Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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war dort seit zwei Tagen und zwei Nächten eingeschlossen. Er hatte Muße gehabt, seinen Gedanken nachzuhängen. Nachdem er sich ausgeschlafen, galten die ersten Stunden dem Zorne, der ohnmächtigen Wut. Bei dem Gedanken, daß sein Bruder sich in dem Nebenraume befinde, überkam ihn eine Anwandlung, die Türe einzurennen. Er nahm sich vor, ihn mit eigenen Händen zu erwürgen, wenn die Aufständischen kommen würden, ihn zu befreien. Doch als es am Abend zu dunkeln begann, ward er ruhiger und hörte auf, mit wütenden Schritten das Zimmer zu messen. Er sog einen milden Geruch von Behagen ein, der seine Nerven besänftigte. Herr Garçonnet, der sehr reich war und auf sein Äußeres viele Sorgfalt verwendete, hatte diesen Raum in einer sehr eleganten Weise einrichten lassen. Das Sofa war weich und warm; wohlriechende Parfüms, Salben und Seifen zierten die Marmorplatte des Waschtisches, und das matte Tageslicht fiel mit wollüstiger Weiche von der Decke herab gleich dem Schein einer Ampel in einem Schlafzimmer. In dieser scharf duftenden, faden und dumpfen Luft, wie sie in den Ankleidezimmern zu finden ist, schlief Macquart ein, indem er sich dachte, daß diese verrückten Reichen »denn doch ein feines Leben führen«. Er hatte sich mit einer Bettdecke zugedeckt, die man ihm gegeben hatte. Bis zum Morgen wälzte er sich auf dem Sofa herum, Kopf, Rücken und Arme auf die Polster stützend. Als er die Augen öffnete, fiel ein dünner Sonnenstrahl durch den Spalt der Fensterläden herein. Er verließ das behagliche warme Sofa nicht und gab sich seinen Gedanken hin, während er das Zimmer musterte. Er sagte sich, daß er niemals einen so herrlichen Ort besitzen werde, um sich zu waschen. Der Waschtisch interessierte ihn ganz besonders; es sei leicht, sich sauber zu halten, meinte er, wenn man so viel Töpfchen und Fläschchen zur Verfügung habe. Dies führte ihn zu bitteren Gedanken über sein verfehltes Leben. Er dachte sich, daß er vielleicht einen falschen Weg eingeschlagen; bei dem Umgang mit dem Bettelvolke sei nichts zu gewinnen; er habe nicht bösartig sein und sich mit den Rougon verständigen sollen. Dann wies er diesen Gedanken wieder von sich. Die Rougon seien Bösewichte, die ihn bestohlen hatten. Allein, in der behaglichen Wärme des Sofas ward er doch wieder sanfter, und abermals hatte er eine Regung von Reue. Schließlich sei er von den Aufständischen doch verlassen; sie ließen sich schlagen, die erbärmlichen Tröpfe. Er kam zu dem Schlusse, daß die Republik nichts als Betrug sei. Diese Rougon haben Glück. Und er erinnerte sich seiner nutzlosen Bosheiten, seines verbissenen Kampfes; niemand in der Familie habe ihn unterstützt, weder Aristide, noch Silvères Bruder, noch Silvère selbst, der ein Narr war, daß er sich für die Republikaner begeisterte; er werde niemals zu etwas kommen. Seine Frau war jetzt tot, seine Kinder hatten ihn verlassen, einsam wird er sterben, in einem Winkel ohne Sou wie ein Hund. Entschieden hätte er sich der Reaktion verkaufen sollen. Unter solchen Gedanken schielte er nach dem Waschtische, von starker Begierde erfaßt, sich die Hände mit einem gewissen Seifenpulver zu waschen, das in einer Büchse von Kristall enthalten war. Wie alle Taugenichtse, die sich von Frau und Kinder aushalten lassen, hatte Macquart gewisse Haarkünstlergelüste. Obgleich er geflickte Hosen trug, liebte er es, sich mit duftigen Ölen zu salben. Ganze Stunden brachte er bei seinem Barbier zu, bei dem von Politik gesprochen wurde und der zwischen einer Kannegießerei und der anderen ihm den Kopf zurecht machte. Die Versuchung wurde zu stark; Macquart begab sich zu dem Waschtische. Er wusch sich Hände und Gesicht; er kämmte und parfümierte sich, machte vollständige Toilette. Er benützte alle Fläschchen, alle Seifen, alle Pulver. Sein größter Genuß aber war, sich mit den Tüchern des Bürgermeisters abzutrocknen; sie waren geschmeidig und dicht. Er bettete sein feuchtes Gesicht hinein und sog da alle Düfte des Reichtums ein. Als er gewaschen und gesalbt war, als er duftete vom Kopfe bis zu den Füßen, streckte er sich wieder auf dem Sofa aus, verjüngt und zur Versöhnlichkeit neigend. Seitdem er die Nase in die Flaschen des Herrn Garconnet gesteckt, fühlte er noch mehr Verachtung gegen die Republik. Er kam auf den Gedanken, daß es vielleicht noch Zeit sei, mit seinem Bruder Frieden zu machen. Er erwog, welchen Preis er für einen Verrat fordern könne. Die Erbitterung gegen die Rougon nagte ihm noch immer am Herzen; aber er war in einer jener Stimmungen, wo man, in stiller Einsamkeit auf dem Rücken liegend, geneigt ist, sich harte Wahrheiten zu sagen, und wo man sich Vorwürfe darüber macht, daß man nicht – selbst mit Aufopferung seiner teuersten Vergeltungsgelüste – sich ein warmes Nest gebaut habe, um sich, feig an Leib und Seele, behaglich darin auszustrecken. Gegen Abend entschloß sich Antoine, am nächsten Tage seinen Bruder rufen zu lassen. Als er aber am folgenden Tage Felicité eintreten sah, begriff er, daß man seiner bedürfe, und war auf seiner Hut.

      Die Unterhandlung währte lange und ward von beiden Seiten mit vieler Schlauheit und zahllosen Kniffen geführt. Zuerst tauschten sie unbestimmte Klagen aus. Felicité war überrascht, Antoine fast höflich zu finden nach der rohen Szene, die er ihr am Sonntag abend gemacht hatte, und darum sprach sie in einem Tone sanften Vorwurfes zu ihm. Sie beklagte die Gehässigkeiten, die die Familien entzweiten. Aber er habe seinen Bruder verleumdet und verfolgt mit einer Verbissenheit, die Rougon außer sich gebracht habe.

      Ei, mein Bruder hat sich gegen mich niemals als Bruder betragen, erwiderte Macquart mit verhaltener Heftigkeit. Ist er mir zu Hilfe gekommen? Seinethalben hätte ich in meiner Höhle zugrunde gehen können. Als er sich besser benahm, zurzeit, da er mir zweihundert Franken gab, konnte mir niemand vorwerfen, daß ich ihm Übles nachgesagt hätte. Ich wiederholte überall, er habe ein gutes Herz.

      Dies bedeutete klar:

      Wenn ihr fortgefahren wäret, mich mit Geld zu versorgen, wäre ich euch ergeben gewesen und würde euch geholfen haben, anstatt euch zu bekämpfen. Es ist eure Schuld. Ihr hättet mich erkaufen sollen.

      Felicité begriff dies so gut, daß sie erwiderte:

      Ich weiß, Sie haben uns der Hartherzigkeit angeklagt, weil man glaubt, wir seien wohlhabend. Aber man irrt, lieber Bruder: wir sind arme Leute; wir haben niemals so an Ihnen handeln können, wie unser Herz es gewünscht hätte.

      Sie zögerte einen Augenblick und fuhr dann fort:

      Wenn es sein müßte, unter ernsten Umständen könnten wir ein Opfer bringen; aber wahrhaftig, wir sind so arm, so arm! ...

      Macquart spitzte die Ohren. Ich halte sie fest – dachte er. Er tat, als habe er das verhüllte Anerbieten seiner Schwägerin überhört und verbreitete sich in klagendem Tone über sein Elend, erzählte von dem Tode seiner Frau, von der Flucht seiner Kinder. Felicité ihrerseits sprach von der Krise, die das Land durchmache. Sie behauptete, die Republik habe sie vollends zugrunde gerichtet. Allmählich kam sie so weit, eine Zeit zu verwünschen, die den Bruder zwinge den Bruder gefangen zu halten. Das Herz werde ihnen bluten, wenn die Justiz ihre Beute nicht herausgeben wolle! Und sie ließ das Wort »Galeeren« fallen.

      Laßt es nur darauf ankommen, sagte Macquart ruhig.

      Doch sie entgegnete energisch:

      Mit meinem Blute möchte ich lieber die Ehre der Familie erkaufen. Ich spreche mit Ihnen nur, um Ihnen zu zeigen, daß wir Sie nicht verlassen werden ... Ich komme, um Ihnen die Mittel zur Flucht zu bieten, mein lieber Antoine.

       Sie schauten einander eine Sekunde in die Augen, um sich gegenseitig mit den Blicken zu prüfen, ehe sie den Kampf aufnahmen.

      Ohne Bedingung? fragte er endlich.

      Ohne jede Bedingung, erwiderte sie.

      Sie setzte sich zu ihm auf das Sofa und fuhr mit entschlossener Stimme fort:

      Ja, wenn Sie vor Überschreiten der Grenze noch einen Tausendfrankenschein erwerben wollen, kann ich Ihnen auch dazu verhelfen.

      Neues Stillschweigen.

      Wenn es ein sauberes Geschäft ist, murmelte Antoine nachdenklich, warum nicht? ... Aber in eure Machenschaften mag ich mich nicht einmengen.

      Da gibt es keinerlei Machenschaften, fuhr Felicité fort, indem sie die Skrupel des alten Gauners belächelte. Nichts ist einfacher: Sie verlassen sogleich dieses Zimmer, verstecken sich bei ihrer Mutter, versammeln heute abend Ihre Anhänger und nehmen das Rathaus wieder ein.

      Macquart konnte seine große Überraschung nicht unterdrücken. Er begriff die Sache nicht.

      Ich dachte, ihr wäret die Sieger, bemerkte er.

      Ich habe keine Zeit, Ihnen jetzt alles zu erzählen, erwiderte die Alte ungeduldig. Nehmen Sie an, oder nehmen Sie


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