Die Romantik. Ricarda Huch

Die Romantik - Ricarda Huch


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Handeln sein konnte, im Denken war sie durchaus abhängig. Grade das machte sie zu einer bequemen Frau für Friedrich. Während sie alles Praktische für ihn besorgte, so viel als möglich für ihn arbeitete, ordnete sich ihr Verstand dem seinigen völlig unter, und da ihre weibliche Hingebung keine Grenzen kannte, wurde er der Gott dieser unschönen, aber liebevollen, strebsamen und temperamentvollen Frau, der gegenüber sein Mißtrauen und seine Empfindlichkeit ihn bald verließen. Sich so bedingungslos angebetet zu fühlen, das war es, was ihm immer gefehlt hatte; daß sie ihm das gab, zog ihn hauptsächlich zu ihr hin; bei ihm vertraten allmälig Dankbarkeit, Bequemlichkeit und Gewöhnung die Stelle der Liebe, soweit sie nicht nur Sinnlichkeit war. Es ist begreiflich, daß fast alle Freunde Friedrich's sich von diesem Verhältniß, auf das Dorothea so stolz war, peinlich berührt fühlten. Ja, vielleicht haben Diejenigen nicht Unrecht, die sie späterhin seinen bösen Dämon genannt haben. Denn mit ihrer blinden Unterwürfigkeit konnte sie nichts als seiner Trägheit Vorschub leisten. Sie hatte jene Affenliebe für ihn, die Müttern als Sünde angerechnet wird; es war nicht sein guter Genius, den sie in ihm erkannte und liebte. Das Temperament seines Wesens, seine gemüthliche Kindlichkeit, die olympische Ruhe, die er haben konnte, hätten ihn nach zwei Seiten führen können: zur heiteren Ueberlegenheit des Weisen und Glücklichen oder zur immer stumpfer werdenden Behäbigkeit eines Haremsweibes. Ohne es zu ahnen, trieb ihn Dorothea den bösen Weg abwärts. Sein durch ihre geistige Unterordnung gelähmter Intellekt trat mehr und mehr in den Dienst seiner stärker anschwellenden materiellen Seite. Sie hätte ihn beflügeln sollen und zog ihn, in der Meinung, sein Wohl zu befördern, mit starkem Gewicht zur Erde.

      Wie anders, wie fördernd wirkte Karoline durch die Ueberlegenheit ihres Geistes auf die Männer ein, die ihr nahestanden, obwohl sie nicht weniger thätig und liebevoll war. Man kann sich eines wehmüthigen Lächelns nicht enthalten, wenn man sich erinnert, was für Grundsätze Friedrich in Bezug auf Freundschaft und Liebe hatte. Von keiner andern wollte er etwas wissen, als die auf gegenseitiger Anregung zur Sittlichkeit beruhe. Als Karoline das erste Mal Wilhelm's Antrag zurückgewiesen hatte, tröstete er den betrübten Bruder, indem er ihm rieth, seinerseits sie zu verwerfen und sich dadurch über den Verlust hinwegzusetzen: »Deine Liebe zu ihr war nur Mittel zu einem hohen Zweck, den das Mittel zu zerstören droht. Du hast sie nur gebraucht, und mit Recht wirfst Du sie weg, da sie Dir schädlich wird. Oder weißt Du etwa nicht, daß Du in ihr Dein eigenes Ideal der Größe liebtest?« Und über ihr eigenes brüderliches Verhältniß schrieb er an Wilhelm: »Ich sage Dir aber, daß ich es so mit dir halte, wie Lavater mit Christus, der ihm geradezu erklärt, daß, wenn er ein noch besseres Medium mit Gott findet, er den ersten Platz räumen muß.« Als er Karolinen kennen lernte, entsagte er dem Glück, »aber er beschloß es zu verdienen und Herr über sich selbst zu werden.«

      Jetzt berauschte er sich in dem Genuß, dessen Entbehrung so peinlich an ihm gezehrt hatte. Nun hatte er, was er vor Jahren als das Wünschenswertheste hingestellt: die Liebe zu einem Gegenstande, den Kampf mit Hindernissen und die Freude des erkämpften Gelingens; denn da Dorothea verheirathet war, fehlte es nicht an Widerstand und Schwierigkeit von allen Seiten. Da die »Wuth der Unbefriedigung« gestillt war, wurde er liebenswürdiger, zuversichtlicher, froher. Muthig und stolz sah er in's Leben; niemals vorher hatte er eine so rege und fruchtbare Thätigkeit entfaltet. Bis dahin hatte er mit einer Mühseligkeit gearbeitet, die an einem Menschen, der sich selbst zum Schriftsteller bestimmt, etwas Komisches hat. Das elegante, liebenswürdige Sichausströmen Wilhelm's hatte ihm als Ideal vorgeschwebt, wiewohl er sich halb und halb seiner gediegeneren, körnigeren Eigenart nicht ohne Genugthuung bewußt war. Jetzt glaubte er seines Bruders Geschmeidigkeit mit seiner Kraft und Tiefe vereinigt zu haben. Wirklich vollendete er mehrere Aufsätze ästhetischen Inhalts voll neuer Gesichtspunkte, originaler Ideen, weiter Aussichten. Er lud einmal etwas ab von dem großen Haufen angesammelter Entwürfe.

      Von langer Dauer war indessen dieser Aufschwung nicht. Nachdem der Kampf vorüber war und das Glück gesichert, sank Friedrich tiefer als vorher in seine Trägheit zurück; eine zunehmende Hypochondrie war die Folge. »Wird er aber schwer über den Dingen«, erzählte Dorothea, »oder die Dinge schwer über ihm, das ist nicht zu entscheiden, aber gewiß ist, daß das Leben ihm sauer wird«; und in komischem inneren Conflikt zwischen praktischer Einsicht und mißverstandenem Idealismus: »Friedrich wird das Dichten immer leichter, dafür aber – soll ich leider sagen? – das eigentliche Arbeiten und alles Geschäft immer schwerer.« An Gründen für seine Unthätigkeit fehlte es ihm nie. Nur blitzartig waren die Augenblicke einer so staunenswerthen Selbsterkenntniß, die ihn einmal zu Wilhelm sagen ließ: »Wußtest Du nicht, daß ich den Mangel an innerer Kraft immer durch Pläne ersetze?« Gewöhnlich schob er Alles auf die Ungunst seiner materiellen Lage. Gewiß ist es, daß für jeden Armgeborenen der Kampf um's Dasein desto härter ist, je mehr er einem ideell-geistigen Leben zugethan, und nicht ohne Bitterkeit kann man die äußere Beschränktheit im Leben eines so hochbegabten Menschen mit ansehen. Aber wo blieben in späterer, besserer Zeit die großen Thaten, die kommen sollten, wenn nur einmal das Gespenst des Mangels und der Sorge von der Schwelle verscheucht wäre? Muß man nicht Karolinens klaren Blick bewundern, die sagte: »Denn Manche gedeihen in der Unterdrückung, dahin gehört Friedrich; es würde nur seine beste Eigenthümlichkeit zerstören, wenn er einmal die volle Glorie des Siegers genösse.«

      Seit Karoline und Dorothea neben den Brüdern standen, fing das alte feste Band, durch das sie sich untrennbar vereinigt glaubten. locker zu werden an, und das ist wohl das Traurigste, was sie erleben mußten. Anfänglich war Friedrich, der sechs Jahre jüngere, der unbedingt Aufschauende und Verehrende gewesen, allmälig aber, als der Reichthum und Umfang seines Geistes zur Geltung kam, änderte sich das Verhältniß und Wilhelm empfand ihn als den Stärkeren, den Tonangebenden. In diesem Verkehr einzig war Eitelkeit ganz ausgeschlossen, wo beide gegenseitiger Anerkennung, ja Bewunderung gewiß waren, sich überhaupt als zwei Hälften eines würdigen Ganzen fühlten. Sie wurden inne, wie sie einander ergänzten und wurden nicht müde, es einander zu sagen und sich dieser Blutsfreundschaft und Gemeinsamkeit zu freuen. Sie schwelgten in gemeinsamen Entwürfen und besonders Friedrich war kindlich beseligt, wenn er ihre beiden Namen nebeneinander gedruckt unter ihren brüderlichen Werken lesen konnte. Und diese Einheit und Einigkeit wurde angetastet, nicht durch Feindliches, dessen sie sich hätten erwehren können, sondern durch Frauen, die auch Antheil an ihnen hatten, die ihrem Herzen nahe standen, im Grunde also durch sich selbst. Aber leicht konnten sie von dem Traume ihrer Unüberwindlichkeit im Zusammenwirken nicht lassen. »Ihr seid ein einziges untheilbares Wesen«, schrieb Novalis an Friedrich zu der Zeit, als der Samen der Entzweiung schon gesät war. Mit ängstlicher Besorgniß hielten sie das Kleinod fest, das für sie einen Talisman bedeutete: den Glauben an die innere Nothwendigkeit, den Naturzwang ihrer Liebe. Die romantische Schule selbst ist ein Denkmal dieser Liebe. Der gewichtige Friedrich war der Magnet, der die begabten Freunde anzog, Wilhelm, der Rührige, Helle, Wache, wie Karoline ihn nannte, organisirte sie.

      Hoffnungsvoll stand er am Strande, um auf seligen Inseln ein neues Reich der Poesie zu gründen:

      Verbrüderte Gefährten seh' ich schweben.

       Was schreckte mich, daß ich dahinten bliebe?

       Es leuchten wilde Sterne, droht kein Wetter.

      So leit', o süße Poesie, mein Leben!

       Du Jugend in der Jugend, Lieb' in Liebe,

       Natur in der Natur, Gottheit der Götter!

      Karoline.

       Inhaltsverzeichnis

      Wenn über einen Verstorbenen das Urtheil der Zeitgenossen auseinandergeht, Haß und Liebe wetteifern, sein Bild jedes in seinen Farben auszumalen, dann wünschen wir, alle die widersprechenden Zeugnisse einmal vergessen und anstatt dessen einen Blick in das Antlitz thun und ein Wort aus dem Munde vernehmen zu können, die der Tod ausgelöscht hat, damit wir das Geheimniß der Seele daraus abläsen. Wie war sie denn in Wahrheit, diese Karoline, die der große Schiller Dame Lucifer nannte und die so vielen Andern die Einzige, Unvergleichliche war, die unwiderstehlich Alle anzog, auf die der warme, kluge Blick ihres liebevollen Auges fiel? Wenn wir sie selber fragen könnten, würde sie gewiß stolz


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