Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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vielleicht ein Vermögen auf das Spiel zu setzen.

      Felicité erhob sich.

      Wie Sie wollen, mein Lieber, sprach sie kühl. Sie übersehen wirklich nicht das Gefährliche Ihrer Lage. Sie sind zu mir gekommen und haben mich eine alte Gaunerin genannt; jetzt, da ich so gutmütig bin, Ihnen die Hand zu reichen, um Ihnen aus der Grube zu helfen, in die Sie törichterweise gestürzt sind, machen Sie Umstände und wollen nicht gerettet werden. Gut, bleiben Sie da und warten Sie, bis die Behörden zurückkehren. Ich wasche meine Hände.

      Sie stand schon an der Türe.

      Aber geben Sie mir doch einige Aufklärungen, bat er. Ich kann doch in Unkenntnis der Dinge keinen Handel mit Ihnen abschließen. Ich weiß nicht, was seit zwei Tagen geschehen ist. Kann ich wissen, ob Sie mich nicht betrügen?

      Sie sind ein Einfaltspinsel, sagte Felicité, die dieser Herzensschrei Antoines bewog, von der Schwelle zurückzukommen. Sie taten sehr unrecht, sich nicht blindlings auf unsere Seite zu stellen. Tausend Franken sind eine schöne Summe und man wagt sie nur für eine gewonnene Sache. Ich rate Ihnen, sie anzunehmen.

      Er zögerte noch immer.

      Wenn wir erscheinen, um von dem Rathause Besitz zu ergreifen, wird man uns ruhig einziehen lassen?

      Das weiß ich nicht, erwiderte sie mit einem Lächeln. Es wird vielleicht Flintenschüsse geben.

      Er blickte sie fest an.

      Ei, sagen Sie doch, Mütterchen, fuhr er mit rauher Stimme fort, haben Sie etwa die Absicht, mir eine Kugel in den Kopf senden zu lassen?

      Felicité errötete. Sie dachte in der Tat eben daran, daß eine Kugel, die beim Angriff auf das Rathaus sie von Antoine befreien würde, ihnen einen großen Dienst erweisen würde. Die tausend Franken wären gewonnen. Doch tat sie sehr gekränkt und erwiderte:

      Welcher Einfall! ... Wahrhaftig, es ist unmenschlich, solche Gedanken zu haben.

      Dann fügte sie ruhiger hinzu:

      Nehmen Sie an? ... Sie haben begriffen, nicht wahr?

       Macquart hatte vollkommen begriffen. Was man ihm vorschlug, war ein Hinterhalt. Er begriff die Beweggründe nicht, noch die Folgen, und dies bestimmte ihn zu feilschen. Nachdem er von der Republik wie von einer Geliebten gesprochen, die er zu seinem Leidwesen nicht mehr lieben könne, rückte er mit den Gefahren heraus, die er lief, und forderte schließlich zweitausend Franken. Allein Felicité blieb fest, und sie unterhandelten so lange, bis sie ihm versprochen hatte, daß er bei seiner Rückkehr nach Frankreich eine Stelle erhalten solle, die ihm nichts zu arbeiten gebe und ein schönes Einkommen sichere. Dann erst wurde der Handel abgeschlossen. Sie ließ ihn die mitgebrachte Nationalgardistenuniform anlegen. Er solle sich bei Tante Dide ruhig im Versteck halten und gegen Mitternacht alle Republikaner, die er finden werde, nach dem Marktplatze führen und ihnen versichern, daß das Rathaus verlassen sei und daß es genüge, die Türe zu öffnen, um sich seiner zu bemächtigen. Antoine verlangte Vorschuß und erhielt zweihundert Franken; die übrigen achthundert Franken verpflichtete sie sich am nächsten Tage zu bezahlen. Die Rougon setzten ihr letztes verfügbares Geld ein.

      Als Felicité wieder hinabgegangen war, verweilte sie einen Augenblick auf dem Marktplatze, um Macquart weggehen zu sehen. Er kam, sich schneuzend, ruhig an dem Posten vorüber. Vor seinem Abgang hatte er in dem Arbeitszimmer des Oberbürgermeisters die Oberlichtscheibe zertrümmert, um glauben zu machen, daß er da hinausgeflüchtet sei.

      Es ist abgemacht, sagte Felicité ihrem Gatten, als sie heimgekehrt war. Um Mitternacht wird es geschehen ... Aber mich kümmert es nicht weiter; ich möchte sie alle erschossen sehen. Sie sind gestern in der Straße unbarmherzig genug mit uns umgesprungen.

       Du warst zu gutmütig, daß du noch zögertest; jedermann an unserer Stelle würde so handeln, erwiderte Peter, der sich eben rasierte.

      Diesen Morgen – es war an einem Mittwoch – machte er ganz besonders sorgfältig Toilette. Seine Frau kämmte ihn und ordnete ihm die Halsbinde. Sie drehte ihn hin und her wie ein Kind, das sich zur Schulprüfung schmückt. Als er fertig war, betrachtete sie ihn und erklärte, daß er sehr gut aussehe und er eine sehr gute Figur machen werde inmitten der ernsten Ereignisse, die sich vorbereiteten. Sein breites, fahles Antlitz hatte in der Tat einen Ausdruck großer Würde und heldenhafter Entschlossenheit. Sie gab ihm das Geleite bis zum ersten Stockwerke und erteilte ihm dabei ihre letzten Ratschläge; er solle seine mutige Haltung bewahren, wie groß auch der Schrecken sein werde; die Stadttore müßten fester denn je geschlossen, die Bewohner innerhalb ihrer Wälle der Todesangst überlassen werden, und es wäre ausgezeichnet, wenn er als einziger dastände, der bereit ist, für die Sache der Ordnung zu sterben.

      Welch ein Tag! Die Rougon erzählen heute noch davon, wie von einer ruhmvollen Entscheidungsschlacht. Peter begab sich geradeswegs nach dem Rathause, unbekümmert um die Blicke und Worte, die er unterwegs auffing. Er richtete sich da häuslich ein wie einer, der entschlossen ist, nicht mehr vom Platze zu weichen. Er sandte bloß ein kurzes Schreiben an Roudier, um diesen zu benachrichtigen, daß er wieder an die Spitze der Macht trete. Da er wußte, daß diese wenigen Zeilen in die Öffentlichkeit gelangen würden, schrieb er: Wachen Sie an den Stadttoren; ich will im Innern der Stadt wachen, um Leben und Eigentum zu schützen. In dem Augenblicke, da die bösen Leidenschaften erwachen und überhand zu nehmen drohen, müssen die guten Bürger sie unterdrücken und selbst ihr Leben daran wagen. Der Stil und die orthographischen Fehler verliehen diesem mit antiker Kürze abgefaßten Schreiben einen heldenmütigen Schwung. Kein einziges Mitglied der einstweiligen Kommission erschien. Die zwei letzten Getreuen und Granoux selbst blieben vorsichtigerweise zu Hause. Von dieser Kommission, deren Mitglieder sich in dem Maße verflüchtigten, in welchem der allgemeine Schrecken zunahm, blieb Rougon allein auf seinem Posten, auf seinem Präsidentenstuhl. Er ließ sich nicht herbei, eine Einberufung zu versenden. Er allein genügte. Er bot ein erhabenes Schauspiel, das ein Lokalblatt später mit den Worten kennzeichnete: Der Mut reichte der Pflicht die Hand.

      Den ganzen Vormittag sah man Peter unablässig im Bürgermeisteramte kommen und gehen. Er war ganz allein in diesem großen, leeren Gebäude, dessen Säle von dem Geräusche seiner Schritte lange widerhallten. Übrigens waren alle Türen offen. Inmitten dieser Öde wandelte er wie ein von seinem Rate im Stiche gelassener Präsident einher mit einer von seinem Berufe dermaßen durchdrungenen Miene, daß der Pförtner, als er ihm einige Male auf den Gängen begegnete, ihn überrascht und respektvoll grüßte. Man konnte ihn hinter jedem Fenster sehen und trotz der großen Kälte erschien er wiederholt auf dem Balkon, mit Schriftenbündeln in der Hand wie ein vielbeschäftigter Mann, der wichtige Botschaften erwartet.

      Gegen Mittag durcheilte er die Stadt; er besichtigte die Posten, sprach von der Möglichkeit eines Angriffes, gab zu verstehen, daß die Aufständischen nicht fern seien; doch zähle er auf die Tapferkeit der Nationalgardisten, fügte er hinzu; wenn nötig, müßten sie für die gute Sache sterben bis zum letzten Mann. Als er von diesem Rundgang zurückkehrte, langsam, ernst, mit der Haltung eines Helden, der die Angelegenheiten seines Vaterlandes in Ordnung gebracht hat und nunmehr dem Tode entgegensieht, konnte er auf seinem Wege eine wahrhafte Erstarrung sehen. Die Spaziergänger von der Promenade Sauvaire, die unverbesserlichen kleinen Rentiers, die keine Katastrophe hätte hindern können, zu gewohnter Stunde auf den Straßen Maulaffen feil zu haben, sahen mit verblüffter Miene ihn vorüberziehen, als kennten sie ihn nicht und als könnten sie nicht glauben, daß einer der Ihrigen, ein ehemaliger Ölhändler, den Mut habe, einer ganzen Armee Trotz zu bieten.

      In der Stadt war die Angst auf ihrem Höhepunkte. Von einem Augenblick zum andern erwartete man die Bande der Aufständischen. Die Nachricht von der Flucht Macquarts wurde in einer schrecklichen Weise ausgelegt. Man behauptete, daß er durch seine Freunde, die »Roten«, befreit worden sei und daß er in irgendeinem Winkel die Nacht abwarte, um sich auf die Bewohner zu stürzen und die Stadt an allen vier Enden anzuzünden. Das eingeschlossene Plassans, das völlig den Kopf verloren und innerhalb seiner Mauern verging, wußte nicht mehr, was es erfinden solle, um Furcht zu haben. Angesichts der mutigen Haltung Rougons wurden die Republikaner von einem vorübergehenden Mißtrauen ergriffen. Die Neustadt, die Advokaten und Kaufleute im Ruhestande, die noch gestern gegen den gelben


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