Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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der Weltdame verriethen heftige Begierden. Sie drückte die Lider nicht mehr zu, scharf trat die Falte auf ihrer Stirne hervor; ihre Oberlippe schob sich gleich der eines schmollenden Kindes begehrlich vor, unbekannte Genüsse heischend. Sie sah das Lachen ihres Begleiters, war aber schon zu erregt, um noch an sich halten zu können; halb liegend, den wiegenden Bewegungen des Wagens folgend, fuhr sie in kurzen, abgebrochenen Sätzen fort:

      »Ja, ja, Ihr seid zum Sterben langweilig ... Auf Dich, Maxime, hat Dies keinen Bezug, Du bist noch zu jung ... Doch wenn ich Dir berichten wollte, wie lästig mir Aristide im Anfange war! Und erst die Anderen! Jene, die mich geliebt haben ... Du weißt, wir sind zwei gute Kameraden; Dir gegenüber thue ich mir keinen Zwang an ... Nun denn, es ist wahr, ich habe Tage, da ich es derart müde bin, das Leben einer reichen, geliebten, respektirten Frau zu führen, daß ich eine Laura d'Aurigny, eine dieser Damen zu sein wünschte, die ein förmliches Junggesellenleben führen.«

      Und da Maxime noch lauter lachte, fügte sie hinzu: »Ja, eine Laura d'Aurigny. Das muß weniger langweilig, weniger gleichmäßig sein.«

      Sie schwieg eine Weile, als vergegenwärtigte sie sich das Leben, welches sie führen würde, wenn sie Laura wäre. Sodann nahm sie entmuthigten Tones von neuem auf:

      »Uebrigens mögen auch diese Damen ihre Stunden des Ueberdrusses haben, – auch sie. Nichts ist kurzweilig. Es ist zum Verzweifeln ... Ich sagte allerdings, ich wünschte etwas Anderes; Du verstehst vielleicht, ich selbst errathe es nicht; etwas Anderes, was noch Niemandem widerfuhr, was man nicht alle Tage antrifft, was einen seltenen, einen unbekannten Genuß böte ...«

      Sie hatte immer langsamer gesprochen und die letzten Worte wie in tiefes Sinnen versunken geäußert. Der Wagen rollte durch die Allee, die nach dem Ausgang des Bois führte. Die Schatten wurden immer länger; gleich einer grauen Mauer glitten zu beiden Seiten die Hecken dahin; die gelb gestrichenen Stühle, auf welche sich an schönen Abenden die feiernden Bürgersleute niederlassen, standen leer längs des Fußweges, in die schwarze Melancholie der Gartenmöbel versunken, welche vom Winter überrascht werden und das Rollen, das dumpfe, gleichmäßige Geräusch der heimkehrenden Wagen klang gleich einer traurigen Klage durch die einsame Allee.

      Gewiß war sich Maxime bewußt, wie unziemlich es war, das Leben heiter zu finden. Wenn er auch noch jung genug war, um sich einer glücklichen Begeisterung zu überlassen, so war sein Egoismus doch entwickelt, seine Gleichgiltigkeit groß genug, sein Wesen von wirklichem Ueberdruß genügend erfüllt, um sich auch für übersättigt, für blasirt zu erklären. Gemeinhin legte er dieses Geständniß mit einiger Ruhmredigkeit ab.

      Er streckte sich gleich Renée aus und schlug einen schmerzlichen Ton an, als er sagte:

      »Ja, Du hast Recht; es ist abscheulich ... Auch ich amüsire mich nicht mehr als Du; auch ich habe häufig an etwas Anderes gedacht ... Nichts ist dümmer als das Reisen. Geld erwerben? Da ziehe ich noch vor, solches auszugeben, obschon dies auch nicht immer so kurzweilig ist, wie man anfänglich glaubt. Lieben, geliebt werden, – das hat man bald satt, nicht wahr? ... Ach ja, das hat man sehr bald satt!«

      Die junge Frau gab keine Antwort und er fügte hinzu, in der Absicht, durch eine Gottlosigkeit ihr Staunen zu erregen:

      »Ich möchte von einer Nonne geliebt werden. Das wäre vielleicht drollig genug ... Hast Du niemals davon geträumt, einen Mann zu lieben, an den Du nicht denken könntest, ohne ein Verbrechen zu begehen?«

      Sie aber verharrte in düsterem Schweigen und da sie ihm keine Antwort gab, so glaubte Maxime, sie höre ihm nicht zu. Sie lehnte den Nacken gegen den gepolsterten Rand der Rückenlehne und schien mit offenen Augen zu träumen. Willenlos sann sie nach, den Träumen preisgegeben, die sie in ihrem Banne hielten und von Zeit zu Zeit erzitterten ihre Lippen nervös. Der Schatten der Abenddämmerung hielt sie weich umflossen; Alles, was diese Schatten an unbestimmter Traurigkeit, an uneingestandener Hoffnung und geheimer Wollust enthielten, bemächtigte sich ihrer und umgab sie mit einer erschlaffenden, schweren Atmosphäre. Während sie starr auf den runden Rücken des auf dem Bocke sitzenden Kammerdieners blickte, dachte sie an die Genüsse des gestrigen Tages, an diese Festlichkeiten, die ihr so inhaltslos dünkten und von denen sie nichts mehr wissen wollte. Ihr vergangenes Leben zog an ihr vorüber, die sofortige Befriedigung ihrer Wünsche, die bis zum Ekel gesteigerte Pracht, die ertödtende Gleichmäßigkeit der gleichen Zärtlichkeiten und desselben Verraths. Sodann tauchte gleich einer Hoffnung, von dem leisen Schauer des Begehrens begleitet, der Gedanke an dieses »Andere« auf in ihr, – dieses Andere, welchem ihr Geist keine Form zu geben vermochte. Bei diesem Punkte verwirrten sich ihre Träume. Sie erschöpfte sich in Anstrengungen, – doch immer wieder entschwand ihr das gesuchte Wort in der sinkenden Nacht, verlor sich in dem unablässigen Wagenrollen. Das weiche Wiegen der Kalesche vermehrte noch das Zögern, welches sie hinderte, ihr Verlangen in Worte zu kleiden. Und eine unendliche Versuchung stieg aus diesem Chaos auf, aus diesem Rollen der Räder, dieser wiegenden Bewegung des Wagens, welche sie in eine köstliche Betäubung hüllte, aus diesen Hecken und Sträuchern, welche der Abend zu beiden Seiten in dunkle Schatten hüllte. Zahllose kleine Schauer glitten über ihren Leib: unterbrochene Träume, ungenannte Wollust, verworrene Wünsche, – Alles, womit die Rückkehr aus dem Bois bei sinkender Nacht an köstlichen und ungeheuerlichen Empfindungen das übersättigte Herz einer Frau zu erfüllen vermag. Sie hatte beide Hände in das weiche Bärenfell vergraben und es war ihr sehr heiß unter dem Paletot aus weißem Tuch mit den grauen Sammtaufschlägen. Sie streckte einen Fuß aus, um sich behaglicher zu dehnen und dabei streifte ihr Knöchel das warme Bein Maxime's, der die Berührung gar nicht beachtete. Ein unerwarteter Stoß des Wagens riß sie aus ihrem Halbschlummer. Sie hob den Kopf empor und blickte den in voller Eleganz da liegenden jungen Mann eigenthümlich aus ihren grauen Augen an.

      In diesem Augenblick verließ die Equipage das Bois. Die Avenue de l'Imperatrice dehnte sich schnurgerade in der Dämmerung hin; zu ihren beiden Seiten erstreckten sich die grün gestrichenen Holzbarrieren, die in weiter Ferne zu einem Punkte zusammenzufließen schienen. In der für Reiter bestimmten Seitenallee wurde ein weißes Pferd sichtbar, welches sich gleich einem lichten Fleck von den grauen Schatten abhob. Auf der anderen Seite, längs der Fahrstraße schritten verspätete Spaziergänger, Gruppen schwarzer Punkte vergleichbar, gemächlich der Stadt zu. Und ganz am Ende dieses Gewimmels von Menschen, Wagen und Pferden hob sich der schief gestellte Arc-de-Triumphe weiß vom schwarzen Nachthimmel ab.

      Während der Wagen in rascherem Trabe dahinfuhr, betrachtete Maxime, dem der englische Anstrich des Bildes gefiel, rechts und links die niedlichen, bizarr erbauten und mit kleinen Vorgärten versehenen Hotels, die sich zu beiden Seiten der Avenue erhoben, während Renée sinnend die Gasflammen des Place de I'Etoile sich entzünden sah, die nach einander am Horizonte sichtbar wurden und in dem Maße, wie die flackernden Lichtblitze das Dunkel des sinkenden Tages durchbrachen glaubte sie geheime Stimmen zu vernehmen, schien es ihr, als erglänze dieses verführerische Paris für sie, als bereite es für sie die unbekannten Genüsse vor, nach welchen es sie verlangte.

      Die Equipage schlug die Avenue de la Reine-Hortense ein und hielt am Ende der Rue Monceaux, einige Schritte vom Boulevard Malesherbes entfernt, vor einem zwischen Hof und Garten gelegenen großen Hotel. Die mit vergoldeten Verzierungen versehenen Flügel der Gitterthür, die in den Hof führte, waren zu beiden Seiten von je zwei Laternen flankirt, die die Form einer Urne hatten, gleicherweise mit goldenen Verzierungen beladen waren und in welchen mächtige Gasflammen brannten. Seitwärts von der Gitterthür hatte der Thorwart einen eleganten Pavillon inne, der an einen kleinen griechischen Tempel erinnerte.

      Als der Wagen in den Hof rollen wollte, sprang Maxime leicht zur Erde.

      »Du weißt,« sagte Renée, ihn an der Hand zurückhaltend, »daß wir um halb acht Uhr zu Tische gehen. Du hast also mehr als eine Stunde für's Umkleiden. Laß nicht auf Dich warten.«

      Und mit einem Lächeln fügte sie hinzu:

      »Wir haben die Mareuils zu Gast ... Dein Vater wünscht, Du mögest Luisen gegenüber sehr galant sein.«

      Maxime zuckte die Achseln.

      »Das ist Frohndienst!« murmelte er ärgerlichen Tones. »Ich bin ja bereit, sie zu heirathen; doch ihr


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