Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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Reihe sehen und ich werde mich glücklich preisen, die Erde von diesem Gewürm zu befreien.«

      Dieser Artikel, in dem die Schwerfälligkeit des Provinzjournalismus unflätige Umschreibungen aneinander reihte, hatte Rougon in die größte Bestürzung versetzt. Als Felicité die Zeitung auf den Tisch hinlegte, murmelte er:

      Ach, der Unglückliche! Er gibt uns den Gnadenstoß; man wird glauben, ich hätte diese Diatribe ihm eingegeben.

      Aber, sagte seine Frau nachdenklich, hast du mir nicht heute morgen angekündigt, daß er sich weigere, die Republikaner anzugreifen? Die Nachrichten sollten ihn erschreckt haben und du behauptest, daß er bleich wäre, wie ein Toter.

      Freilich, ja; ich begreife auch nichts von der Sache. Da ich in ihn drang, ging er so weit, mir Vorwürfe zu machen, weil ich nicht alle Aufständischen getötet hatte. Gestern hätte er seinen Artikel schreiben müssen; heute wird er damit ein Gemetzel über uns bringen.

      Felicité verlor sich völlig in ihrem Erstaunen. Was hat denn diesen Vuillet angefochten? Dieser verdorbene Mesner mit einer Flinte in der Hand und auf den Stadtmauern nach den Aufständischen schießend: das war die drolligste Sache, die man sich vorstellen konnte. Dahinter mußte etwas stecken, das ihr entging. Vuillet verriet da einen frischen Mut und eine Keckheit der Schmähungen, die bewiesen; daß die Aufständischen doch nicht hart vor den Toren der Stadt stehen konnten.

      Das ist ein böser Mensch, ich habe es immer gesagt, fuhr Rougon fort, nachdem er den Artikel noch einmal gelesen. Er hat vielleicht nur uns einen Streich versetzen wollen. Ich war vielleicht zu gut, daß ich ihm die Postverwaltung überließ.

      Dies war ein Lichtblick. Felicité erhob sich hastig wie von einem plötzlichen Gedanken erhellt; sie setzte eine Haube auf und legte einen Schal um ihre Schultern.

      Wohin gehst du? fragte ihr Gatte erstaunt. Neun Uhr ist vorüber.

      Du wirst dich schlafen legen, erwiderte sie einigermaßen rauh. Du bist leidend und mußt ausruhen. Schlafe, bis ich zurückkomme; wenn es nötig ist, werde ich dich wecken und dann wollen wir weiter sprechen.

      Sie verließ mit eiligen Schritten das Haus und begab sich nach dem Postamte. Hier betrat sie plötzlich das Zimmer, wo Vuillet noch arbeitete. Als er ihrer ansichtig ward, machte er eine verdrießliche Gebärde.

      Niemals war Vuillet glücklicher gewesen als in diesen Tagen. Seitdem er mit seinen dünnen Fingern in den Postpaketen wühlen konnte, genoß er die tiefe Wollust des neugierigen Priesters, der sich anschickt, die Geständnisse der Büßerinnen zu hören. Alle listigen Indiskretionen, alle unbestimmten Geschwätze der Sakristeien umsummten seine Ohren. Er näherte seine lange, bleiche Nase den Briefen, betrachtete mit seinen schielenden Augen begierig die Adresse und prüfte die Umschläge, wie die kleinen Abbés in den Seelen der Jungfrauen forschen. Es waren unendliche Freuden und prickelnde Versuchungen. Die tausende Geheimnisse von Plassans waren da; er betastete die Ehre der Frauen, das Vermögen der Männer; er brauchte nur die Siegel zu erbrechen, um ebensoviel davon zu erfahren, wie der Großvikar der Kathedralkirche, der Beichtvater der vornehmen Leute der Stadt. Vuillet gehörte zu jenen furchtbaren, kalten, mörderisch schneidigen Fraubasen, die alles wissen, sich alles sagen lassen und die Gerüchte nur wiedererzählen, um die Leute damit zu töten. Darum hatte er gar oft davon geträumt, den Arm bis zur Schulter in den Briefkasten zu stecken. Für ihn war das Arbeitszimmer des Postverwalters seit dem gestrigen Tage ein großer Beichtstuhl, erfüllt von Schatten und religiösem Geheimnis, wo er schwelgte, indem er die verschleierten Geflüster, die bebenden Geständnisse einsog, die den Briefschaften entströmten. Der Buchhändler betrieb übrigens dieses Geschäft mit vollendeter Schamlosigkeit. Die Krise, die das Land durchmachte, sicherte ihm Straflosigkeit. Wenn einzelne Briefe zu spät kamen, andere in Verlust gerieten, so war es die Schuld dieser republikanischen Räuber, die den Verkehr unsicher machten. Das Schließen der Stadttore hatte ihn einen Augenblick geärgert; allein er hatte sich mit Roudier dahin verständigt, daß die Post eingelassen und mit Umgehung des Bürgermeisteramtes direkt zu ihm gebracht wurde.

      In Wahrheit hatte er nur einige Briefe entsiegelt, und zwar die guten, d. h. die, welche seine Küsterwitterung ihm als solche bezeichnete, deren Inhalt vor allen anderen Leuten zu erfahren von Nutzen sein könne. Er hatte sich dann damit begnügt, bis zu späterer Verteilung die Briefe in einem Schubfache zurückzubehalten, welche die Leute beunruhigen und ihm das Verdienst rauben könnten, Mut zu haben, während die ganze Stadt zitterte. Dieser fromme Herr hatte mit dem Eintritt in die Postverwaltung die Lage in seltsamer Weise erfaßt.

      Als Madame Rougon eintrat, traf er eben seine Auswahl in einem großen Haufen von Briefen und Zeitungen, ohne Zweifel unter dem Vorwande, sie ordnen und einteilen zu wollen.

      Er erhob sich mit seinem untertänigen Lächeln und schob einen Sessel näher; seine geröteten Augenlider zuckten in beängstigender Weise. Allein Felicité setzte sich nicht.

      Ich will den Brief haben! sprach sie in schroffem Tone.

      Vuillet riß die Augen auf und spielte den Unschuldigen.

      Welchen Brief, liebe Frau? fragte er.

      Den Brief, den Sie heute morgen für meinen Mann erhalten haben ... Rasch, rasch, Herr Vuillet, ich habe Eile.

      Und da er stammelte, daß er nichts wisse, nichts gesehen habe und daß die ganze Sache sehr verwunderlich sei, fuhr Felicité mit leiser Drohung in der Stimme fort:

      Ein Brief aus Paris, von meinem Sohne Eugen; Sie wissen wohl, was ich sagen will, nicht wahr? Ich werde selbst suchen.

      Und sie machte Miene, die verschiedenen Bündel zu ergreifen, die auf dem Pulte lagen. Da beeilte er sich und sagte, er wolle nachsehen; der Dienst sei jetzt notgedrungen so schlecht versehen und es sei immerhin möglich, daß ein Brief da sei. In diesem Falle werde man ihn schon finden. Er selbst schwor, keinen Brief gesehen zu haben. Indem er so sprach, machte er die Runde im Arbeitszimmer und durchstöberte alle Papiere. Dann öffnete er alle Schubfächer und Kasten. Felicité wartete ruhig.

      Meiner Treu, Sie haben recht, da ist ein Brief für Sie, rief er endlich, indem er einige Papiere aus einem Kasten hervorzog. Diese vertrackten Beamten benutzen die Lage, um alles verkehrt zu machen.

      Felicité nahm den Brief und prüfte aufmerksam das Siegel, völlig unbekümmert darum, daß dieser Vorgang für Vuillet verletzend sein müsse. Sie sah deutlich, daß der Umschlag geöffnet war; der Buchhändler, in diesem Geschäfte noch ungeschickt, hatte ein dunkleres Wachs genommen, um den Brief wieder zu versiegeln. Sie schnitt den Umschlag an der Seite auf, um das Siegel unberührt zu lassen, das bei Gelegenheit als Beweismittel dienen konnte. Eugen kündete in wenigen Worten den vollständigen Erfolg des Staatsstreiches an; er stimmte einen Siegesgesang an, Paris war bezwungen, die Provinz rührte sich nicht, und er riet seinen Eltern eine feste Haltung angesichts der teilweisen Erhebung im Süden an. Zum Schlusse sagte er ihnen, ihr Glück sei begründet, wenn sie nicht wankten.

      Frau Rougon schob den Brief in ihre Tasche und setzte sich langsam, wobei sie Vuillet ins Gesicht schaute. Dieser hatte, als sei er sehr beschäftigt, sich fieberhaft wieder an das Aussuchen gemacht.

      Hören Sie mich an, Herr Vuillet, sagte sie ihm.

      Als jener die Ohren spitzte, fuhr sie fort:

      Wir wollen offen miteinander reden. Sie tun unrecht, daß Sie Verrat treiben; es könnte Ihnen ein Unglück zustoßen. Wenn Sie, anstatt Briefe zu erbrechen ...

      Da fuhr er auf und tat beleidigt; doch sie fuhr in ruhigem Tone fort:

      Ich weiß; ich kenne Ihre Schule, Sie werden niemals gestehen. Nur keine überflüssigen Worte ... Welches Interesse können Sie daran haben, dem Staatsstreiche zu dienen?

      Da er noch immer von seiner vollkommenen Ehrenhaftigkeit sprach, verlor sie schließlich die Geduld.

      Halten Sie mich denn für albern? rief sie. Ich habe Ihren Artikel gelesen ... Sie täten besser, sich mit uns zu verständigen.

      Ohne etwas zu gestehen, sagte er jetzt rundheraus, daß er die Kundschaft des Kollegiums haben wolle. Ehemals hatte er der Anstalt klassische Bücher geliefert. Aber man hatte


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