Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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wirst begreifen ... ich habe nichts gesagt ... Um so schlimmer für ihn! ... Wir sind ihn los; ich habe recht getan.

      Dies rohe Aufrichtigkeit mißfiel Felicité. Aristide hatte jetzt auch seinen Toten, wie sein Vater und wie seine Mutter. Sicherlich würde er nicht mit solcher Offenheit gestanden haben, daß er in der Vorstadt herumgelungert und die Ermordung seines Vetters habe geschehen lassen, wenn nicht die Weine des Hotel de Provence und die Träume, die er auf seine baldige Ankunft in Paris baute, ihn seine gewohnte Verschlagenheit hätten vergessen lassen. Als er den Satz gesprochen hatte, wiegte er sich in seinem Sessel.

       Peter, der aus der Ferne die Unterredung seiner Frau und seines Sohnes sah, begriff und wechselte mit ihnen einen Blick des Einverständnisses, in welchem er um Stillschweigen bat. Es war gleichsam ein letzter Hauch des Schreckens unter den Rougon inmitten der geräuschvollen Freude dieser Tafel. Als Felicité an ihren Platz zurückkehrte, sah sie auf der anderen Seite der Straße, hinter einer Fensterscheibe eine Wachskerze brennen; es war die Nachtwache an der Leiche des Herrn Peirotte, die man am Morgen von Sainte-Roure gebracht hatte. Sie setzte sich und hatte das Gefühl, als werde diese Kerze ihr den Rücken brennen. Doch neues Lachen erklang; der Nachtisch erschien und ward mit Ausrufen der Begeisterung begrüßt.

      Zur nämlichen Stunde zitterte noch die ganze Vorstadt unter dem Eindrucke des blutigen Ereignisses im Saint-Mittre-Felde. Der Rückmarsch der Truppen nach dem Gemetzel in der Ebene von Nores ward durch grausame Akte der Rachevergeltung gekennzeichnet. Männer wurden hinter einer Mauer mit Kolbenschlägen niedergemacht, andere wurden in den Straßengräben von den Gendarmen erschossen. Um überall Schrecken zu verbreiten, streuten die Soldaten Leichen auf der Heerstraße aus. Man hätte ihnen auf den blutigen Spuren folgen können, die sie zurückließen. Es war ein langes Würgen. Bei jeder Rast wurden einige Aufständische ermordet, zwei in Sainte-Roure, drei in Orchères, einer in Béage. Als die Truppe in Plassans auf der Straße nach Nizza lagerte, wurde beschlossen, noch einen Gefangenen, den am meisten schuldigen, zu erschießen. Die Sieger fanden es für gut, dieses neue Opfer hinter sich zurückzulassen, um der Stadt Achtung vor dem neuen Kaiserreich einzuflößen. Aber die Soldaten waren des Mordens schon müde; keiner meldete sich zu dieser traurigen Verrichtung. Die Gefangenen, die man zwei und zwei an den Handgelenken zusammengebunden, auf die Balken des Zimmerplatzes wie auf ein Feldbett geworfen hatte, hörten mit ergebenem Stumpfsinn alles an und harrten ihres Schicksals.

      In diesem Augenblicke drängte sich der Gendarm Rengade durch die Menge der Neugierigen. Kaum hatte er erfahren, daß die Truppe mit mehreren hundert Gefangenen zurückkehrte, als er vom Fieberfrost geschüttelt, in der bösen Dezemberkälte sein Leben aufs Spiel setzend, sich erhob. Draußen brach seine Wunde wieder auf; die Binde, die seine leere Augenhöhle verbarg, färbte sich mit Blut, das in dünnen Fäden auch auf seine Wangen und seinen Schnurrbart herunter rann. Greulich in seinem stummen Zorne und mit seinem bleichen Gesichte, das ein blutiges Linnen einhüllte, eilte er herbei, um jedem Gefangenen lange ins Gesicht zu schauen. So schritt er die Balkenhaufen ab, sich bückend, bald da, bald dort erscheinend und durch sein plötzliches Auftauchen selbst die Stumpfsinnigsten in Schrecken versetzend. Plötzlich rief er aus:

      Ha, der Bandit! Ich habe ihn!

      Er hatte Silvère bei der Schulter erfaßt. Der Knabe hockte auf einem Balken, mit leblosen Antlitz, mit sanftem, blödem Ausdruck ins Leere, in die fahle Abenddämmerung hinausstarrend. Seit dem Aufbruch von Sainte-Roure hatte er diesen leeren Blick. Auf dem ganzen Wege, während vieler Meilen und als die Soldaten den Marsch durch Kolbenstöße beschleunigten, hatte er sich folgsam wie ein Kind betragen. Mit Staub bedeckt, erschöpft von Durst und Müdigkeit, marschierte er wortlos dahin, wie eines jener gefügigen Tiere, die von der Peitsche der Kuhhirten getrieben, herdenweise dahintrotten. Er dachte an Miette. Er sah sie in die Fahne gehüllt, unter den Bäumen, mit offenen Augen da liegen. Seit drei Tagen sah er nur sie. Und zur Stunde, in den Schatten des zunehmenden Dunkels sah er nur immer noch sie.

      Rengade wandte sich zu dem Offizier, der unter seiner Mannschaft die zum Erschießen notwendigen Leute nicht hatte finden können.

      Dieser Halunke hat mir das Auge ausgestoßen, sagte er zu ihm und zeigte auf Silvère. Überlassen Sie mir ihn, und die Sache ist für Sie abgetan.

      Ohne zu antworten ging der Offizier mit gleichgültiger Miene und mit einer unbestimmten Gebärde weiter. Der Gendarm begriff, daß man ihm den Mann überlasse.

      Auf! Erhebe dich! sagte er, ihn schüttelnd.

      Silvère hatte, gleich allen anderen Gefangenen, einen Genossen an der Fessel. Er war mit dem Arm an einen Bauer aus Poujols namens Mourgue gebunden, an einen Mann von etwa fünfzig Jahren, den die Sonnenhitze und die harte Feldarbeit vertiert hatten. Sein Rücken war schon gekrümmt, seine Hände steif, sein Gesicht gemein; er blinzelte mit den Augen und schaute blöde drein, mit dem eigensinnigen und argwöhnischen Ausdruck der geprügelten Tiere. Mit einer eisernen Gabel bewaffnet war er aufgebrochen, weil das ganze Dorf ging; aber er hätte nicht zu sagen vermocht, weshalb er sich auf den Heerstraßen herumtrieb. Seitdem man ihn zum Gefangenen gemacht, begriff er die Sache noch weniger; er vermutete, man bringe ihn nach Hause. Das Erstaunen darüber, sich gefesselt zu sehen, der Anblick der vielen Leute, die ihn betrachteten, machten ihn noch dümmer. Da er nur die Bauernsprache redete und verstand, konnte er nicht erraten, was der Gendarm wolle. Mühsam erhob er sein dickes Gesicht zu ihm, weil er meinte, daß man ihn um seinen Namen befragte, sagte er mit seiner rauhen Stimme:

      Ich bin von Poujols.

       Ein Gelächter ging durch die Menge; mehrere Stimmen riefen:

      Macht den Bauer los!

      Bah, erwiderte Rengade, je mehr man von diesem Gewürm zertritt, desto besser. Da sie beisammen sind, sollen sie auch beisammen abfahren.

      Es entstand ein Murren in der Menge.

      Der Gendarm mit seinem schrecklichen, blutbefleckten Gesicht wandte sich um und die Neugierigen wichen zurück. Ein säuberlich gekleideter Spießbürger ging weiter, indem er erklärte, er könne nicht zu Mittag essen, wenn er noch länger dableibe. Einige Gassenjungen, die Silvère erkannten, sprachen von dem roten Mädchen. Da kam der Spießbürger noch einmal zurück, um den Liebhaber der Fahnenträgerin besser zu sehen, dieser Kreatur, von welcher in dem Berichte der Zeitung die Rede gewesen.

      Silvère sah nichts und hörte nicht; Rengade mußte ihn am Kragen fassen. Da erhob er sich und zwang so auch den Bauer Mourgue, sich zu erheben.

      Kommt, sagte der Gendarm, wir wollen's kurz machen.

      Jetzt erkannte Silvère den Einäugigen. Er lächelte; er schien zu begreifen. Dann wandte er den Kopf weg. Der Anblick des Einäugigen, seines Schnurrbartes, den das gestockte Blut zu einem unheimlichen, roten Klumpen machte, verursachte ihm tiefes Leid. Er hätte in seinem süßen Dahinbrüten, seinen Gedanken an Miette vergehen wollen. Er vermied es, dem einzigen Auge Rengades zu begegnen, das unter dem bleichen Linnen funkelte. Der junge Mensch wandte sich von selbst nach dem Hintergrunde des Saint-Mittre-Feldes zu dem schmalen Gange zwischen den Bretterhaufen. Mourgue folgte.

      Wüst und trostlos dehnte das Feld unter dem bleichen Himmel sich aus, beleuchtet von einem grellen Widerschein der kupferroten Wolken. Niemals hatte dieses öde Feld, dieser Werkplatz, wo die Balken, wie von der Kälte erstarrt dalagen, einen so trostlosen Anblick langsamen, ergreifenden Dämmerns geboten. Die Gefangenen, die Soldaten, die Menge am Straßensaume: sie verschwanden im Dunkel der Bäume. Das Feld allein, die Eichenbohlen, die Bretterhaufen waren in dem ersterbenden Tageslichte, in verschwommenen Farben sichtbar; das Ganze sah aus wie ein ausgetrocknetes Flußbett. In einem Winkel standen die Sägeböcke beisammen wie Gerüste eines Schafotts. Nichts Lebendes war da als drei Zigeuner, die ihre erschreckten Köpfe aus ihren Karren hervorstreckten: ein Alter, eine Alte und ein großes Mädchen mit krausem Haar, dessen Augen funkelten wie Wolfsaugen.

      Ehe Silvère den schmalen Weg erreichte, blickte er um sich. Er erinnerte sich eines fernen Sonntags, an dem er bei schönem Mondschein den Werkplatz durchschritten hatte. Wie lieblich war es in dem silberhellen Lichte, das die Bohlen entlang herniederfloß! Göttliche Stille senkte sich von dem winterlichen Himmel nieder. In dieser Stille sang die junge Zigeunerin mit dem krausen Haar mit leiser Stimme


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