimgefallen war, bildete sich in der Stadt eine neue Wertschätzung der Arbeit und des freien Arbeiters. Der Handwerker,


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