Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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Kaffeehause auf dem Recolletsplatze vorbeikommend, wo die Lampen angezündet wurden und die kleinen Rentiers der Neustadt zusammenkamen, hörte er einen Teil eines sehr erschreckenden Gespräches.

      Sie wissen wohl schon die neueste Nachricht, Herr Picou? sprach eine breite Stimme; das erwartete Regiment ist nicht eingetroffen.

      Aber man erwartet kein Regiment, Herr Toucher, antwortete eine dünne Stimme.

      Doch, doch; haben Sie denn den Aufruf nicht gelesen?

      Die Maueranschläge versprechen allerdings, daß die Ordnung, wenn nötig, durch die Macht aufrecht erhalten wird.

      Sie sehen wohl: durch die Macht; darunter versteht sich die bewaffnete Macht.

      Und was spricht man?

      Mein Gott, man hat Furcht, daß diese Verspätung der Soldaten nicht natürlich sein soll; sie sind vielleicht von den Aufständischen in die Pfanne gehauen.

      Nur ein Schrei des Entsetzens wurde laut in dem Kaffeehause. Rougon hatte Lust, einzutreten und diesen Spießbürgern zu sagen, daß der Aufruf niemals das Eintreffen eines Regiments angekündigt habe, daß man den Worten keine solche Gewalt antun, noch auch solches Geschwätz verbreiten dürfe. Allein in der Verwirrung, die sich seiner bemächtigte, war er selbst nicht sicher, ob er nicht auf eine Truppensendung gerechnet habe, und er fand es schließlich in der Tat erstaunlich, daß kein einziger Soldat erschienen war. In sehr unruhiger Stimmung ging er heim. Felicité, die sehr aufgeräumt und guten Mutes war, erboste sich, als sie ihn wegen solcher Kindereien ganz verstört sah. Beim Nachtisch sprach sie ihm Mut zu.

      Tölpel! sagte sie, wenn der Präfekt uns vergißt, um so besser. Wir werden auch allein die Stadt retten. Ich möchte, daß die Aufständischen zurückkommen; wir empfangen sie mit Flintenschüssen und bedecken uns mit Ruhm... Du läßt die Stadttore schließen und gehst nicht zu Bett; du machst dir die ganze Nacht viel Bewegung; das wird dir später zum Verdienst angerechnet.

      Peter kehrte ziemlich ermutigt nach dem Bürgermeisteramte zurück. Er brauchte Mut, um stark zu bleiben inmitten des Jammers seiner Genossen. Die Mitglieder der einstweiligen Vertretung brachten in ihren Kleidern die Angst mit, wie man bei einem Gewitter den Regengeruch mit sich trägt. Alle behaupteten, auf die Sendung eines Regiments gerechnet zu haben, und riefen, man dürfe die wackeren Bürger nicht dermaßen der Wut der Demagogie ausliefern. Um Ruhe zu haben, versprach ihnen Peter fast das Regiment für den nächsten Tag. Dann erklärte er in feierlichem Tone, daß er die Stadttore schließen lassen werde. Dies brachte allen Erleichterung. Nationalgarden mußten sich sogleich zu allen Toren begeben, um sie doppelt und dreifach schließen zu lassen. Als die Nationalgarden zurückgekehrt waren, gestanden mehrere Mitglieder der einstweiligen Vertretung, daß sie jetzt wirklich ruhiger seien; und als Peter ihnen sagte, die kritische Lage der Stadt bürde ihnen die Pflicht auf, auf ihrem Posten zu verbleiben, trafen einige ihre Vorkehrungen, um die Nacht in einem Lehnsessel zuzubringen. Granoux setzte eine Mütze von schwarzer Seide auf, die er aus Vorsicht von Hause mitgebracht hatte. Gegen elf Uhr schlief die Hälfte der Herren rings um das Schreibpult des Herrn Garçonnet. Die sich wach erhielten, lauschten den gleichmäßigen Schritten der im Hofe Wache haltenden Nationalgarden und träumten dabei, daß sie Helden seien und Auszeichnungen erhielten. Eine Lampe, die auf dem Schreibpulte stand, beleuchtete diese seltsame bewaffnete Nachtwache. Rougon, der zu schlummern schien, erhob sich plötzlich und sandte nach Vuillet. Er hatte sich erinnert, daß er die Zeitung nicht erhalten habe.

      Der Buchhändler erschien in sehr mürrischer Laune. Rougon nahm ihn beiseite.

      Was ist's mit dem Artikel, den Sie mir versprochen haben? fragte er. Ich habe das Blatt nicht gesehen.

      Deshalb stören Sie mich? erwiderte Vuillet zornig. Die Zeitung ist nicht erschienen; ich habe keine Lust, mich morgen, wenn die Aufständischen zurückkommen, abschlachten zu lassen.

      Rougon versuchte zu lächeln und sagte: Man schlachtet, Gott sei Dank, niemanden ab. Eben deshalb, weil falsche und beunruhigende Gerüchte im Umlauf sind, würde der fragliche Artikel der guten Sache einen großen Dienst erwiesen haben.

      Möglich, sagte Vuillet; aber die beste Sache ist in diesem Augenblicke, seinen Kopf auf den Schultern zu behalten.

      Mit schneidiger Bosheit fuhr er fort:

      Ich glaubte, sie hätten alle Aufständischen getötet; aber Sie haben zu viele übriggelassen, als daß ich meine Haut wagen sollte.

      Als Rougon wieder allein geblieben, war er erstaunt über die Auflehnung dieses sonst so platten und unterwürfigen Mannes. Die Haltung Vuillets schien ihm verdächtig; aber er hatte keine Zeit, eine Erklärung zu suchen. Kaum hatte er sich in seinem Lehnsessel wieder ausgestreckt, als Roudier eintrat, wobei ein großer Säbel, mit welchem er sich umgürtet hatte, geräuschvoll an seine Schenkel schlug. Die Schläfer fuhren entsetzt auf; Granoux glaubte, man rufe zu den Waffen.

      Wie, was gibt's? fragte er, indem er hastig das schwarze Käppchen in die Tasche steckte.

      Meine Herren, sagte Roudier atemlos, alle rednerischen Formen außer acht lassend, ich glaube, daß eine Bande Aufrührer sich der Stadt nähert.

      Diese Worte wurden mit schreckensvollem Stillschweigen aufgenommen. Rougon allein fand die Kraft, zu fragen:

      Haben Sie sie gesehen?

      Nein, erwiderte der ehemalige Schlafmützenfabrikant, aber wir hören seltsame Gerüchte aus der Gegend. Einer meiner Leute hat mir versichert, daß er am Abhänge des Garriguesgebirges Lauffeuer gesehen habe.

      Während die Herren einander bleich und stumm ansahen, fügte er hinzu:

      Ich kehre auf meinen Posten zurück, denn ich fürchte einen Angriff. Seid eurerseits auf der Hut!

      Rougon wollte ihm nacheilen, um noch mehr von ihm zu erfahren, allein jener war schon fern. Der einstweiligen Vertretung war nunmehr die Schlaflust völlig vergangen. Seltsame Gerüchte! Lauffeuer! Ein Angriff! Und all das mitten in der Nacht! Auf der Hut sein, das war leicht zu sagen; aber was sollte man anfangen. Granoux war nahe daran, dasselbe Verfahren zu empfehlen, das gestern so wohl gelungen war: sich zu verbergen, und abzuwarten, bis die Aufständischen die Stadt durchzogen hatten und hernach in den verlassenen Straßen zu triumphieren. Glücklicherweise erinnerte sich Peter der Ratschläge seiner Frau und sagte, Roudier könne sich geirrt haben, und es sei das beste zu sehen, was es gebe. Einige Vertreter verzogen das Gesicht bei diesem Vorschlage; aber als vereinbart war, daß eine bewaffnete Schar den Vertretern das Geleit geben solle, gingen alle sehr mutig hinunter. Sie ließen bloß einige Mann im Hofe zurück und umgaben sich mit etwa dreißig Mann Nationalgarde; so wagten sie sich durch die schlafende Stadt. Das Mondlicht floß über die Hausdächer und warf ihre Schatten auf die Straßen. Vergebens gingen sie die Stadtwälle entlang von Tor zu Tor; sie sahen nichts und hörten nichts hinter ihrer Stadtmauer, die sie von der Welt abschloß. Die Nationalgarden der verschiedenen Posten sagten ihnen zwar, daß aus der Landschaft seltsame Winde über die geschlossenen Tore hinweg herüberwehen; aber wie sie die Ohren auch spitzen mochten, sie hörten nichts als ein fernes Geräusch, in dem Granoux das Plätschern der Viorne zu erkennen vorgab.

      Indes blieben sie unruhig; sie schickten sich an, nach dem Bürgermeisteramte zurückzukehren – beklommenen Herzens, wenngleich sie zum Schein mit den Achseln zuckten und Roudier als Hasenfuß und Gespensterseher bezeichneten – als Rougon, der bemüht war, seine Freunde vollständig zu beruhigen, auf den Einfall kam, ihnen den Anblick der Ebene, auf eine Entfernung von mehreren Meilen zu zeigen. Er führte die kleine Gruppe nach dem Sankt Markusviertel und pochte an das Tor des Palastes des Grafen Valqueyras.

      Der Graf war bei den ersten Unruhen nach seinem Schlosse Corbière abgereist. Im Palaste war nur der Marquis von Carnavant anwesend. Seit dem gestrigen Tage hatte er sich vorsichtigerweise verborgen gehalten, nicht aus Furcht, sondern weil es ihm widerstrebte, in der entscheidenden Stunde in die Machenschaften der Rougon verwickelt zu erscheinen. Im Grunde verzehrte ihn die Neugierde; er hatte sich einschließen müssen, um nicht hinzulaufen und sich das seltsame Schauspiel der Ränke des gelben Salons zu gönnen. Als ein Kammerdiener ihm mitten in der Nacht meldete, daß unten Herren seien, die ihn zu sprechen wünschten, ließ er


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