Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Gelächter immer lauter und man vernahm die etwas scharfe Stimme Luisens sagen: »Ich versichere Ihnen, daß Sylvia in ihrer Rolle als Dindonnette ein blaues Seidenkleid trug,« während eine andere Kinderstimme hinzufügte: »Allerdings; doch war dasselbe mit weißen Spitzen besetzt.« – Die Luft war heiß; die gerötheten Gesichter schienen ein innerliches Wohlbehagen auszudrücken. Zwei Lakaien schritten um den Tisch und gossen Alicante und Tokajer ein.
Vom Anbeginne des Diners schien Renée zerstreut. Mit einem mechanischen Lächeln kam sie ihren Hausfrauenpflichten nach. Bei jedem neuen Ausbruch der Heiterkeit, der von dem Tischende herüberschallte, an welchem Maxime und Luise saßen, die wie zwei gute Kameraden mit einander scherzten, warf sie einen funkelnden Blick hinüber. Sie langweilte sich; die ernsten Herren waren ihr in der Seele zuwider. Frau von Espanet und Frau Haffner warfen ihr verzweifelte Blicke zu.
»Und wie lassen sich die bevorstehenden Wahlen an?« wandte sich Saccard plötzlich an Herrn Hupel de la Noue.
»Vortrefflich,« erwiderte dieser lächelnd; »nur für mein Departement habe ich noch keinen bestimmten Kandidaten. Es scheint, daß die Regierung noch unentschlossen ist,«
Herr von Mareuil, der Saccard mit einem raschen Blick dafür gedankt, daß er diesen Gegenstand zur Sprache gebracht, schien auf glühenden Kohlen zu sitzen. Er erröthete leicht und machte eine verlegene Verbeugung, als sich der Präfekt an ihn wendend, fortfuhr:
»Man hat mir schon wiederholt von Ihnen gesprochen, mein Herr. Ihre ausgedehnten Besitzungen in meinem Departement haben zur Folge, daß Sie sich zahlreicher Freunde rühmen können und man weiß, wie ergeben Sie dem Kaiser sind. Sie haben viele Aussichten für sich.«
»Papa, nicht wahr, die kleine Sylvia verkaufte im Jahre 1849 Zigarretten in Marseille?« rief in diesem Augenblick Maxime vom anderen Tischende herüber.
Und da sich Aristide Saccard den Anschein gab, als hätte er nicht gehört, fügte der junge Mann leiser hinzu:
»Mein Vater hat sie genau gekannt.«
Ersticktes Lachen wurde hörbar. Da aber Herr von Mareuil noch immer lächelte, so bemerkte Haffner gemessenen Tones:
»In der gegenwärtigen Epoche selbstsüchtiger Demokratie ist die Treue und Ergebenheit für den Kaiser die alleinige Tugend, der einzige Patriotismus. Wer den Kaiser liebt, liebt Frankreich. Es würde uns mit besonderer Genugthuung erfüllen, wenn Sie, mein Herr, unser Kollege werden sollten.«
»Herr von Mareuil wird den Sieg ganz zweifellos erringen,« sagte nun auch Herr Toutin-Laroche. »Die großen Vermögen sollten sich ausnahmslos um den Thron schaaren.«
Nun hielt Renée nicht länger an sich. Die Marquise, die ihr gegenüber saß, unterdrückte ein Gähnen. Und als Saccard von Neuem das Wort ergreifen wollte, wandte sie sich zu ihm und sagte mit liebenswürdigem Lächeln:
»Um Gotteswillen, mein Freund, haben Sie Erbarmen mit uns! Lassen Sie doch Ihre häßliche Politik bei Seite.«
Worauf ihr Herr Hupel de la Noue, galant wie nur ein Präfekt, beistimmte und versicherte, daß die Damen Recht hätten. Er begann eine zweideutige Geschichte zu erzählen, die sich in seiner Kreisstadt zugetragen. Die Marquise, Frau Haffner und die anderen Damen lachten laut und herzlich bei gewissen Einzelheiten. Der Präfekt erzählte in sehr pikanter Weise, mit Andeutungen, hielt hier an und betonte dort eine Stelle, was den unschuldigsten Worten einen sehr schlüpfrigen Anstrich verlieh. Darauf sprach man von dem ersten Empfange der Herzogin, von einer Posse, die gestern zur Darstellung gelangt war, über den Tod eines Dichters und die letzten Herbstrennen. Herr Toutin-Laroche, der zu gewissen Stunden auch liebenswürdig sein konnte, verglich die Frauen mit Rosen; in seiner Verwirrung, in die ihn seine Kandidaten-Aussichten gestürzt, fand Herr von Mareuil sogar einige tiefsinnige Worte über die neuen Formen der Hüte. Renée aber blieb zerstreut.
Die Gäste aßen nicht mehr. Ein heißer Wind schien über den Tisch hinweg gefahren zu sein, der die Gläser leerte, das Brod zerbröckelte, die Obstschalen auf den Tellern schwarz anhauchte und die schöne Symmetrie des Geschirrs zerstörte. Welk hingen die Blumen in den großen ziselirten Silbervasen herab. Ermattet vergaßen sich die Gäste einen Augenblick angesichts dieser Ueberreste des Nachtisches, ohne den Muth zu haben, sich zu erheben. Einen Arm auf den Tisch gestützt, halb vornüber gebeugt, hatten fast Alle den hohlen Blick, die unbestimmte Abgespanntheit jener mäßigen und verschämten Trunkenheit der Leute der besseren Gesellschaftsklasse, die sich unmerklich, allmälig berauschen. Man lachte nicht mehr und nur spärlich wurden noch Worte gewechselt. Man hatte viel gegessen und getrunken und dies ließ die dekorirten Herren noch ernster dreinschauen. In der dumpfen, schwülen Luft des Gemaches fühlten die Damen, wie sich ihnen Stirne und Nacken mit feuchtem Schweiß bedeckten. Ernst, ein wenig bleich, als schwindelte es sie, harrten sie des Augenblicks, da man sich in den Salon begeben würde. Frau von Espanet war ganz roth, während die Schultern der Frau Haffner die Farbe des Wachses angenommen hatten. Indessen betrachtete Herr Hupel de la Noue den Griff eines Messers; Herr Toutin-Laroche warf Herrn Haffner noch vereinzelte abgerissene Sätze zu, welche dieser mit einem Nicken des Kopfes entgegennahm und Herr von Mareuil träumte, wobei er Herrn Michelin ansah, der ihm leise zulächelte. Was die hübsche Frau Michelin betraf, so sprach sie schon lange nicht; Hochroth im Gesichte ließ sie eine Hand herabhängen, welche Herr von Saffré unter dem Tafeltuch in der seinigen halten mochte, denn er hatte einen Arm linkisch auf den Rand des Tisches gestützt und dabei waren seine Brauen gerunzelt, seine Stirne in tiefe Falten gelegt, als dächte er über ein schwieriges algebraisches Problem nach. Auch Frau Sidonie hatte gesiegt; die Herren Mignon und Charrier stützten sich mit den Ellenbogen auf den Tisch und ihr zugewendet, schienen sie mit besonderer Genugthuung ihre vertraulichen Mittheilungen entgegenzunehmen; die würdige Dame gestand ihnen, daß sie eine Freundin der Milchwirtschaft sei und sich vor Gespenstern fürchte. Aristide Saccard selbst, der mit halb geschlossenen Augen sich dem behaglichen Gefühl eines Hausherrn hingab, der sich bewußt ist, seinen Gästen in anständiger Weise einen gelinden Rausch beigebracht zu haben, dachte nicht daran, die Tafel zu verlassen; mit achtungsvoller Zärtlichkeit beobachtete er den Baron Gouraud, der schwerfällig, der behaglichen Beschäftigung der Verdauung hingegeben, auf dem weißen Tafeltuch seine rechte Hand ruhen hatte, – die Hand eines sinnlichen Greises, kurz, dick, mit blauen Flecken und rothen Haaren reich besäet.
Mechanisch trank Renée die wenigen Tropfen Tokajer aus, die noch in ihrem Glase geblieben. Siedend stieg ihr das Blut in die Wangen; die kurzen blonden Haare an der Stirne und im Nacken flatterten wie von einem feuchten Hauche bewegt. Ihre Nasenflügel, die Lippen zuckten nervös; ihr Gesicht hatte den Ausdruck eines Kindes, welches ungewässerten Wein getrunken. Wenn ihr angesichts der Dunkelheit des Monceaux-Parkes gut spießbürgerliche Gedanken gekommen waren, so verschwanden dieselben zu dieser Stunde, unter der Aufregung, hervorgerufen durch die Gerüchte, den Wein, das blendende Licht, die betäubende Atmosphäre, inmitten dieses sinnverwirrenden Getriebes, welches den Athem heißer, das Blut rascher kreisen machte. Sie tauschte kein ruhiges Lächeln mehr mit ihrer Schwester Christine und ihrer Tante Elisabeth, die sich bescheiden und schüchtern verhielten und kaum zu sprechen wagten. Durch einen harten Blick hatte sie den armen Mussy gezwungen, die Augen niederzuschlagen. Obschon sie es jetzt vermied, sich umzuwenden und sich gegen die Lehne ihres Stuhles stemmte, was ein leises Knistern ihres seidenen Mieders zur Folge hatte, so erschauerten trotz ihrer scheinbaren Zerstreutheit ihre Schultern leise, so oft ein neuer Heiterkeitsausbruch von der Ecke her ertönte, an welcher sich Maxime und Luise inmitten der immer allgemeiner werdenden Stille noch immer laut genug unterhielten.
Und hinter ihr, halb vom Schatten verdeckt, stand die den in Unordnung gerathenen Tisch und die ermatteten Gäste hoch überragende Gestalt Baptiste's mit unbewegtem, bleichem Gesicht, ernster Miene und der verächtlichen Haltung eines Lakaien, der seine Gebieter gemästet hat. In der von Trunkenheit schweren Atmosphäre, unter dem grellen Lichte der Kronleuchter behielt er allein sein korrektes Aussehen bei, mit seiner silbernen Kette um den Hals, seinen kalten Augen, denen der Anblick der nackten Schultern der Frauen keinen wärmeren Strahl entlockte. Er glich einem Eunuchen, der den verlotterten Parisern des zweiten Kaiserreiches aufwartete und dabei nichts von seiner Würde verlor.
Endlich stand Renée mit einer nervösen Bewegung