Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
mit der geheimen Wonne eines verliebten Weibes, dessen Begierden endlich befriedigt wurden.
Herr von Bleriot und der Oberst Masson kamen allein in die Stadt und ließen die Truppe auf der Lyoner Straße kampieren. Über die Richtung des Marsches der Aufständischen getäuscht, hatten sie erheblich Zeit verloren. Übrigens wußten sie jetzt, daß die Aufständischen in Orchères seien, und wollten sich nur eine Stunde in Plassans aufhalten, um die Bevölkerung zu beruhigen und die grausamen Befehle zu veröffentlichen, welche die Beschlagnahme des Vermögens der Aufständischen verfügten und allen jenen, die mit den Waffen in der Hand ergriffen würden, mit der Todesstrafe drohten. Der Oberst Masson lächelte, als der Kommandant der Nationalgarde die rostigen Riegel von dem römischen Tor unter lautem Knarren zurückschieben ließ. Der Posten gab dem Präfekten und dem Obersten als Ehrenwache das Geleite. Unterwegs über die ganze Promenade Sauvaire erzählte Roudier den Herren von der Heldentat Rougons, von den drei Schreckenstagen, die mit dem glanzvollen Siege der letzten Nacht endeten. Als dann die beiden Gruppen einander gegenüberstanden, schritt Herr von Blériot lebhaft auf den Obmann der Gemeindevertretung zu, drückte ihm die Hände, beglückwünschte ihn und bat ihn, noch bis zur Rückkehr der Behörden über die Stadt zu wachen. Rougon grüßte, während der Präfekt an dem Tore der Präfektur, wo er einen Augenblick ausruhen wollte, mit lauter Stimme versicherte, er werde es nicht unterlassen, in seinem Berichte der schönen und mutigen Haltung Rougons zu gedenken.
Inzwischen stand trotz der schneidenden Kälte die ganze Bevölkerung an den Fenstern. Felicité, die sich soweit vorneigte, daß sie schier hinausfiel, war bleich vor Freude. Soeben war Aristide mit einer Nummer des »Unabhängigen« angekommen, in der er sich rundheraus für den Staatsstreich erklärte, den er als »die Morgenröte der Freiheit in der Ordnung und der Ordnung in der Freiheit« begrüßte. Auch hatte er eine leise Anspielung auf den gelben Salon gemacht, hatte sein Unrecht bekannt und gesagt: »die Jugend sei dünkelhaft, die großen Bürger aber schweigen, überlegen im stillen, lassen die Beschimpfungen über sich ergehen, um sich am Tage des Kampfes in ihrem Heldenmut aufzurichten.« Er war mit dem letzten Satze ganz besonders zufrieden. Seine Mutter fand den Artikel vorzüglich geschrieben. Sie küßte den lieben Sohn und wies ihm zu ihrer Rechten einen Platz an. Der Marquis von Carnavant, der müde der Einsamkeit und von der Neugierde getrieben ebenfalls zu Besuch gekommen war, lehnte sich zu ihrer Linken an das Fenster.
Als Herr von Blériot auf dem Marktplatze Peter die Hand reichte, brach Felicité in Tränen aus.
Ach schau nur, schau! sagte sie zu Aristide. Er hat ihm die Hand gedrückt. Schau, wieder ergreift er seine Hand.
Während sie nach den Fenstern ausblickte, wo die Leute Kopf an Kopf standen, fuhr sie fort:
Wie müssen sie sich ärgern. Schau nur die Frau des Herrn Peirotte: sie beißt ordentlich in ihr Taschentuch. Und dort die Töchter des Notars, und weiterhin Frau Massicot und die Familie Brunet: welche Gesichter! Wie ihre Nasen lang werden! Ach ja, jetzt ist unsere Zeit gekommen! Sie folgte der Szene am Tore der Unterpräfektur mit Wonne; ein Zucken ging durch ihren unruhigen Heuschreckenleib. Sie deutete die geringsten Gebärden; sie erfand die Worte, die sie nicht hören konnte; sie sagte, daß Peter sehr schicklich grüße. Einen Augenblick war sie verdrossen, als der Präfekt das Wort an den armen Granoux richtete, der nach einem Lobe lechzend ihn umkreiste. Ohne Zweifel kannte Herr von Blériot schon die Geschichte mit dem Hammer; der ehemalige Mandelhändler errötete wie ein Mädchen und schien zu sagen, daß er nur seine Pflicht getan habe. Was sie noch mehr ärgerte, war die übergroße Güte ihres Gatten, der Vuillet den Herren vorstellte; allerdings hatte sich Vuillet herangedrängt, und Rougon war gezwungen, ihn zu nennen.
Welch ein Ränkeschmied! brummte Felicité. Überall schleicht er sich ein ... Mein armer Mann muß in arger Verlegenheit sein! ... Jetzt spricht der Oberst mit ihm. Was er ihm wohl sagen mag?
Ei, Kleine, erwiderte der Marquis mit feiner Ironie, er macht ihm Komplimente, weil er die Stadttore so fest hatte schließen lassen.
Mein Vater hat die Stadt gerettet, bemerkte Aristide in trockenem Tone. Haben Sie die Leichen gesehen, mein Herr?
Herr von Carnavant antwortete nicht. Er trat vom Fenster zurück und setzte sich in einen Lehnstuhl, wobei er mit einer Miene des Verdrusses den Kopf schüttelte. Da der Präfekt inzwischen den Platz verlassen hatte, eilte jetzt auch Peter herbei. Er warf sich seiner Frau an den Hals und stammelte:
Ach, Beste! ...
Mehr vermochte er nicht zu sagen. Felicité drängte ihn, daß er auch Aristide umarme; sie erzählte ihm von dem herrlichen Artikel des »Unabhängigen«. Peter würde in seiner tiefen Rührung auch den Marquis auf beide Wangen geküßt haben; allein seine Frau nahm ihn beiseite und gab ihm Eugens Brief, den sie wieder in den Umschlag gesteckt hatte. Sie behauptete, man habe den Brief soeben gebracht. Peter reichte ihn ihr, nachdem er ihn gelesen, mit triumphierender Miene und sagte lachend:
Du bist eine Zauberin. Du hast alles erraten. Welche Dummheit hätte ich ohne dich begangen! Künftig wollen wir unsere Angelegenheiten zusammen erledigen. Küsse mich, du bist eine wackere Frau.
Er schloß sie in seine Arme, während sie mit dem Marquis ein verstohlenes Lächeln tauschte.
Siebentes Kapitel.
Erst am Sonntag, drei Tage nach dem Gemetzel bei Sainte-Roure, zogen die Truppen wieder durch Plassans. Der Präfekt und der Oberst, die Herr Garçonnet zum Essen geladen hatte, kamen allein in die Stadt. Die Soldaten umgingen die Wälle und lagerten sich in der Vorstadt, auf der Nizzaer Straße. Die Nacht senkte sich herab; am Himmel, der seit dem Morgen bewölkt war, zeigte sich ein seltsamer gelber Widerschein, der ein fahles Licht auf die Stadt warf gleich den kupferschimmernden Lichtern bei Gewitterschwüle. Der Empfang seitens der Bürger war ein zurückhaltender; die noch bluttriefenden Soldaten, die müde und stumm in dem schmutzigen Abenddunkel durch die Stadt zogen, widerten die sauberen Kleinbürger an der Promenade Sauvaire an; die Herren wichen zurück und erzählten sich halblaut Schauergeschichten von Erschießungen, grausamen Vergeltungen, deren Erinnerung das Land bewahrt hatte. Es begann der Schrecken, den der Staatsstreich verbreitete, eine wahnsinnige, niederschmetternde Furcht, die den Süden des Landes Monate hindurch zittern ließ. In ihrem Entsetzen und ihrem Haß gegen die Aufständischen hatte die Stadt Plassans die Truppen bei ihrem ersten Durchzug mit Begeisterung aufnehmen können; zu dieser Stunde aber, angesichts dieses Unheil kündenden Regiments, das auf einen Wink seines Befehlshabers feuerte, fragten sich die Rentenbesitzer und selbst die Notare der Neustadt beklommen, ob sie nicht irgendein politisches Vergehen auf dem Gewissen hätten, das sie vor die Gewehrläufe bringen könnte.
Seit gestern waren auch die Behörden wieder da; zwei Wagen hatten sie von Sainte-Roure zurückgebracht. Ihre unerwartete Rückkehr war keineswegs ein Triumphzug. Rougon überließ ohne große Betrübnis dem Bürgermeister seinen Lehnsessel wieder. Der Streich war gelungen; er erwartete mit Ungeduld aus Paris den Lohn für seinen Bürgersinn. Am Sonntag erhielt er von seinem Sohn Eugen einen Brief, den er erst für den nächsten Tag erwartet hatte. Felicité war schon am Donnerstag darauf bedacht gewesen, ihrem Sohne die Nummern der »Zeitung« und des »Unabhängigen« einzusenden, die in einer zweiten Ausgabe die nächtliche Schlacht und die Rückkehr des Präfekten erzählten. Eugen antwortete mit der nächsten Post, daß die Ernennung seines Vaters für eine Einnehmerstelle bevorstehe; aber er wolle ihm sogleich eine gute Nachricht übermitteln: er habe für ihn das Band der Ehrenlegion erlangt. Felicité weinte vor Freude. Ihr Mann dekoriert! In ihren stolzesten Träumen war sie nicht so weit gegangen. Blaß vor Freude sagte Rougon, man müsse noch am selben Tage ein großes Essen geben. Er rechnete nicht mehr; er war bereit, um diesen schönen Tag zu feiern, seine letzten Hundertsousstücke zum Fenster hinauszuwerfen.
Höre, sagte er seiner Frau, du wirst Sicardot einladen; lange genug ärgert er mich schon mit seiner Rosette im Knopfloche. Ferner Granoux und Roudier, denen ich es gern zu verstehen geben möchte, daß ihr Reichtum ihnen niemals zu einer Auszeichnung verhelfen wird. Vuillet ist ein Wucherer; aber der Triumph soll ein vollständiger sein,