Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
an unserem Tische eine sehr gute Figur machen. Der Oberst und der Präfekt sind bei Herrn Garçonnet zu Gaste. Er will mir damit zu verstehen geben, daß ich nichts mehr bin. Aber ich mache mir nichts aus seiner Bürgermeisterei; sie bringt ihm nicht einen Sou ein. Er hat mich eingeladen; aber ich werde sagen, daß ich selbst Gäste habe. Sie sollen morgen vor Neid bersten ... Und karge heute nicht, laß alles aus dem Hotel de Provence bringen. Das Essen des Bürgermeisters muß ganz zurücktreten.
Felicité machte sich ans Werk. Peter hatte inmitten seines Entzückens doch eine stille Sorge. Der Staatsstreich sollte seine Schulden bezahlen, sein Sohn Aristide bereute seine Fehler; auch wurde er, Peter, endlich Macquart los. All dies war sehr erfreulich; aber er fürchtete irgendeine Torheit von seiten seines Sohnes Pascal. Auch war er um das Schicksal Silvères besorgt; nicht als ob er ihn im geringsten bedauert hätte; er fürchtete bloß, daß die Sache mit dem Gendarm vor das Strafgericht kommen könne. Ach, wenn eine gescheite Kugel ihn von diesem Schlingel befreit hätte! Wie seine Frau schon am Morgen bemerkt hatte, waren die Hindernisse vor ihm gefallen; diese Familie, die ihn entehrte, hatte im letzten Augenblick an seiner Erhebung gearbeitet. Seine Söhne, Eugen und Aristide, die ihn kahl gegessen hatten und deren Schulgeld er so oft beklagt hatte, bezahlten endlich die Zinsen des Kapitals, das er an ihren Unterricht gewendet hatte. Jetzt mußte der Gedanke an diesen erbärmlichen Silvère ihm diese Stunde des Triumphes verbittern!
Während Felicité sich um die Zurüstungen zu dem Essen kümmerte, erfuhr Peter die Ankunft der Truppe und entschloß sich, Erkundigungen einzuholen. Sicardot, den er bei seiner Rückkehr befragte, wußte nichts; Pascal schien zur Pflege der Verwundeten zurückgeblieben zu Sein, und was Silvère betrifft, so hatte ihn der Major, der ihn nur oberflächlich kannte, nicht gesehen. Rougon begab sich nach der Vorstadt; er wollte bei dieser Gelegenheit Macquart die achthundert Franken geben, die er mit vieler Mühe soeben zusammengescharrt hatte. Doch als er sich unter der lagernden Menge befand, als er aus der Ferne die Gefangenen sah, die in langen Reihen auf den Balken des Saint-Mittre-Feldes saßen, von den Soldaten mit dem Gewehr im Arm bewacht, fürchtete er sich zu kompromittieren und eilte verstohlen zu seiner Mutter, mit der Absicht, die alte Frau um Nachrichten auszusenden.
Als er die Hütte betrat, war es fast vollständige Nacht. Er sah anfänglich nur Macquart, der sich mit Rauchen und Trinken die Zeit vertrieb.
Du bist's? Du kommst gerade recht, sagte Antoine, seinen Bruder wieder duzend. Ich werde hier alt und grau vor Langweile. Hast du das Geld?
Doch Peter antwortete nicht. Er hatte seinen Sohn Pascal wahrgenommen, der über das Bett gebeugt stand. Er befragte ihn lebhaft. Überrascht von dieser Besorgtheit, die er anfänglich der väterlichen Zärtlichkeit zuschrieb, erwiderte der Arzt ruhig, die Soldaten hätten ihn ergriffen und würden ihn erschossen haben ohne die Dazwischenkunft eines wackeren Mannes, den er nicht kenne. Durch seinen Doktortitel gerettet, sei er mit der Truppe zurückgekehrt. Dies war für Rougon eine große Erleichterung. Wieder einer, der ihn nicht kompromittieren wird. Er bekundete seine Freude durch wiederholte Händedrücke, als Pascal mit trauriger Stimme schloß:
Du hast keinen Grund, dich zu freuen, ich finde meine arme Großmutter in einem sehr schlimmen Zustande. Ich habe ihr diesen Karabiner wiedergebracht, der ihr so teuer ist; aber ich habe sie regungslos daliegend gefunden. Schau selbst!
Peters Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Im letzten Scheine des sinkenden Tages sah er Tante Dide tot und starr auf dem Bette liegen. Dieser arme Leib, den seit der Wiege Nervenanfälle unterwühlten, war einer letzten heftigen Krise erlegen. Die Nerven hatten gleichsam das Blut aufgezehrt. Die geheime Arbeit dieses erregten Fleisches, das in später Keuschheit sich selbst verzehrte und erschöpfte, ging zu Ende und machte aus der Unglücklichen einen Leichnam, den nur noch elektrische Zuckungen galvanisierten. Zur Stunde schien ein furchtbarer Schmerz die langsame Auflösung ihres Wesens beschleunigt zu haben. Ihr bleiches Nonnengesicht, dieses Gesicht eines durch das Dunkel und die klösterlichen Entsagungen mürbe gemachten Weibes, färbte sich mit roten Flecken. Mit verzerrtem Gesichte, schrecklich weit offenen Augen, auswärts gekehrten und gekrümmten Händen, lag sie ausgestreckt da in ihren Röcken, die in dürren Linien die Magerkeit ihrer Glieder zeichneten. Die Lippen zusammengekniffen bot sie in dieser dunklen Stube das furchtbare Bild eines stummen Todeskampfes. Rougon machte eine unmutige Gebärde. Dieses ergreifende Schauspiel war ihm sehr unangenehm; er hatte Gäste zum Essen und wäre trostlos gewesen, müßte er traurig sein. Daß seine Mutter doch immer etwas Neues fand, um ihm Verlegenheiten zu bereiten! Sie hätte doch wohl einen andern Tag wählen können. Er nahm denn auch eine ruhige Miene an und sagte:
Es wird nichts sein. Ich habe sie hundertmal so gesehen. Man muß ihr Ruhe gönnen, das ist die einzige Arznei.
Pascal schüttelte den Kopf.
Nein; diese Krise gleicht nicht den anderen, murmelte er. Ich habe sie oft beobachtet und niemals solche Anzeichen wahrgenommen. Betrachte ihre Augen: sie sind von einer seltsamen Flüssigkeit, von einer sehr beunruhigenden Klarheit. Und die Maske! Welch eine furchtbare Verzerrung aller Muskel!
Dann beugte er sich noch mehr vor, prüfte die Züge aus unmittelbarer Nähe und fuhr mit leiser Stimme fort, als spreche er mit sich selbst:
Solche Gesichter habe ich nur bei Ermordeten gesehen, die im größten Entsetzen starben ... Sie muß eine furchtbare Aufregung gehabt haben.
Aber wie ist denn der Anfall gekommen? fragte Rougon ungeduldig, weil er nicht mehr wußte, wie er die Stube verlassen sollte.
Pascal wußte es nicht. Macquart erzählte, indem er sich ein frisches Gläschen einschenkte, daß er Durst gehabt und die Alte um eine Flasche Kognak gesandt habe. Sie war nur kurze Zeit fort gewesen; als sie heimgekehrt, war sie starr und wortlos zu Boden gesunken; er selbst habe sie zum Bett tragen müssen.
Mich wundert, sagte er zum Schlusse, daß sie in ihrem Falle die Flasche nicht zerbrach. Der junge Arzt sann nach. Nach kurzem Stillschweigen fuhr er fort:
Auf dem Wege hierher vernahm ich zwei Schüsse. Vielleicht haben diese Elenden wieder einige Gefangene erschossen. Wenn sie in jenem Augenblicke durch die Reihen der Soldaten schritt, kann der Anblick des Blutes sie in diese Krise gestürzt haben ... Sie muß fürchterlich gelitten haben.
Glücklicherweise hatte er seinen kleinen Rettungskasten, den er seit dem Aufbruch der Aufständischen stets bei sich trug. Er versuchte, einige Tropfen einer rosafarbenen Flüssigkeit der Alten zwischen den zusammengepreßten Zähnen einzuflößen. Inzwischen fragte Macquart seinen Bruder abermals:
Hast du das Geld?
Ja, ich habe es mitgebracht, wir wollen ein Ende machen, erwiderte Rougon, froh über diese Abschweifung.
Als Macquart sah, daß er bezahlt werden solle, begann er zu ächzen. Zu spät hatte er die Folgen seines Verrates erfaßt; sonst würde er eine zwei- und dreifach so große Summe gefordert haben. Er beklagte sich. Wahrhaftig, tausend Franken seien nicht genug. Seine Kinder hätten ihn verlassen, er sei allein in der Welt und müsse fort aus Frankreich. Von der Verbannung redend, brach er schier in Tränen aus.
Wollt Ihr die achthundert Franken? fragte Rougon, den es drängte, dieses Haus zu verlassen.
Nein, wahrhaftig, du mußt das Doppelte geben. Deine Frau hat mich herumgekriegt. Hätte sie mir gerade herausgesagt, was sie von mir erwartete, ich würde mich um so wenig niemals kompromittiert haben.
Rougon legte die achthundert Franken in Gold auf den Tisch hin.
Ich schwöre Euch, daß ich nicht mehr habe, sprach er. Ich werde später an Euch denken. Aber jetzt geht, um Gottes willen! Macht Euch fort noch heute abend! .
Unter halblautem Klagen und Schelten trug Macquart den Tisch zum Fenster, um da, bei dem schwindenden Tageslichte die Goldstücke zu zählen. Er ließ die Münzen auf den Tisch fallen; sie kitzelten ihm wonnig die Fingerspitzen und klangen so hell in der dunklen Stube. Er unterbrach sich einen Augenblick, um zu sagen:
Du hast mir eine Stelle versprechen lassen, vergiß nicht. Ich will nach Frankreich zurückkehren. Eine Feldhüterstelle in einer schönen Gegend, die ich selbst mir wählen würde, wäre mir gerade recht ...
Ja,