Im Alten Reich. Ricarda Huch
lange bewahrten; vielleicht beschränkte auch das seine Entwicklungsfähigkeit. Man muß jetzt ein peinliches Stück Bahnhofsvorstadt überwinden, bis man zum alten Friedberg vordringt; hat man aber einmal die Breite Straße erreicht, fühlt man sich umfangen von einer wie eine Kindheitserinnerung lieben Welt. Da stehen sie dicht aneinandergedrängt, die spitzen Giebel der Straße zugewendet, die Bürgerhäuser, meist mit Schiefer gedeckt, keins wie das andere, obwohl von gleichem Stil, eins schmaler, eins stattlicher, eins geschmückter, eins breitspuriger, alle noch von der mäßigen Größe, daß man sie als zweites, weiteres Kleid der Familie betrachten kann, die sie bewohnt. Von den alten Gasthäusern – dem Ochsen, dem Schwan, den drei Schwertern – wo die Fürsten und Herren abstiegen, sind noch mehrere erhalten; aber es fehlen die Brunnen, über deren Tiefe die Kommission des Reichskammergerichts klagte, ohne ihre Wohlgestalt zu beachten. Nahe der Burg steht das barocke Rathaus mit dem gekrönten Doppeladler, das um 1738 an der Stelle des alten erstand; gegenüber lag das Haus zum Ritter, das der Familie Goethe gehörte. Nachdem am Ende des 16. Jahrhunderts ein Thilemann Goethe Syndikus der Burg gewesen war, tauchte der uns teure Name im 18. Jahrhundert wieder auf, als Johann Christian Goethe, ein Vetter vom Vater des Dichters, jenes Haus kaufte. Er und seine Frau starben in zerrütteten Vermögensverhältnissen, und das Haus zum Ritter wurde dann verkauft. Nicht nur steht Friedberg durch den Namen Goethe zu Frankfurt in Beziehung, sondern es hat einen bedeutenden Schatz bürgerlicher Tüchtigkeit an die glücklichere Schwesterstadt abgegeben. Die Grunelius, die Zickewolf, die Frank von Lichtenstein, die Senkenberg, Weisel und Lotichius, bekannte Frankfurter Familien, sind meist im 17. Jahrhundert aus Friedberg eingewandert. Die Zickewolf haben von 1501-1712 sechzehnmal das Bürgermeisteramt in Friedberg bekleidet, auch die Grunelius und Senkenberg einige Male.
Auf der Freiheit vor der Burg stand einst die Katharinenkapelle, von welcher aus zum letztenmal mit den Waffen um die Freiheit der Stadt gekämpft worden war. Dann steht man vor dem von zwei Türmen flankierten südlichen Tore der Burg; unter den Spitzbogen des Durchgangs prangt der Reichsadler mit dem Burgwappen, darunter ist ein aus einem jetzt abgebrochenen Turme stammender Stein angebracht mit der Inschrift: frid sy by üch. 1493. Eine andere Welt, als draußen war, umgibt uns jenseits des Tores, stolz und machtbewußt, wenn auch mit der neuen Zeit allerhand ausdruckslose Nutzbauten und Anstalten eingedrungen sind. Die Wachthäuser und das Schloß stammen zum Teil aus der Barockzeit; barock ist auch der wundervolle St. Georgsbrunnen, den die Kastanien zur Blütezeit feierlich wie gestirnte Globen umgeben. Der mittelalterliche Heilige in Harnisch und Helm und flatterndem Gewand hebt seine Lanze gegen den sich aufbäumenden Lindwurm, seiner anmutigen Hoheit bewußt und seines Sieges sicher. Den steinernen Rand des eckigen Brunnenbeckens schmücken die Wappen von Burgmannen: von Bettendorf mit den Brömser von Rüdesheim geviertet, Rau von Holzhausen, Diede zum Fürstenstein, von Ingelheim, Kämmerer von Worms, genannt von Dalberg, von Breidenbach, genannt von Breidenstein, von Stockheim, von Weitelshausen, genannt von Schrautenbach, Löw von und zu Steinfurt, von Frankenstein. Das sehr alte Geschlecht Löw zu Steinfurt hatte fünf Burggrafen gestellt, und die letzten überlebenden Burgmannen waren zwei Löw zu Steinfurt. Auch ihr Haus mit ihrem Wappen, dem silbernen Kranich im blauen Felde, ist mit ein paar anderen Burgmannenhäusern, schlichten Fachwerkbauten, noch vorhanden. An Stelle der alten Georgskirche steht die nüchterne neue Burgkirche aus dem Anfang des neunzehnten Jahrhunderts mit dem Wappen des vorletzten Burggrafen, Grafen Wallbott von Bassenheim. Ein paar alte, zum Teil zertrümmerte Grabsteine aus der abgebrochenen Kirche, auf deren einem noch der Name Schelm von Bergen sich entziffern läßt, stehen jetzt auf dem Burggraben, von wo der Blick aus diesem festumzirkten Raume in die Weite schweift, bis ihn der Taunus und der ferne Vogelsberg festhalten. Jenseits des nördlichen Tores wendet sich die Straße im Bogen schluchtartig abwärts nach der Stadt zurück durch eine Wildnis von Grün, das sich ungestüm in die alten Gräben stürzt, unter den basaltenen Felsen, auf die schon die Römer bauten. Die starken Befestigungen, mit denen sich die Ritter gegen die Außenwelt sicherten, sind gefallen wie auch die der Stadt; wo nicht neues Menschenwerk sie hemmt, dringt Natur urkräftig ein, um das Alte zu verschlingen.
Limburg
Limpurg ein edle Stad
Im Land die schönste Kirche had.
Glorreich thront sie verschmolzen mit der Burg, ein vollendetes Menschenwerk zwischen den Elementen; dienend trägt sie der Fels, schützend umrauscht sie der Strom, Winde und Gestirne kränzen sie. Von der alten steinernen Lahnbrücke hinaufblickend, nimmt das Auge sie auf wie Musik: der Stein wird Mauer, die Mauer wird Gestalt, die Gestalt Harmonie. Die sieben Türme der Kathedrale sollen die sieben Sakramente bedeuten; der große Turm über der Vierung, heißt es, stelle den Mittelpunkt des Glaubens, das Sakrament des Abendmahls dar. So schweben die ewigen Mysterien des Lebens als ein triumphierender Akkord zwischen Himmel und Erde.
Über zwei untergegangenen Kirchen erhebt sich der Dom als die dritte, die Burg, wie die Sage will, über den Trümmern eines römischen, von Drusus errichteten Kastells. Die Grafen des Niederlahngaus, die die Burg bewohnten, waren die jeweiligen Gründer der Kirchen, von denen die erste in der ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts durch den Erzbischof Hatto von Trier dem heiligen Georg geweiht wurde. Die zweite gründete hundert Jahre später, mit einem Stift sie verbindend, der Gaugraf Konrad Kurzbold, dessen Grabmal der Dom bewahrt. Es ist so außerordentlich schön, daß man, indem man es betrachtet, den Dom für einen Schrein halten möchte, aufgebaut, um diese Reliquie einzufassen. Die steinerne Bahre, auf der der Tote liegt, ist von leichter Anmut, dem Jugendbild angemessen, das sie trägt. Das Antlitz des Gaugrafen ist schmal und hat einen strengen, fast asketischen Zug bei aller Lieblichkeit; das Antlitz eines vornehmen Jünglings, der um hoher Ziele willen nicht ohne Schmerz und Selbstüberwindung viel verzichtet hat.
Aus sehr edlem Geschlechte stammte Kurzbold, denn er war der Vetter Konrads I., der zwischen den Karolingern und den Ludolfingern regierte. Sein Vater hieß Eberhard, seine Mutter Wiltrud. Er genoß nicht nur die Gunst seines königlichen Vetters, sondern auch Ottos I., und verdiente sie durch seine Treue und seine Taten. Für diesen Kaiser kämpfte er gegen die rebellischen Herzöge Eberhard von Franken und Giselbert von Lothringen, bis jener bei Andernach fiel und dieser ertrank. Von Kurzbolds Stärke werden Wunder berichtet; er soll einen Löwen, der aus dem Käfig entsprungen war und auf Kaiser Otto eindrang, mit einem Schwerthieb getötet und einen riesigen Slawen, der ihn herausforderte, mit der Lanze durchbohrt haben. Die Überlieferung, die ihm den Beinamen Sapiens, der Weise, gab, beweist, daß seine Geisteskraft der des Körpers nicht nachstand. Er war unverheiratet und soll Frauen und Äpfel, die süßen Dinge, gemieden haben; es besteht ja der Glaube, daß außerordentliche Kräfte Keuschheit zur Voraussetzung haben. Es ist nicht wahrscheinlich, daß der Gaugraf Kurzbold so ausgesehen hat, wie das Grabmal, ein Werk des 13. Jahrhunderts, ihn aufgefaßt hat; so aber sahen die späteren Generationen ihre Helden, in solcher Form stellte sich ihnen adlige Tugend ihres Volkes dar.
Die dritte Kirche gründete ein Isenburg aus der Familie, die im 12. Jahrhundert das Grafenamt im Niederlahngau hatte, und die vielleicht mit den Konradinern verwandt war. Sie waren Dynasten von Limburg bis zum Ende des 14. Jahrhunderts, die Blütezeit der Stadt hindurch, die neben Kirche und Burg als dritte selbständige Macht entstanden war. Reichsfrei im eigentlichen Sinn war die Stadt allerdings nicht, wenigstens nur zu einem Drittel, während die beiden andern Drittel den Isenburgern unterstanden, so jedoch, daß Mainz und Hessen daran Mitbesitz hatten. Die Landesherrschaft bedeutete indessen durchaus nicht Untertänigkeit; denn mit der hohen Gerichtsbarkeit, die ausschlaggebend war, verhielt es sich so, daß die Isenburger zwar den Blutbann besaßen, die Stadt aber das Urteil fällte, die Dynasten also nur das Urteil der Stadt vollstrecken konnten. Die Stadt hatte ihr eigenes Siegel: drei Türme mit der Umschrift Sigillum civium in Limdurch. Juste judicate. Dicht an die Stadt grenzte das Gebiet der Grafen von Diez, eine Nachbarschaft, aus der sich häufig Streitigkeiten ergaben. Sie wurden endlich dadurch beigelegt, daß die Stadt und die Grafen ein Schutz- und Trutz-Bündnis miteinander abschlossen, wobei die Stadt die Isenburger Grafen, die Grafen von