Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
und flog hin und her wie eine Grille, die von Licht und Wärme trunken geworden. In dem überquellenden Jubel über seinen Sieg schüttete nun Peter sein Herz aus. Nicht die geringste Einzelheit überging er. Er erklärte ihr sogar seine Entwürfe für die Zukunft und vergaß hierbei, daß nach seinem Ausspruche die Frauen zu nichts gut seien und daß die seinige nichts wissen durfte, wenn er der Herr bleiben wollte. Felicité stand vorgebeugt da und sog seine Worte ein. Gewisse Teile seiner Erzählung ließ sie ihn wiederholen, indem sie sagte, sie habe nicht recht gehört; in der Tat verursachte die Freude einen solchen Rumor in ihrem Kopfe, daß sie von Zeit zu Zeit fast taub wurde und ihr Verständnis in einem Meer von Wonne unterging. Als Peter die Vorgänge auf dem Rathause erzählte, brach sie in ein solches Gelächter aus, daß sie dreimal aus dem Sessel aufstand, die Möbel hin und her schob, weil sie nicht auf einem Platze still halten konnte. Nach vierzig Jahren vergeblicher Bemühungen ließ das Glück sich endlich an der Kehle fassen. Sie verlor darüber dermaßen die Vernunft, daß sie alle Vorsicht außer acht ließ.
Mir hast du all dies zu verdanken! rief sie triumphierend aus. Hätte ich dich gewähren lassen, du hättest dich in alberner Weise von den Aufständischen abfangen lassen. Einfaltspinsel! Die Garconnet, die Sicardot und die anderen mußte man diesen wilden Tieren zur Beute hinwerfen.
Damit zeigte sie ihre wackelnden Greisenzähne und fügte in übermütiger Laune hinzu: Ei, es lebe die Republik, sie hat uns den Platz gesäubert.
Doch Peter warf mürrisch ein:
Ach, du glaubst immer alles vorausgesehen zu haben. Ich selbst kam auf den Einfall, mich zu verbergen. Was verstehen denn die Frauen von Politik? Geh, geh, arme Alte! Wenn du unser Schifflein zu führen hättest, wären wir bald gescheitert.
Felicité verzog den Mund. Sie war zu weit gegangen; sie hatte ihre Rolle einer stummen Fee vergessen. Doch es überkam sie jetzt einer jener Wutanfälle, die sie hatte, wenn ihr Mann sie mit seiner Überlegenheit erdrücken wollte. Sie nahm sich wieder vor, zu gegebener Zeit eine feine Rache zu nehmen, die ihr den guten Mann mit gebundenen Händen und Füßen ausliefern sollte.
Ach, ich vergaß, fuhr Rougon fort; Herr Peirotte ist mit beim Tanze; Granoux hat ihn gesehen, wie er zwischen den Händen der Aufständischen sich wand und krümmte.
Felicité erbebte. Sie stand eben am Fenster und blickte nach jenen des Einnehmers hinüber. Sie hatte eben das Bedürfnis empfunden, diese Fenster wiederzusehen, denn der Gedanke an den Triumph vermengte sich in ihr mit der Gier nach jener schönen Wohnung, deren Möbel sie seit so langer Zeit sozusagen mit den Blicken abnützte.
Sie wandte sich um und sagte mit seltsamer Stimme:
Herr Peirotte ist verhaftet?
Sie lächelte wohlgefällig: dann färbte eine lebhafte Röte ihre Wangen. Sie hatte in ihrem Innern den plötzlichen Wunsch gefaßt: »Oh, möchten doch die Aufständischen ihn ermorden!« Peter las ohne Zweifel diesen Gedanken in ihren Augen.
Wenn eine Kugel von ungefähr ihn träfe, würde es unsere Sache tüchtig fördern, brummte er. Man wäre nicht genötigt, ihn abzusetzen und wir wären an nichts schuld. Doch Felicité, die nervöser war, schauerte zusammen, als habe sie soeben einen Menschen zu Tode verurteilt. Wenn Herr Peirotte getötet werde, sehe sie ihn des Nachts wieder, er werde kommen und sie an den Beinen zerren. Sie warf jetzt nur mehr Seitenblicke zu den Fenstern hinüber, Blicke voll wollüstiger Angst. Seither gab es in ihrer Wonne einen Zug sträflichen Schreckens, der diese Wonne noch verschärfte.
Peter, der sein Herz ausgeschüttet hatte, sah jetzt übrigens auch die häßliche Seite der Frage. Er sprach von Macquart. Wie sollte man sich dieses Schnapphahns entledigen? Doch Felicité, von dem Fieber des Erfolges wieder ergriffen, rief:
Man kann nicht alles auf einmal tun. Wir werden ihn schon knebeln, schon ein Mittel ausfindig machen ...
So sprechend ging sie hin und her, ordnete die Sessel, stäubte die Lehnen ab. Plötzlich blieb sie mitten im Zimmer stehen, ließ ihren Blick lange auf den verschossenen Möbeln ruhen und rief:
Mein Gott! wie häßlich ist es hier! Und es kommen doch so viele Leute zu uns!
Bah! Wir werden alles vertauschen, sagte Peter mit großartigem Gleichmute.
Er, der noch gestern eine fast feierliche Achtung für diese Sessel und für dieses Sofa hatte, wäre jetzt bereit gewesen, darauf herumzuspringen. Felicité, die die nämliche Mißachtung für diese Möbel empfand, ging so weit, einen Lehnsessel umzustoßen, dem ein Rädchen fehlte und der deshalb nicht schnell genug rollen wollte.
In diesem Augenblicke trat Roudier ein. Es schien der alten Frau, daß er viel höflicher als sonst sei. Die Anreden »Mein Herr« und »Madame« flössen in lieblichem Wohllaut dahin. Die Freunde des Hauses kamen übrigens jetzt nach der Reihe an; der Salon füllte sich. Noch niemand kannte die Vorgänge der Nacht in ihren Einzelheiten, und alle eilten herbei mit neugierig glotzenden Augen, mit einem Lächeln auf den Lippen, durch die Gerüchte getrieben, die in der Stadt die Runde machten. Diese Herren, die gestern abend bei der Nachricht von dem Herannahen der Aufständischen so rasch den gelben Salon verlassen hatten, kamen jetzt summend, neugierig und lästig wieder wie ein Mückenschwarm, den ein Windstoß zerstreut hat. Manche hatten sich nicht einmal Zeit genommen, die Hosenträger anzulegen. Ihre Ungeduld war groß, aber es war ersichtlich, daß Rougon noch jemanden erwartete, ehe er sprechen wollte. Jede Minute wandte er den besorgten Blick nach der Türe. Während einer vollen Stunde fand ein beredter Austausch von Händedrücken statt, unbestimmte Glückwünsche, ein bewunderndes Geflüster, eine verhaltene Freude ohne bestimmten Grund, die nur eines Wortes harrte, um sich zur Begeisterung zu steigern.
Endlich erschien Granoux. Er blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen, die Rechte in den zugeknöpften Überrock steckend; sein plumpes, fahles Antlitz, das frohlockte, versuchte vergeblich, seine große Erregtheit unter einer Miene hoher Würde zu verbergen. Bei seinem Erscheinen trat Stille ein; man hatte das Gefühl, daß etwas Außerordentliches sich vorbereite. Inmitten einer lebenden Hecke schritt Granoux geradeaus auf Rougon zu und reichte ihm die Hand.
Mein Freund! sagte er, ich überbringe Ihnen die Huldigungen des Gemeinderates. Er beruft Sie an seine Spitze, bis unser Bürgermeister uns wiedergegeben ist. Sie haben Plassans gerettet. In der abscheulichen Zeit, in der wir jetzt leben, brauchen wir Männer, die Ihre Klugheit mit Ihrem Mute verbinden. Kommen Sie! ... Granoux, der da eine kleine Rede hersagte, die er sich vom Rathause bis zur Banne-Straße mühsam vorbereitet hatte, fühlte jetzt, daß sein Gedächtnis ihn im Stich lasse. Doch Rougon, von der Bewegung überwältigt, unterbrach ihn, drückte ihm beide Hände und sprach:
Dank, mein lieber Granoux, vielen Dank!
Mehr wußte er nicht zu sagen. Jetzt setzte ein betäubender Ausbruch von Stimmen ein. Jeder stürzte herbei, streckte ihm die Hand entgegen, überhäufte ihn mit Lobsprüchen und befragte ihn sehr eifrig. Doch er benahm sich sehr würdig, wie ein Beamter und erbat sich einige Minuten, um sich mit den Herren Granoux und Roudier zu besprechen. Die Geschäfte vor allem. Die Stadt befand sich in einer so kritischen Lage! Die drei zogen sich in einen Winkel des Zimmers zurück und teilten mit leiser Stimme die Macht unter sich auf, während die Freunde des Hauses, einige Schritte weiter entfernt stehend und die Verschwiegenen heuchelnd, ihnen heimlich Blicke zuwarfen, in denen Bewunderung und Neugierde sich mengten. Rougon sollte den Titel eines Obmannes des Gemeindeausschusses annehmen; Granoux sollte Sekretär werden; Roudier sollte die neu organisierte Nationalgarde befehligen. Die Herren schworen sich gegenseitige Unterstützung und unverbrüchliche Treue.
Felicité, die sich ihnen genähert hatte, fragte plötzlich:
Und was ist's mit Vuillet?
Sie sahen einander an. Niemand hatte Vuillet bemerkt. Rougon verzog unruhig das Gesicht.
Man hat ihn vielleicht mit den übrigen weggeführt ... sagte er, um sich selbst zu beruhigen.
Aber Felicité schüttelte den Kopf. Vuillet sei nicht der Mann, der sich abfangen lasse. Wenn man ihn nicht sehe und nicht höre, tue er sicherlich etwas Schlechtes. Die Türe ging auf und Vuillet trat ein. Er grüßte untertänig, mit dem ihm eigentümlichen