Gesammelte Werke. Ricarda Huch

Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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einen Zaun um seinen Esel, um ihn notdürftig vor wilden Tieren zu schützen, und wenn es in den Zweigen raschelte und knackte, horchte er gespannt, ob ein Mensch oder ein Wolf oder Luchs sich heranschliche. An den Mündungen des Rheins, der Weser und Elbe überschwemmte das Gewässer oft weithin das Land, Sturmfluten brandeten über die noch nicht eingedeichten Ansiedelungen und rissen sie in die Tiefe. Im Herbst, im Winter und im Frühling, wenn die Wolken tief herabhingen, der kalte Wind heulte und Schnee und Regen die Wege zu Morast aufweichten, mochte dem Wanderer, der zu Fuß oder zu Pferde ein entferntes Ziel zu erreichen suchte, oft die Hand erstarren und das Herz erbeben. Nicht nur wilde Tiere, auch die wilden Menschen mußte er fürchten, Wegelagerer, Krieger, die zum Kampfe auszogen oder vom Kampfe zurückkehrten und ihren Übermut an jedem Beliebigen austobten, Feinde vielleicht, die die Gelegenheit wahrnahmen, einen alten Span auszutragen. Weit und breit kein Haus; die Dörfer, durch die man etwa kam, bestanden aus dürftigen, strohgedeckten Hütten aus Lehm und Holz. Zuweilen kam man wohl an festen, breiten Häusern freier Bauern oder an Gutshöfen vorüber, die Eschen und Eichen beschirmten, an denen ein Quell vorüberrieselte, und die wohlbestellte Äcker umgaben. Städte gab es noch wenige außer den alten Römerstädten am Rhein, Straßburg, Basel, Mainz, Köln, außer Augsburg am Lech und Regensburg an der Donau, und auch dort öffneten sich dem Wanderer zu Schutz und Herberge nur die Klöster, die es dort etwa gab.

      Inmitten des wolkenverhangenen, wälderrauschenden, waffenklirrenden Landes gab es Bezirke, die der Friede Gottes erfüllte. Mochte draußen Krieg rasen, unter der täglichen Fron der Landarbeiter seufzen, Gewalt und Unrecht triumphieren, im Kloster glühte die Flamme ewiger Anbetung, beugten sich immer Knie vor dem Herrn, riefen immer inbrünstige Lippen den höchsten Namen an, legten Gottgeweihte das Geschick ihrer weltlichen Brüder an das Vaterherz im Gebet. Nach siebenstündigem Schlaf, eh noch der Tag zu dämmern begann, erhoben sich die Mönche vom Lager und betraten die Kirche, um das Lob des Allmächtigen zu beginnen. In festen Rhythmen begleitete die Musik den Psalm der Stunde des Tages, alle Gefühle des Herzens ergießend: die Klage über das Vergebliche der Lust der Welt, den düsteren Schmerz der Unzulänglichkeit und Schuld, das Rühmen und Danken, den Jubel des Glaubens, die Angst des Zweifels, das unstillbare Heimweh. Über die Wände der Kirche breitete sich in feierlichen Bildern die Geschichte vom Bunde Gottes mit der Menschheit aus. Man sah lieblich und herrlich zugleich die jungfräuliche Mutter mit dem Kinde, das, so klein es war, doch das Göttliche in sich faßte, man sah den Herrn am Kreuze und sah ihn in seiner Majestät unerbittlich am Jüngsten Tage die Bösen von den Guten sondern. Wer den geweihten Raum betrat, spürte die Gegenwart überirdischer Mächte. Die Knaben vornehmer Abkunft, die hier von den Eltern Gott dargebracht wurden, wußten, daß sie bestimmt waren, Krieger des höchsten Kriegsherrn zu werden, wenn sie auch keine Rüstung trugen. Stolz, spröde, keck beugten sie sich doch der Zucht ihrer Lehrer und des Abtes, die nach der Regel streng und milde, brüderlich und königlich sie regierten. Der Sehnsucht des germanischen Jünglings, einem Führer Gefolgschaft zu leisten, der im Kampfe voranging, konnten sie auch im Kloster Genüge tun. Je nach ihrer Begabung war ihnen das Kloster Universität, Kunstschule, Handwerkerschule, landwirtschaftliche Schule. Denn es war eine Welt im kleinen, alles, was gebraucht wurde, wurde im Kloster angefertigt, das über den Gebrauch hinaus Erzeugte ging zum Verkauf hinaus.

      Im Klostergarten wurden Rosen, Verbenen, Nelken und andere Blumen des schönen Anblicks und des Duftes wegen gezogen, daneben Gemüse, Küchenkräuter und Pflanzen, denen Heilkraft zugeschrieben wurde: Lattich, Lauch, Erbsen, Petersilie, Minze, Lavendel und Thymian. Die reichen Klöster hatten auswärtige Besitzungen, oft von weither wurden dem Mutterkloster Erträge zugeführt. Das Kloster Reichenau bezog aus eigenen Gütern in Italien Wein und Öl. Hohe Gäste pflegten Schenkungen an Wild oder Fisch oder Wein zu machen, und der für die Gabe festgesetzte Tag wurde zum Festtag. Ekkehard IV. hat den Besuch geschildert, den der liebenswürdige König Konrad I. im Jahre 911 in Sankt Gallen machte. Während er in Konstanz die Weihnacht feierte, erzählte ihm der Bischof Salomon, der in Sankt Gallen erzogen war, von der Prozession, die an einem der folgenden Tage dort stattfinde, worauf der König ausrief: »Wären wir dort! Und warum, mein Herz, gehen wir nicht morgen früh hin?« Fröhlich fuhren sie zu Schiff den Rhein hinauf und wurden in Sankt Gallen mit Hymnen empfangen. Von den drei Freudentagen, die der König dort zubrachte, blieb der Tag der Unschuldigen Kindlein, der ein Tag besonderer Freiheit für die Klosterschüler war, allen die liebste Erinnerung. Der König, offenbar ein Kinderfreund, ließ den kleinen Burschen Obst hinschütten und staunte, als nicht einer sich rührte, um danach zu greifen, dann wieder nahm er sie auf den Schoß und legte ihnen Goldmünzen in den Mund und lobte lachend den einen, der das Gold voll Abscheu ausspie. Er speiste mit den Mönchen, bereicherte das bescheidene Mahl durch außergewöhnliche Zutaten, verbreitete fröhlich plaudernd gemütliche Stimmung und sagte später zum Bischof von Konstanz, das wenigstens war die Überlieferung des Klosters, er sei noch nie bei einem Gastmahl so heiter gewesen. Auch in die Gebetsverbrüderung ließ er sich aufnehmen, eine Einrichtung, zufolge welcher Laien nach erfolgter Zustimmung der Mönche eine gewisse Zugehörigkeit zum Kloster sich erwerben konnten, so daß die Mönche sie in ihr Gebet einschlossen, und sie das Recht hatten, vorübergehend im Kloster zu verweilen, wovon Fürsten und Adlige wohl am Ende ihres Lebens Gebrauch machten, um in geheiligten Räumen zu sterben.

      Indessen, nicht dadurch allein sollte das Kloster einen Gegensatz zur Welt bilden, daß es eine Stätte des Friedens sei, während draußen Blut und Tränen vergossen wurden: Leiden und Entbehrung sollte der Grundton des mönchischen Lebens sein. Es sollte ein freiwillig übernommenes Leiden sein zum Zeichen der Nachfolge Christi; mit dem dreifachen Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams verzichtete deshalb der Mönch auf alles, woraus der Mensch die Genüsse zu schöpfen pflegt, auf Besitz, auf Liebe und Familie, auf den eigenen Willen. Im Kloster sollte ein Grundgedanke des Christentums verwirklicht werden: die Ausschaltung des Privateigentums. Auch nicht ein Buch, nicht einen Griffel sollte der Mönch zu eigen besitzen, allen sollte alles gemeinsam sein. Die meisten Kirchenväter stimmten darin überein, daß der Gemeinbesitz gut, von der Natur und von Gott gewollt sei, daß die Habsucht der Menschen das Sondereigentum eingeführt habe. Damit hing das Gebot der Ehelosigkeit zusammen, denn in der Familie bildet sich die Neigung aus, Vermögen zu erwerben und den Kindern zu vererben, wodurch es der Gemeinde entzogen wird. Dem germanischen Bauer, besonders dem sächsischen, der gern allein auf seinem Hof saß, war die kirchliche Lehre von der Gütergemeinschaft durchaus entgegengesetzt. Auch wurde das strenge Gebot im Kloster oft durchbrochen, da es immer solche gab, die etwas Eigenes zu verheimlichen wußten, worüber es dann zu häßlichen Zankereien kam. Allein wenn auch Heuchelei und Schwäche das Vorleben des christlichen Gedankens trüben und die Unmöglichkeit, ihn rein zu verwirklichen, beweisen mochten, er leuchtete doch von dieser Stätte in die von Habgier zerrissene Welt, einen Hafen allen denen öffnend, die ihm dienen wollten. Hier in diesem geheiligten Bezirk sollte das Gold nur dem Schmuck des Altars dienen, die weißen Hände des Mönchs sollten sich nie um eine erraffte Münze schließen, nur sich öffnen, um sie dem Bedürftigen auszuteilen. Das zur Erhaltung des Lebens Notwendige war da, gab es etwas darüber hinaus, wurde es mit Dank genossen, aber im allgemeinen sollte die Lehre der Kirchenväter gelten: wer etwas Überflüssiges hat, entzieht es dem Armen. Die Begabung sollte innerhalb der Gemeinschaft zwar anerkannt und gepflegt werden und sich entfalten, aber keinen Vorzug der Ehre oder der Einkünfte zur Folge haben. Alle standen unter gleichem Gesetz, wohnten gleich, nährten und kleideten sich gleich, einzig die Persönlichkeit, deren Wurzel sich menschlichem Eingriff entzieht, göttliche Prägung, die kein irdischer Despot verwischen kann, machte sich durch größeres Lieben und Geliebtwerden geltend, trotz aller Bestimmungen, die auch die Freundesliebe gegenüber der Nächstenliebe beschränken sollten. Soweit es menschliche Leidenschaft und menschliche Schwäche zulassen, wurde hier christliche Brüderlichkeit verwirklicht.

      Nicht immer ertrugen die jungen Männer die Vergewaltigung, die ihrer Natur durch das Mönchtum angetan wurde, gutwillig. Oft waren es solche, die schon als Kinder durch Kränklichkeit, Zartheit, Neigung zum beschaulichen Leben, geistige Begabung für die klösterliche Laufbahn vorbestimmt schienen; war das nicht der Fall, so mußten die adligen Knaben, deren Väter und Brüder das Schwert führten, sich im Kriege auszeichneten, Abenteuer erlebten, hart mit sich ringen, bis sie inneren Frieden fanden oder wenigstens sich zu fügen lernten. Zwischen den Klostermauern versiegte manche Träne des Zorns, verhallte mancher Fluch der Verzweiflung. Nur


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