Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
beherrschen können. Alle Welt wußte, daß Peter dekoriert worden und daß er ein Amt bekommen solle und dies »verwandelte die Nasen gar seltsam«, wie die alte Frau sich ausdrückte. Dann sagte Roudier: »Dieses schwarze Weib ist denn doch zu hochmütig«. Diese Gesellschaft von Spießbürgern, die über die sterbende Republik hergefallen waren und, einander beobachtend, einander an Fußtritten für die Republik zu überbieten suchten, fand jetzt am Zahltage, es sei nicht recht, daß ihre Wirte allen Ruhm der Schlacht einheimsten. Selbst jene, die aus bloßem Eifer geschrien hatten, ohne von dem erstehenden Kaiserreich etwas zu verlangen, waren arg verdrossen, weil sie sehen mußten, daß dank ihrer Haltung der Ärmste und Schäbigste von allen das rote Bändchen im Knopfloch haben sollte. Wenn noch der ganze gelbe Salon ausgezeichnet worden wäre!
Nichts als ob mir an der Auszeichnung etwas liegt, sagte Roudier zu Granoux, den er in eine Fensternische gezogen hatte. Ich habe sie zur Zeit Louis Philipps zurückgewiesen, als ich Hoflieferant war. Ach, Louis Philipp war ein guter König. Frankreich wird niemals einen gleichen finden!
Roudier war jetzt wieder Orleanist. Dann fügte er mit der schlauen Heuchelei des ehemaligen Schlafmützenhändlers von der Saint-Honoré-Straße hinzu:
Aber, mein lieber Herr Granoux, glauben Sie nicht, daß das Ordensbändchen in Ihrem Knopfloche sich gut ausnehmen wird? Schließlich haben Sie die Stadt ebenso gut gerettet wie Rougon. Man hat gestern in einer Gesellschaft sehr vornehmer Personen nicht glauben wollen, daß Sie mit einem bloßen Hammer einen solchen Heidenlärm machen konnten.
Granoux stammelte Dankesworte und errötend wie eine Jungfrau bei ihrem ersten Liebesgeständnisse, neigte er sich zum Ohre Roudiers und flüsterte:
Sagen Sie niemandem etwas davon, aber ich habe Grund anzunehmen, daß Rougon den Orden für mich verlangen wird. Er ist ein guter Junge.
Der ehemalige Schlafmützenhändler ward sehr ernst und bewies fortan große Höflichkeit. Als Vuillet sich zu ihm gesellte, um mit ihm von der wohlverdienten Belohnung zu sprechen, die ihr Freund empfangen hatte, erwiderte er sehr laut, um von Felicité gehört zu werden, die wenige Schritte von ihm saß, daß Männer wie Rougon, »die Ehrenlegion ehrten«. Alle stimmten dem Buchhändler zu; man hatte ihm am Morgen die förmliche Versicherung gegeben, daß er die Kundschaft des Kollegs wiedererhalten werde, Was Sicardot betrifft, so empfand er erst einigen Ärger darüber, daß er künftig nicht mehr der einzige Dekorierte in der Schar sein werde. Er war der Meinung, daß die Soldaten allein auf das Band der Ehrenlegion Anspruch hätten. Die Tapferkeit Peters überraschte ihn. Doch gutmütig wie er im Grunde war, erwärmte er sich schließlich und rief, daß die Napoleons die Männer von Herz und Mut auszuzeichnen wüßten.
Rougon und Aristide wurden mit Begeisterung empfangen; alle Hände streckten sich ihnen entgegen. Man ging so weit, daß man sie küßte. Angela saß auf dem Sofa, an der Seite ihrer Mutter; sie war glücklich und betrachtete die Tafel mit den gierigen Augen einer starken Esserin, die niemals so viele Schüsseln beisammen gesehen. Aristide näherte sich, und Sicardot beglückwünschte ihn zu dem herrlichen Artikel im »Unabhängigen«. Er schenkte ihm seine Freundschaft wieder. Auf seine väterlichen Fragen erwiderte der junge Mann, es sei sein Wunsch, mit Kind und Kegel nach Paris zu gehen, wo sein Bruder Eugen ihn fördern werde; aber es fehlten ihm dazu fünfhundert Franken. Sicardot versprach ihm dieses Geld; er sah schon im Geiste seine Tochter am Hofe Napoleons III.
Inzwischen hatte Felicité ihrem Gatten einen Wink gegeben. Peter, von seinen Freunden stark umworben und teilnahmvoll wegen seiner Blässe befragt, konnte nur eine Minute loskommen, gerade so lange, um seiner Frau zuzuflüstern, daß er Pascal gefunden habe und daß Macquart noch diese Nacht die Stadt verlassen werde. Indem er noch mehr die Stimme dämpfte, erzählte er ihr von dem Irrsinn seiner Mutter. Dabei legte er den Finger an die Lippen, als wollte er sagen: Kein Wort davon, sonst könnte unser Festabend verdorben werden. Felicité spitzte die Lippen. Sie tauschten einen Blick, in dem sie den gemeinsamen Gedanken lesen konnten: Jetzt wird die Alte sie nicht mehr genieren; man wird die Hütte des Wilderers niederreißen, wie man die Mauern der Krautgärtnerei der Fouque niedergerissen hat, und sie werden künftig die Achtung und die Wertschätzung von Plassans genießen.
Die Gäste betrachteten inzwischen die Tafel. Felicité lud die Herren ein, Platz zu nehmen. Es war ein Augenblick freudigen Wohlbehagens. Als man sich anschickte, zu den Löffeln zu greifen, erhob sich Sicardot, erbat sich einen Augenblick Geduld und sprach in ernstem Tone:
Meine Herren! Ich möchte im Namen der Gesellschaft unserem Wirte sagen, wie glücklich wir sind ob der Belohnungen, welche sein Mut und seine Vaterlandsliebe ihm eingetragen haben. Ich erkenne, daß Rougon eine Eingebung des Himmels hatte, als er in Plassans blieb, während diese Halunken uns auf den Heerstraßen herumschleppten. Darum beglückwünsche ich die Regierung zu ihren Entschließungen ... Lassen Sie mich vollenden ... Sie werden unseren Freunden nachher Ihre guten Wünsche darbringen ... Erfahren Sie, daß unserem Freunde, der zum Ritter der Ehrenlegion ernannt wurde, außerdem noch eine Einnehmerstelle verliehen wurde.
Ein Ruf der Überraschung erklang. Man war nur auf die Verleihung eines kleinen, unbedeutenden Ämtchens gefaßt. Einige verzerrten das Gesicht zu einem Lächeln; doch der Anblick der Tafel ermutigte alle zu den herzlichsten Glückwünschen.
Sicardot erbat sich jetzt von neuem die Aufmerksamkeit der Gesellschaft. Warten Sie, meine Herren, ich bin noch nicht zu Ende ... Nur ein Wort noch ... Wir dürfen hoffen, unseren Freund unter uns zu behalten, nachdem Herr Peirotte mit dem Tode abgegangen.
Während die Gäste Rufe des Erstaunens und der Überraschung vernehmen ließen, fühlte Felicité einen Stich im Herzen. Siccardot hatte ihr den Tod des Einnehmers bereits mitgeteilt; allein, als dieses plötzlichen und furchtbaren Todesfalles zu Beginn dieser Festtafel Erwähnung geschah, fühlte sie gleichsam einen kalten Hauch über ihr Gesicht streichen. Sie erinnerte sich ihres Wunsches; sie hatte diesen Mann getötet. Und jetzt hielten die Gäste beim hellen Geräusche des silbernen Eßgerätes ihr Festmahl. In der Provinz ißt man viel und geräuschvoll. Schon bei den Zwischengerichten sprachen alle Herren zugleich; sie traten die Besiegten mit Füßen, warfen sich gegenseitig Schmeicheleien an den Kopf und machten abfällige Bemerkungen über die Abwesenheit des Marquis. Es sei unmöglich, mit den Adeligen zu verkehren. Roudier ließ schließlich durchblicken, der Marquis habe sich entschuldigen lassen, weil er aus Furcht vor den Aufständischen die Gelbsucht bekommen habe. Bei dem zweiten Gange gab es schon eine wahre Treibjagd. Die Ölhändler und die Mandelhändler retteten Frankreich. Man stieß auf den Ruhm der Familie Rougon an. Granoux war schon sehr rot und begann zu stammeln; Vuillet hingegen war sehr blaß, aber völlig berauscht. Sicardot aber schenkte fortwährend ein, während Angela, die schon zu viel gegessen hatte, sich ein Glas Zuckerwasser nach dem andern zubereitete. Die Freude darüber, gerettet zu sein, nicht mehr zittern zu müssen, sich in diesem gelben Salon wiederzufinden, an dieser reichbestellten Tafel, im hellen Lichte der zwei Armleuchter und des Kronleuchters, den man zum ersten Male ohne seine vom Fliegenschmutz übersäte Decke sah, ließ den Frohsinn und die Torheit dieser Herren alle Zügel schießen. Breit und voll klangen ihre Stimmen in der heißen Luft, bei jeder Schüssel neues Lob verkündend, sich in Komplimenten verlierend und so weit gehend – ein ehemaliger Lohgerber hatte das schöne Wort gefunden – daß das Diner mit einem »wahren Festmahl des Lucullus« verglichen wurde. Peter strahlte; sein breites, blasses Gesicht schwitzte ordentlich vor Triumph. Felicité, wieder mutiger geworden, sagte, sie wollten einstweilen, bis sie ein kleines Haus in der Neustadt erwerben würden, die Wohnung des armen Herrn Peirotte mieten und entwarf auch schon den Plan, wie sie ihre künftigen Möbel in der Wohnung des verstorbenen Einnehmers verteilen werde. Sie hielt ihren Einzug in ihre Tuilerien. In einem Augenblicke, da das Geräusch der Stimmen betäubend wurde, schien eine plötzliche Erinnerung sie zu packen; sie erhob sich und neigte sich zu Aristide mit der Frage:
Was ist's mit Silvère?
Überrascht von dieser Frage fuhr der junge Mann zusammen.
Er ist tot, erwiderte er mit leiser Stimme. Ich war anwesend, als der Gendarm ihn mit einem Pistolenschusse niederstreckte.
Jetzt erbebte Felicité. Sie öffnete den Mund, um ihren Sohn zu fragen, warum er diesen Mord nicht verhindert, die Freilassung des Knaben nicht gefordert habe. Aber sie