Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
und Bildern vollgestopft waren. Bei dieser Gelegenheit war er nahe daran, vor der Zuchtpolizei zu erscheinen. Seither war es der ewige Gegenstand seiner neidischen Träume, das Wohlwollen der Verwaltung des Kollegiums zu erlangen.
Felicité schien erstaunt über die Bescheidenheit seines Ehrgeizes; ja, sie gab es ihm sogar zu verstehen. Briefe erbrechen, das Bagno riskieren, um einige Wörterbücher verkaufen zu dürfen!
Ei, sagte er mit herber Stimme, es handelt sich um einen gesicherten Absatz von vier- bis fünftausend Franken jährlich. Ich träume nichts Unmögliches wie gewisse Leute.
Sie tat, als überhöre sie das Wort. Von den erbrochenen Briefen war nicht mehr die Rede. Sie schlossen ein Bündnis, kraft dessen Vuillet sich verpflichtete, keine Nachricht in Umlauf zu bringen und sich nicht in den Vordergrund zu drängen unter der Bedingung, daß die Rougon ihm die Kundschaft des Kollegiums verschaffen würden. Als sie ihn verließ, riet ihm Felicité, sich nicht weiter zu kompromittieren. Es genüge, daß er die Briefe behalte und erst am zweitnächsten Tage austeilen lasse.
Welch ein Gauner! murmelte sie auf der Straße, ohne zu bedenken, daß sie selbst soeben den Postbeutel in Beschlag genommen hatte.
Mit langsamen Schritten und nachdenklich kehrte sie heim. Sie machte sogar einen Umweg, ging über die Promenade Sauvaire, wie um länger und bequemer nachdenken zu können. Unter den Bäumen der Wandelbahn begegnete sie dem Herrn von Carnavant, der die Nacht dazu benutzte, in der Stadt herumzuspüren, ohne sich zu kompromittieren. Die Geistlichkeit von Plassans, der jede Tätigkeit widerstrebte, beobachtete seit der Kunde vom Staatsstreiche die vollkommenste Neutralität. Für sie war das Kaiserreich eine vollendete Tatsache, und sie harrte nur der Stunde, um in einer neuen Richtung ihre hundertjährigen Ränke wiederaufzunehmen. Der Marquis, fortan ein überflüssiger Agent, war nur mehr von einer Neugierde geplagt: zu erfahren, wie der Trubel enden und wie die Rougon ihre Rolle zu Ende führen würden.
Bist du es Kleine? sprach er, als er Felicité erkannte. Ich wollte dich besuchen. Deine Angelegenheiten verwirren sich.
Nein, alles geht gut, erwiderte sie nachdenklich.
Um so besser. Du wirst mir die Sache erzählen. Ach, ich muß es dir beichten: ich habe die vorige Nacht deinem Gatten und seinen Genossen eine wahnsinnige Furcht eingejagt. Wenn du gesehen hättest, wie drollig sie waren auf der Terrasse, während ich sie in jedem Baumdickicht des Tales eine Bande Aufständische sehen ließ! ... Du vergibst es mir, nicht wahr?
Ich danke Ihnen, erwiderte Felicité lebhaft. Sie hätten sie vor Angst sterben lassen sollen. Mein Mann ist ein plumper Schlaumeier. Kommen Sie doch nächstens an einem Vormittag, wenn ich allein bin.
Sie eilte davon und ging mit raschen Schritten dahin, als habe die Begegnung mit dem Marquis sie zu einer Entscheidung gedrängt. Ihre ganze kleine Person drückte einen unerbittlich festen Willen aus. Endlich wird sie sich rächen wegen Peters Geheimtuerei, endlich wird sie ihn unterkriegen und für immer ihre Herrschaft im Hause sichern. Es war dies eine notwendige kleine Szene, eine Komödie, deren tiefen Spott sie im voraus genoß und deren Plan sie mit dem Scharfsinn einer verletzten Frau zeitigte.
Sie fand Peter zu Bette, in tiefem Schlafe; sie brachte einen Augenblick eine Kerze herbei und betrachtete mitleidig sein schwerfälliges Gesicht, über das von Zeit zu Zeit ein leichtes Zittern flog: dann setzte sie sich an das Kopfende des Bettes, legte die Haube ab, löste ihr Haar und begann mit verzweifelter Miene bitterlich zu schluchzen.
Was ist's? Warum weinst du? fragte Peter, der plötzlich erwachte.
Sie antwortete nicht und weinte nur noch heftiger.
So antworte doch um Gottes willen! fuhr ihr Mann fort, den diese stumme Verzweiflung entsetzte. Wo warst du? Hast du die Aufständischen gesehen?
Sie verneinte stumm; dann flüsterte sie mit erstickter Stimme:
Ich komme aus dem Hotel Valqueyras; ich wollte Herrn von Carnavant zu Rate ziehen. Ach, mein armer Mann, alles ist verloren!
Peter setzte sich ganz blaß im Bette auf. Sein Stierhals, den sein offenes Hemd sehen ließ, sein schlaffes Fleisch war von der Angst aufgedunsen. Bleich und jämmerlich hockte er da in dem zerwühlten Bette wie eine chinesische Götzenfigur.
Der Marquis glaubt, Prinz Louis Napoleon sei unterlegen, fuhr Felicité fort. Wir sind zugrunde gerichtet, wir bekommen niemals einen Sou!
Da geriet Peter in Zorn, wie es bei Feiglingen zuweilen vorkommt. Es sei die Schuld des Marquis, die Schuld seines Weibes, die Schuld seiner ganzen Familie. Habe er an Politik gedacht, als Herr von Carnavant und Felicité ihn in diese Dinge hineindrängten?
Ich wasche mir die Hände, rief er. Ihr beide habt die Dummheit gemacht. Ist es nicht vernünftiger, in aller Ruhe seine kleine Rente zu verzehren? Du hast immer herrschen wollen. Nun siehst du, wohin es uns geführt hat.
Er verlor den Kopf; er vergaß, daß er sich ebenso habgierig gezeigt hatte wie sein Weib. Er empfand nur das unbändige Verlangen, sich selbst zu erleichtern, indem er die anderen wegen seiner Niederlage beschuldigt.
Konnten wir denn mit Kindern wie den unserigen überhaupt Erfolge haben? Eugen läßt uns im entscheidenden Augenblick im Stich; Aristide hat uns in den Schmutz gezogen und selbst der alte Einfaltspinsel Pascal kompromittiert uns, indem er als großer Menschenfreund hinter den Aufständischen einherzieht ... Und wenn man bedenkt, daß wir uns zugrunde gerichtet haben, um sie ihre Studien machen zu lassen! ...
In seiner Erbitterung gebrauchte er Worte, wie er sie früher nie gesprochen. Als Felicité ihn Atem schöpfen sah, bemerkte sie sanft:
Du vergißt Macquart.
Ach ja, den vergaß ich, fuhr er noch heftiger fort. Auch einer, an den ich nur denken muß, um außer mir zu geraten! ... Doch das ist nicht alles. Der kleine Silvère ... Du weißt ja ... Ich sah ihn neulich abends bei meiner Mutter mit blutbedeckten Händen... Er hat einem Gendarm ein Auge ausgeschlagen. Ich habe es dir noch nicht erzählt, um dich nicht zu erschrecken. Ich sehe schon den Tag, an dem einer meiner Neffen vor dem Strafgerichte stehen wird ... Macquart ist uns dermaßen im Wege, daß ich neulich, als ich meine Flinte hatte, Lust verspürte, ihm den Schädel zu zerschmettern ... Jawohl, das habe ich tun wollen.
Felicité ließ diese Redeflut vorübergehen. Sie hatte die Vorwürfe ihres Gatten mit engelgleicher Geduld aufgenommen, das Haupt gesenkt wie eine Sünderin, was ihr ermöglichte, im stillen zu jubilieren. Durch ihre Haltung trieb sie Peter zum äußersten. Als dem armen Manne die Stimme versagte, seufzte sie schwer und heuchelte tiefe Reue. Dann wiederholte sie mit trostloser Stimme:
Mein Gott! Was werden wir anfangen? ... was werden wir anfangen? ... Die Schulden erdrücken uns ...
Es ist deine Schuld! schrie Peter mit dem letzten Aufgebote seiner Kräfte.
In der Tat hatten die Rougon auf allen Seiten Schulden. Die Hoffnung auf den nahen Erfolg hatte sie alle Vorsicht vergessen lassen. Seit Beginn des Jahres 1851 waren sie so weit gegangen, den Gästen des gelben Salons allabendlich Fruchtsaft, Punsch und kleinen Kuchen vorzusetzen, förmliche Mahlzeiten, bei denen man auf den baldigen Untergang der Republik anstieß. Überdies hatte Peter den vierten Teil seines Vermögens der Reaktion zur Verfügung gestellt um zum Ankauf von Gewehren und Schießbedarf beizutragen.
Die Rechnung des Pastetenbäckers beträgt mindestens tausend Franken, fuhr Felicité in ihrem süßlichen Tone fort; der Likörhändler hat vielleicht das Doppelte zu fordern. Dann kommt der Metzger, der Bäcker, der Obsthändler ...
Peter glaubte vergehen zu müssen; da versetzte Felicité ihm den letzten Streich, indem sie hinzufügte:
Ich spreche gar nicht von jenen zehntausend Franken, die du für die Waffen hingegeben hast.
Ich? ... ich? ... stammelte er. Man hat mich betrogen, man hat mich bestohlen. Der Tölpel Sicardot hat mich in die Patsche gebracht, indem er mir schwor, daß die Napoleons Sieger bleiben werden. Ich glaubte nur einen Vorschuß zu geben ... Doch der alte Esel muß mir mein Geld zurückgeben.
Ach, man gibt dir gar nichts zurück, sprach seine Frau, mit