Im Alten Reich. Ricarda Huch
veränderte Besetzung des Rats geschwächt gewesen wäre. Alles aber mag wohl damit zusammenhängen, daß die alten Geschlechter überhaupt schon ihrem natürlichen Ende zuneigten. Manche erloschen schon im 14. Jahrhundert, wie die Zum Pilgrim, die Seelhofen, die Zum Baumgarten und die Zum Ageduch, die meisten aber im 15., Zum Weidenhof, Zum Clemann, Zum Blashof, Zum Lichtenberg, Zum Bart, Zum Spiegel, von Bingen, Bechtelminzer, Seeheimer, Achheimer. Andere, deren Häuser vom Erzbischof Adolf eingezogen waren, wanderten aus, einige nach Frankfurt, andere nach Straßburg, und unter diesen waren die Zum Frosch, die Zum Landeck und die Gensfleisch zum Laden, jener Stamm der Gensfleisch, dem Johannes Gutenberg, der Erfinder der Buchdruckerkunst, entsprossen sein soll. Von dem verräterischen Bürgermeister Zum Dymerstein erzählen einige, er sei im Kampfe gefallen, andere, er habe sich, als er die unerwartet furchtbaren Folgen seiner Tat erkannt habe, in Verzweiflung selbst getötet. Das Haus »Zum Dymerstein« soll lange verrufen gewesen sein und kam endlich an einen Domherrn Knebel von Katzenellnbogen, der im Jahre 1600 ein neues, noch stehendes Haus auf der Stelle errichten ließ.
Adolf von Nassau hatte nicht den Mut, in der durch ihn gestürzten Stadt zu wohnen, sondern residierte in Ellfeld, wo auch Gutenberg, unter das Hofgesinde des Erzbischofs aufgenommen, seine besten Lebensjahre zubrachte. Mehr Haß als Adolf von Nassau hatte Diether von Isenburg verdient, der nach Adolfs Tode, von ihm selbst vorgeschlagen, das Erzstift erhielt und nunmehr unangefochten in seinem Besitz blieb. Uneingedenk der unsäglichen Leiden und Verluste, die die Bürgerschaft um seinetwillen erlitten hatte, erkannte er die von seinem einstigen Gegner herbeigeführte Umwälzung an und ließ sich als Herrn der Stadt huldigen. Die alte Inschrift auf den Bronzetüren des Willegis erinnert somit nicht nur an die Dankbarkeit Adelberts, der im 12. Jahrhundert die Freiheitsurkunde ausstellte, sondern auch an den Undank Diethers, der im 15. Jahrhundert das durch ihn veranlaßte Unglück für sich ausnutzte. Auf demselben Platze, wo Erzbischof Adolf die Bürger versammelte, damit sie ihr Urteil vernähmen, das sie ihrer Rechte und ihrer Heimat beraubte, veranstaltete Diether ein Turnier, zu dem er die Ritterschaft, Grafen und Herren des Rheins und der Länder Franken, Bayern und Schwaben einlud. Das Geschenk, das er der Stadt machte, vielleicht als Ersatz für die verlorene Selbständigkeit, die Universität, ist niemals zur Blüte gekommen; auch spätere Kurfürsten bemühten sich vergebens, ihr Leben einzuflößen.
Die Kurfürsten und Erzbischöfe von Mainz hatten wohl eine zu wichtige Stellung im Reich, als daß die Stadt, wo sie residierten, sich in der Reichsunmittelbarkeit hätte erhalten können. Die Zeitspanne, in der sie Hand in Hand mit den Kaisern gingen, war nur sehr kurz; früh schon betrieben sie die Politik, die Kaiser mit Hilfe des Papstes und der anderen rheinischen Kurfürsten von sich abhängig zu machen. Noch heute ist es hauptsächlich die erzbischöfliche und kurfürstliche Stadt, die sich dem Beschauer darstellt mit den beiden auffallenden Mittelpunkten des Doms und des Schlosses. Die alte Residenz, die Martinsburg, steht nicht mehr. Die neue wurde im Jahre 1627 durch Georg Friedrich von Greifenklau begonnen und etwa 50 Jahre später durch einen von der Leyen beendet. An das Schloß grenzen das ehemalige Deutsch-Ordenshaus, jetzt Erzherzoglicher Palast genannt, und das Zeughaus. Das alte Haus des Deutschherrenordens wurde durch den Kurfürsten Franz Ludwig Pfalzgraf von Neuburg, der Hoch- und Deutschmeister war, abgerissen, um einem neuen Platz zu machen, wozu der Domdechant von Breidenbach im Jahre 1729 den ersten Stein legte. Einige Jahre später wurde die alte, danebenstehende Deutschherrenkirche niedergelegt. Das neue Deutsche Haus diente für gewöhnlich Rittern des Ordens zur Wohnung; in der Franzosenzeit bewohnte es Napoleon, der die außerordentliche Schönheit des Gebäudes zu schätzen wußte; das schmückende Wappen des Ordens hatten die republikanischen Franzosen mit mehreren anderen zerstört. Das neue Zeughaus wurde etwas später unter Phil. Karl von Eltz von einem italienischen Architekten an Stelle des alten errichtet. Das alte hieß in früherer Zeit Zum Rumpel und Zum Rabenold, später Zum Säudanz; der Platz auf dem es steht, Uff den Schweinsmisten. Schloß, Deutschordenshaus und Zeughaus, das erste im Stil der Renaissance, die beiden anderen in Barock erbaut, bilden zusammen eine Brüstung des Rheins von blendender Pracht. Die abendrote Farbe des Sandsteins überzieht die schweren und gemessenen Formen wie mit festlichen Teppichen, die ausgehängt wären, um einem heimkehrenden Sieger zu huldigen. Weiter die Rheinstraße hinauf, von der Stadt umringt und getragen, erhebt sich der wundervolle Dom, ein Denkmal der Jahrhunderte. Er umfaßt die uralte Mauer, die Willegis im Jahre 1000 errichtete, den gotischen Kreuzgang und den barock-romanischen Westturm des Franz Ignaz Neumann, der als eine Herrscherkrone fünf andere Türme überragt. Hoch über die Stadt und die Häupter der Menschen, umsaust von Wind und Wetter, hebt er das Standbild des Patrons, des heiligen Martin zu Pferd mit Helm und Federbusch und dem Bettler mit der Krücke daneben, und birgt als hehre Gruft die steinernen Totenmale der einst als Bischöfe mächtigen Männer, die hier kämpften, herrschten und irrten.
Die ältesten Bischöfe, die Heilige oder Krieger waren, die Kaiser auf ihren Zügen nach Italien begleiteten und mit Lust das Schwert führten, finden wir nicht im Dom, teils weil der heutige noch nicht stand, teils weil sie außerhalb von Mainz starben und begraben wurden. Dort ruht nicht Sundarold, der im neunten Jahrhundert in einer Schlacht gegen die Normannen fiel, nicht Heriger, der erste Erzkanzler des Reichs, nicht Hildebert, der Otto I. in Aachen weihte, von dem an die Erzbischöfe von Mainz das Recht hatten, den neugewählten Kaiser mit dem Schwert zu umgürten, während die Erzbischöfe von Köln ihm die Krone aufs Haupt setzen durften, nicht Ottos I. Bruder, der edle Wilhelm, nicht Ruthard, der beschuldigt war, Hunderte von Juden, die sich mit ihren Schätzen seinem Schutz anvertraut hatten, ihren Mördern ausgeliefert zu haben, nicht Christian von Buch, der mit Reinold von Dassel zusammen bei Tuskulum die Römer besiegte, der hoch zu Roß, mit vergoldetem Helm, den Panzer umweht von hyazinthrotem Mantel in die Schlacht stürmte, aber ebenso gelehrt und unwiderstehlich beredt wie kriegerisch war und sechs Sprachen sprach, der 36 Lombarden eigenhändig mit seiner dreizackigen Keule die Zähne ausgeschlagen haben soll, dessen Taten lange noch in Liedern gefeiert wurden, und der zuletzt, von dem einst bekämpften Papst betrauert, den er gegen die aufständischen Römer schützte, in Rom starb.
Bardo, der am Martinstage des Jahres 1036 in Gegenwart Kaiser Konrads II. und seiner Gemahlin Gisela, seines Sohnes Heinrich und dessen junger Frau Kunihild den neuerbauten Dom einweihte, war der erste Erzbischof, der im Dom bestattet wurde. Das älteste Denkmal erhielt Siegfried III. von Eppstein; es stellt ihn inmitten der Könige Heinrich Raspe und Wilhelm von Holland dar, mit denen er die Hohenstaufen bekämpfte. Peter Aspelt steht in dreister Größe zwischen den drei kleinen Königen, die er krönte: Heinrich von Luxemburg, Ludwig dem Bayer und Johann von Böhmen. Von ihm wird erzählt, daß er, der ehemalige Leibarzt der Grafen von Luxemburg und König Rudolfs, als Bischof von Basel nach Rom geschickt wurde, um Balduin von Luxemburg zum Erzbischof von Mainz zu empfehlen, daß aber der Papst, den er von einer Krankheit heilte, ihm selber das Erzstift gegeben habe, weswegen er, um die Luxemburger zu entschädigen, dem Grafen Heinrich die Königskrone verschaffte. Wir gehen vorüber an Johann von Nassau, der, klein von Gestalt und groß an Ränken und Listen, beschuldigt wurde, die Ermordung des beliebten Friedrich von Braunschweig, der sich um die Königskrone bewarb, veranlaßt zu haben, und der zum allgemeinen Befremden im Harnisch am Konzil zu Konstanz erschien; an Diether von Isenburg, dem Verderber der Stadt, an Berthold von Henneberg, dem klugen und energischen Gegner Maximilians, des liebenswürdigsten der Kaiser, an Albrecht von Brandenburg, dessen Züge wir aus dem Porträt Dürers kennen. Dann kommen die glänzenden Herren des Barock und Rokoko, Joh. Phil, von Schönborn, der Freund und Vertraute Spees, der, von ihm belehrt, in seinem Lande den Hexenprozessen ein Ende machte, der Leibnitz ehrte, Mainz die neue Befestigung und ein Waisenhaus schenkte, dessen Verdienst aber sein Bündnis mit Frankreich verdunkelt; Phil. Karl von Eltz, der das neue Zeughaus erbaute, Friedrich Karl von Ostein, der die durch elegante Pracht ausgezeichnete neue Peterskirche einweihte. Es fehlt der letzte Kurfürst, Friedrich Karl von Erthal, der die französische Revolution und den Untergang des alten Mainz erlebte.
Damals wurde auch das äußere Antlitz der Stadt entscheidend verändert, das, so oft durch Feuer des Himmels und Wut der Menschen verwüstet, sich doch immer in einer Art verjüngte, die in das alte Bild, es vollendend, hineinwuchs. Wie viele für das Stadtbild bestimmende Kirchen sind verschwunden! Das uralte St. Albansstift zerstörte Markgraf Albrecht von Brandenburg zur Zeit des Schmalkaldischen Krieges, als er in Abwesenheit des Kurfürsten in die unverteidigte Stadt eindrang. Dort war Fastrada, die allzugeliebte Frau Karls des Großen